Carli macht Karriere. Cristina Zehrfeld

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Carli macht Karriere - Cristina Zehrfeld Maestro-Carl-Reihe

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kopiert und liebevoll mit weiteren Details ausgeschmückt. Leider hatten nun aber Alfreds Berichte schon vor Jahren dafür gesorgt, dass dem kleinen Herrn Carl eine Reisegenehmigung nicht erteilt wurde. Die neuen Ausschmückungen, so liebevoll sie auch geschrieben waren, änderten an den Fakten nichts. Deshalb wurde die Reise von Herrn Carl nach dem italienischen Turin von den staatlichen Sicherheitsbehörden NICHT befürwortet. Damit wäre die Karriere von Herrn Carl nach den geltenden Regeln der Republik eigentlich ein für alle Mal beendet gewesen, denn die staatlichen Sicherheitsbehörden waren ja unbestechlich. Sie haben niemals ein einmal gefälltes Urteil revidiert. Allerdings hatten Professor Kurth und sein renommiertes Orchester einen Sonderstatus. Sie waren Staat im Staate. Jeder, der diesem Staat im Staate angehörte, durfte jederzeit ins nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet reisen, denn das Orchester war ja ein Aushängeschild. Die nicht erteilte Ausreisegenehmigung für Herrn Carl schlug also hohe Wellen. In der staatlichen Sicherheitsbehörde wurde per Faxgerät ein reger Schriftwechsel geführt, in den sich alle Dienstgrade, vom Leutnant bis zum Generalmajor, zu Wort meldeten. Die Meinungsunterschiede waren enorm, doch jeder hatte für seine ganz unumstößliche Sichtweise schlagkräftige Argumente. Keiner wollte auch nur ein My zurückweichen. Die Abstände zwischen den Schreiben wurden immer kürzer. Bald schon glühte das Faxgerät. Schließlich kam man zu dem Schluss, dass die Verweigerung der Ausreisegenehmigung für Herrn Carl in letzter Konsequenz bedeutet, dass Professor Kurth den falschen Mann für sein Konzerthaus engagiert hatte, dass er eine Fehlentscheidung getroffen hat. Das allerdings wäre ein Skandal gigantischen Ausmaßes gewesen. Kapellmeister Kurth war ja für die Republik dasselbe, was der Papst für die katholische Kirche ist, nämlich: Unfehlbar! Kurth konnte und durfte sich nicht geirrt haben. Deshalb hat die staatliche Sicherheitsbehörde ihre ursprüngliche Entscheidung widerrufen. Zähneknirschend hat der Herr Oberstmajor Eisenhardt die Ausreise des Herrn Carl genehmigt. Herr Carl hat von diesem Ziehen und Zerren um seine Person nichts mitbekommen. Niemand durfte ihm auch nur ein Sterbenswörtchen sagen. Er solle, so hieß es, nicht verunsichert werden.

      Bauarbeiter sind keine Konzertgänger

      Auf seinen Konzerten wurde Herr Carl stets von seinen Fans gefragt: “Carli, wann wird denn endlich dein Konzerthaus fertig.” Herr Carl war bei seinem Publikum inzwischen so beliebt, dass niemand ihn mehr anders nannte als “Carli”. Und natürlich interessierte sich nicht nur Carlis Publikum. Auch er selbst wollte naturgemäß wissen, ob die Arbeiten an seinem künftigen Arbeitsplatz nun endlich flott vorangingen. Um etwaige, unnötige Verzögerungen zu erkennen und nötigenfalls zu unterbinden, ist Carli also zur Baustelle gefahren, hat sich durch den Bauzaun gezwängt und die Baustelle gründlich inspiziert. Das war kein Zuckerschlecken. Schon am Bauzaun hat Carlis fliederfarbener Anzug einen rostroten Fleck abbekommen. Auch seine feinen, beigen Wildlederschuhe waren für den Baudreck nicht geschaffen. Zudem war es nicht leicht, zwischen den Gerüsten und halbfertigen Räumen überhaupt bis zur Orgel vorzudringen. Vor allem, weil ihn unterwegs Bauarbeiter mehrfach verscheuchen wollten. Eigentlich hätten sie gar nicht mehr da sein dürfen, die Bauarbeiter. Um allerdings weitere Verzögerungen beim Konzerthausbau zu vermeiden, arbeiteten Bauarbeiter und Orgelbauer parallel. Maurer und Zimmerleute werkelten noch am Saal, während die Orgel bereits montiert wurde. Leider waren nun aber just die Konzerthaus-Bauarbeiter keine großen Konzertgänger. Die klassische Musikszene war ihnen völlig fremd. Sie kannten keinen Herrn Carl, geschweige denn einen Carli. Sie kannten nur ihre Vorschriften. Deshalb hat der hünenhafte und derbe Polier Heinzelmann den Konzerthausorganisten Carli schließlich am Schlafittchen gepackt und nach draußen befördert. Dabei hatte sich Carli sogar bereit erklärt, ganz vorschriftsgemäß einen quittegelben Bauhelm aufzusetzen, obwohl der mit seinem fliederfarbenen Anzug keineswegs harmonierte.

      Einhunderttausend Zuhörer pro Jahr

      Nach fünfjähriger Bauzeit ist das Konzerthaus völlig überraschend tatsächlich fertiggestellt worden. Seine Einweihung wurde mit unvorstellbarem Pomp gefeiert. Seit Carlis Taufe waren inzwischen exakt fünfundzwanzig Jahre und ein Tag vergangen. Über ein Jahr lang hatte Carli als Konzerthausorganist ohne eigenes Konzerthaus auskommen müssen. Doch nun war es vollbracht und alle, alle kamen, um der Eröffnung von Carlis Haus beizuwohnen. Der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker kam ebenso nach Leipzig wie der Ministerratsvorsitzende Willi Stoph. Hermann Axen reiste an und Kurt Hager, Frau Doktor Pille, Herr Fuchs und der liebe Sandmann. Unmöglich, alle aufzuzählen, denn insgesamt waren laut Presseberichten weit über einhunderttausend Menschen gekommen. Da die Presse der Republik aber für gewöhnlich schamlos untertrieb, sind es wohl eher über eine Million Menschen gewesen. Es gab eine Kundgebung und einen Festakt. Es wurden viele Reden gehalten und viele Auszeichnungen an die Erbauer verteilt. Schließlich gab es noch ein Eröffnungskonzert und eine Orgelweihe. Über hundert Reporter aus aller Welt berichteten über das gigantische Ereignis und wurden nicht müde, die Orgel und das um die Orgel herum gebaute Konzerthaus in höchsten Tönen zu loben. Freilich war die Orgel auch das stattlichste und modernste Instrument, welches die Republik je gesehen hat. Es verfügte über alle möglichen Werke, über Oberwerk und Unterwerk, Hauptwerk und Nebenwerk, Schwellwerk, Stellwerk, Beiwerk und Naschwerk. Außerdem hatte es sechstausendsechshundertachtunddreißig Pfeifen, von denen eine schöner pfiff als die andere. Es war einfach göttlich. Deshalb hat Carli keine Zeit verloren, um dem Haus und der Orgel zu Weltruhm zu verhelfen. Kaum war der Einweihungstrubel vorbei, hat Carli eine wöchentliche “Stunde der Orgelmusik” gestartet. Außerdem gab er zu allen sich bietenden Gelegenheiten Sonderkonzerte. Sonderkonzerte zur Leipziger Messe, Sonderkonzerte zum Leipziger Frühling, zum Leipziger Sommer, zum Leipziger Herbst und zum Leipziger Winter. Nicht zu vergessen die Sonderkonzerte für verdiente Werktätige, für vorbildlich organisierte Produktionsgenossenschaftler, für die bestkostümierten Karnevalisten der Saison und für Anrechtsinhaber des Konzerthauses. Carli spielte nun jährlich vor rund einhunderttausend Zuhörern. Da konnte selbst das renommierte Orchester von Professor Kurth nicht mithalten. Aber wir wollen nicht ungerecht sein: Die Orchestermusiker haben sich immerhin redlich Mühe gegeben.

      Ämterhäufung

      Carli hatte schnell einige Berühmtheit erlangt und stand nun unübersehbar im Rampenlicht. Deshalb wollten viele Menschen mit ihm zusammenarbeiten oder sich zumindest mit seinem Namen schmücken. Weil Carli nun aber schon immer schwer „nein“ sagen konnte, kam es, wie es kommen musste: Carli wurde inzwischen von seinen unzähligen Ämtern schier erdrückt. Dies, obwohl sich Carli nie an irgendeinen Posten herangedrängelt hatte. Einige seiner Posten bekleidete Carli freilich schon sehr lange und mit dem allergrößten Vergnügen. Nach wie vor organisierte er etwa als künstlerischer Leiter die Abendmusiken in der Bergkirche Oybin. Andere Ämter waren ihm ohne sein Zutun aufgedrückt worden. Bei der Ortsgruppe der Christlich-Demokratische Union in Leipzig/Grünau wurde Carli zum Beispiel als stellvertretender Anwesenheitsprüfer geführt. Allerdings hat er das selbst gar nicht gewusst, weil er die Parteiversammlungen prinzipiell schwänzte. Zu allem Überfluss war Carli innerhalb des Konzerthauses auch noch zum Vokabelverantwortlichen der Betriebsgruppe der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft berufen worden. Carli wollte das nicht, denn jeder dieser Posten war wichtig und erforderte vollen Einsatz. Trotzdem hatte Carli manchmal gar keine Chance, neue Aufgaben abzulehnen. So hatte der Konzertmeister des Konzerthausorchesters vor vielen, vielen Jahren das sogenannte Barockorchester gegründet, welches sich vor allem dem Werk des überaus berühmten Sebastian Barock widmete. Fast zwanzig Jahre hatte das Ensemble die Dienste des renommierten Cembalisten Herrn K. in Anspruch genommen und war damit sehr zufrieden. Doch nun war Carli da, und das Barockorchester wollte nur noch mit ihm musizieren. Immer wollen wahre Künstler nur mit den Besten ihrer Zunft zusammenarbeiten. Natürlich hat Konzertmeister Bussi das nicht offen zugegeben, sondern behauptet, dass der Konzerthausorganist automatisch und zwingend auch der Cembalist des Barockorchesters sein muss. Herr K. war deswegen sehr traurig. Carli war nicht traurig. Ein Amt mehr, so sagte er, mache das Kraut nun auch nicht mehr fett.

      Was

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