Veyron Swift und das Juwel des Feuers: Serial Teil 3. Tobias Fischer
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Soweit das Auge reichte, zogen sich ausgedehnte Lavendelfelder über die abfallende Hügellandschaft, unterbrochen von einigen Flecken Rosa, Rot, Weiß, Gelb, Blau und Violett. Faeringel ließ ihn wissen, dass Fabrillian das elbische Wort für Blumenreich war. Tom fand, dass es keinen besseren Namen für dieses Land gab. Dies war das Paradies, von dem die Menschen seit jeher träumten, verborgen hinter einem unsichtbaren Vorhang, obendrein von einem unüberwindbaren Gebirge umzingelt und so von allen anderen Ländern Elderwelts abgeschirmt.
Am frühen Abend – sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen und hatten sicher an die 300 Kilometer zurückgelegt – erreichten sie endlich Fanienna, die große Hauptstadt Fabrillians. Hinter ihren Mauern teilte eine gewaltige Klippe das ganze Land von Ost nach West und fiel fast dreihundert Meter senkrecht in Tiefe.
Als wären sie aus purem Gold, erhoben sich im hellen Sonnenschein die ersten Gebäude der Stadt aus dem Grün eines weiten Waldes. Das Boot hielt in einem kleinen Hafen, nur wenige hundert Meter außerhalb der Stadt. Hier wurde der Fluss breit und bildete einen See. Die Hafengebäude waren relativ einfach gehalten, aus weißem und silbrigem Holz gebaut, doch so schön und kunstvoll, wie es nur Elben verstanden. Das Boot wurde von einigen blau gekleideten Elben an die Kaimauer gezogen und vertäut.
»Von hier aus müssen wir zu Fuß weiter«, verkündete Faeringel und sprang auf die Mauer. »Der Fluss verlässt diesen See in viele Richtungen, durch die Stadt können wir mit dem Boot nicht fahren. Aber der Weg ist nicht weit. Nun kommt, die Königin erwartet uns bereits.«
Eine breite, gepflasterte Straße führte nach Fanienna hinein, zunächst um den See herum und danach direkt in die Stadt, dem Lauf eines kleinen, flachen Flusses folgend, den die Talarin Lendafon nannten, Mittelfluss, da er die Stadt in zwei Hälften teilte. Weitere, kleinere Straßen mündeten von Osten und Westen auf die Hauptstraße. Üppige Gartenanlagen lockerten die Bebauung auf, außerdem unterteilten zahlreiche kleine Bäche und Nebenläufe des Lendafon die Stadt. Das Sonnenlicht brach sich in den Fensterscheiben der Häuser und ließ sie in allen Farben des Regenbogens schillern. Fast alle Gebäude bestanden aus hellem Sandstein. Mit mathematischer Präzision stieß Linie auf Linie, und Kante lag an Kante. Die Fassaden vieler Häuser waren kunstvoll verziert, besonders die Ecken. Aus manchen hatten Steinmetze Statuen herausgemeißelt, andere waren rund geschliffen oder zum Dach hin abgeschrägt. Giebelspitzen entfalteten sich wie Lilienblüten, Windbretter bildeten das verschnörkelte Astwerk von Wein und Efeu nach. Die meisterhaft geschnitzten Balkonbrüstungen waren schwer beladen mit Kästen voller Blumen. Kübelgeranie in allen Farben erreichten beachtliche Größen. Ihre vielen Verzweigungen und Blütendolden hingen stockwerktief nach unten. Nicht wenige Häuser waren sogar ganz und gar von Heckenrosen, Blauregen oder Wein eingesponnen, nur die Fenster blieben frei. Zu fast jedem Grundstück gehörte auch ein Garten, großflächig und bestanden mit großen Bäumen, Sträuchern und noch mehr Blütenpflanzen. Weigelie, Rhododendron und Bougainvillea standen in Fanienna noch immer in voller Blüte. Viele der kleineren Häuser hatten die Elben einfach um die großen Bäume herumgebaut. Nichts liebte das Volk der Talarin mehr als die Natur, und man brachte ihr die höchste Ehrerbietung entgegen. Niemals fällten sie einen stolzen Baum zugunsten eines Bauplatzes. Ähnlich verhielt es sich mit der Straßenführung. Nichts folgte in Fanienna einem geraden Lauf, sondern die Wege wanden sich hierhin und dorthin, das Pflaster war unregelmäßig und bucklig, von dicken Wurzeln zerfurcht. Die Elben geboten dem Wachstum in ihrer Stadt keinen Einhalt.
»Das ist die Stadt aus meinen Träumen. Hier bin ich schon einmal gewesen, in der ersten Nacht nach der Bruchlandung«, rief Tom begeistert.
Alle schenkten ihm einen verwirrten Blick. Allein Nagamoto grinste breit und meinte halb im Scherz: »Du musst eine außerordentlich starke Bindung zu Elderwelt besitzen, wenn du bereits von Fanienna träumtest, ehe du von dieser Stadt wusstest.«
Zahlreiche gemauerte Brücken führten über die sieben Nebenläufe des Lendafon, welche die Stadt in ebensoviele Bezirke aufteilten, die wiederum nach den Flussarmen benannt waren: Ennananth, Meliananth, Huidinanth, Talasadur, Giurinanth, Throminhuindh und Isgarinant, frei übersetzt: Klippenbach, Mühlbach, Entenbach, Waldwasser, Heckenbach, Brücklauf und Splitterbach. Alle fließenden Gewässer liefen am südwestlichen Ende der Stadt wieder zu zwei größeren Armen zusammen und stürzten in Form gigantischer Wasserfälle über die Klippen, die den schlichten Namen »der Bruch« trugen. Und dort, auf der äußersten Klippe des Bruchs stand der Palast der Königin Fabrillians.
Das Palastareal war riesig, im Grunde nichts anderes als ein Wald, dessen Lichtungen in Gärten umgewandelt worden waren. Durch sie führte die einzige gerade Straße der Stadt – und auch die Einzige, die nicht gepflastert, sondern von Sand und Kiesel bedeckt war. Faeringel, die Bahrenträger, Tamara, Nagamoto, Tom und Veyron fanden sich nun allein auf dieser Straße wieder, denn die übrigen Talarin verabschiedeten sich an dieser Stelle in ihrer Heimatsprache. Faeringel dankte ihnen für ihren Einsatz und entließ sie.
Tom entdeckte auf manchen Lichtungen verspielte Korbbauten, unter denen Bänke und Tische standen, auf einer anderen Lichtung ein wunderschönes Badehaus mit vergoldetem Dach und weißen Marmorstatuen an seinen drei Eingängen. Auf halber Strecke zum Schloss zweigten zwei weitere Wege von der Straße ab, der eine nach Westen, der andere nach Osten führend. Sie aber beschritten weiter den geraden Weg nach Süden und näherten sich dem Hauptpalast. Dessen Zentrum bestand aus einem gigantischen Kuppelbau, mindestens so groß wie das Pantheon in Rom. Die Kuppel bestand aus Hunderten schillernder Fenster, die im abendlichen Sonnenschein in allen Farben des Regenbogens funkelten. Links und rechts des Hauptbaus gingen zwei halbrunde Palastflügel ab, jeder fast einhundert Meter lang, drei Stockwerke hoch, mit langen Reihen aus Fenstern und begrünten Balkonen an der Fassade. Die Dächer beider Flügel waren flach; oben wuchsen üppige Gärten, deren Bewuchs zu allen Seiten über den Rand des Daches quoll und bis in die Fenster des obersten Stockwerks hing. Der kreisrunde Platz vor dem Zentralgebäude wurde gesäumt von Statuen großer Persönlichkeiten der Talarin. Redner, Musiker, Dichter, Maler, Philosophen und Bildhauer waren darunter, jedoch keiner der Könige und auch keiner der anderen großen Helden vergangener Jahrtausende. Eine Treppe mit dreiunddreißig Stufen führte zu den großen Türen des Palastes.
Faeringel stieg sie als Erster hinauf. Er öffnete mühelos, als erfordere dies kaum Kraft, die kristallenen Türflügel und hieß Nagamoto, Veyron und Tom eintreten. Tamara wollte ebenfalls hineingehen, doch die Elben hielten sie zurück. Rat suchend blickten sie ihren Anführer an. Faeringel machte ein unglückliches Gesicht, doch schließlich erlaubte er ihr einzutreten. »Nur ungern lassen wir jemanden zur Königin, der von einem Schatten befallen ist. Aber ich will Meister Nagamotos Vertrauen in Euch ehren«, erwiderte er und trat zurück.
Tamara humpelte hinein. Hinter ihr schloss Faeringel lautlos die Kristalltüren.
Das Innere des Palastes stand dem Äußeren an Pracht in keiner Weise nach. Der Kuppelbau war nahezu vollkommen leer, abgesehen von zwei gewaltigen Bäumen, die dort wuchsen. Sie waren von der gleichen silberstämmigen Art wie die Baumriesen in den Wäldern auf der anderen Seite der Himmelmauerberge, nur viel kleiner (obwohl sie immer noch an die vierzig Meter in die Höhe ragten). Ihre Kronen lagen direkt unter der riesigen Glaskuppel. Hunderte winziger Lampen hingen im Geäst und strahlten in goldenem Schimmer. Zwischen den beiden mächtigen Stämmen lag das Treppenhaus des Palastes, von dem aus sich die Korridore in die hinteren Räumlichkeiten verzweigten.
Dort, auf der obersten Stufe stand sie, die Königin der Talarin. Girian Riangen Tarnuvilian.
Tom