Der Garten der Welt. Ludwig Witzani

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Der Garten der Welt - Ludwig Witzani

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blickten sie auf die sechzehn- und siebzehnjährigen Konkurrentinnen an den Nebentischen, denen die Jugendlichkeit ihrer Körper so lange ein erkleckliches Einkommen garantieren wird, bis die ersten Falten den Abschied von der Jugend einläuten. Für die Mehrzahl der jungen Frauen, durchweg gutaussehende Mädchen mit perlweißen Zähnen, langen schwarzen Haaren und beachtlichen Englisch-Kenntnissen, stellten sich die Verhältnisse ganz anders dar. Insgeheim erhofften die meisten eine asiatische Variante „Pretty Woman“ oder „Dornröschen und der Märchenprinz“, die es hier öfter zu geben schien, als man dachte. Ampone stand in Briefkontakt mit einem Deutschen, einem Amerikaner und einem Engländer, dankbaren Kunden der letzten Jahre, die nichts voneinander wussten, aber regelmäßig Geld überweisen und bereit waren, die neunzehnjährige Kindfrau in ihre Heimatländer zu holen. Doch Ampone zögerte. Die Erfahrungen einer Freundin, die einem Pattaya-Gast nach Frankreich gefolgt war, gemahnten zur Vorsicht. Es gab nur Tränen, Streit und Einsamkeit, und nach einem halben Jahr hatte sich ihre Spur in der Halbwelt von Lyon verloren. Deswegen verfolgten viele Mädchen bescheidenere Ziele. Sie hofften nach einigen ertragreichen Jahren der Prostitution mit etwas Geld in einem anderen Teil des Landes ein “normales” Leben beginnen zu können, was immer das heißen mochte. Leider gelingt das nur den wenigsten. Sei es die Gewalt der Zuhälter, seien es Drogen, Krankheiten oder Kriminalität - die meisten Frauen verbleiben im Milieu und werden ihrerseits zum Publikum für die nachwachsende junge Konkurrenz. Jedermann kannte diesen Gang der Dinge, aber niemand wollte diese Aussichten auf sich selbst anwenden. Warum auch? Das Geschäft lief, und noch war der überwiegende Teil der ausländischen Kundschaft einfach zu durchschauen, leicht zu erfreuen, zu lenken und abzukassieren. Dort, wo die eine oder andere junge Frau mit einem Freier das späte Frühstück verspeiste, fühlte man sich an Brecht erinnert: Frau Puntilla nippte am Tee und ihr Knecht Matti hatte die Dollars.

       Sobald die Sonne hinter dem Horizont der zersiedelten Bucht ganz verschwunden war, eröffneten die Strandkrähen mit schrillem Dämmerungsgeschrei die Rush-hour von Pattaya. Die Tische vor den Biergärten wurden herausgestellt, und in den Homosexuellenlokalen begann die kontaktintensive Phase des Billardspiels. Schlepper postierten sich auf den Straßen und verteilten bebilderte Broschüren ortsansässiger Massagesalons. Mädchen hinter Glas mit Nummern an den Schultern können in diesen Massagesalons 24 Stunden täglich besichtigt und gemietet werden. Vor dem Bavaria­ Haus, in dem sich die deutschen Urlauber auf die Nacht mit Spanferkel und Sauerkraut vorbereiteten, nahmen junge Thais in Krachlederhosen Aufstellung und offerierten Speisekarten in deutscher Sprache. Feiner und zugeknöpfter ging es in der gegenüberliegenden "Bierkutsche" zu, hier konnte der Besucher bei dezenter Beleuchtung Sauerbraten ordern und aus angemessener Distanz hinter Glas das nächtliche Treiben beobachten. Erstaunlich viele Urlauber saßen alleine an den Tischen. Entweder wollten sie keine Gesellschaft, weil sie zu prompt und wohlfeil zu haben war, oder ihnen grauste vor einer sprachlosen Mahlzeit zu zweit. Trist und traurig sah es aus, wie der Homosexuelle mit seinem Boyfriend oder der alternde Single mit einem Barmädchen im "Cowboy Steak House" herumsaßen, fein herausgeputzt wie zu einem Fest, und sie hatten sich nichts zu sagen.

       Nirgendwo ließ sich das “Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen” so eindrucksvoll studieren, wie bei einem nächtlichen Rundgang durch die Go-Go-Bars von Pattaya. "Die Größe ein und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt." Ohne selbst jemals in Pattaya gewesen zu sein, lieferte der deutsche Psychologe Hermann Heinrich Gossen vor fast anderthalb Jahrhunderten in seinem Hauptwerk mit dem vielsagenden Titel "Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs" den Schlüssel zum Verständnis der nächtlichen Trübsal von rotem Dämmerschein und wohlfeiler Haut. Möglich, dass dem Neuling der erste Anblick der nächtlichen Glitzerwelt von Pattaya auf eine beunruhigende Weise erregend erscheinen mochte, aber spätestens nach dem dritten Barbesuch war jeder Funke Erotik zum Teufel. In rötlich-dunklen, völlig verspiegelten Sälen tanzten die Mädchen schichtweise, Stunde um Stunde, Tag und Nacht mit gelangweilten Mienen auf den Emporen, hundertfach abgetastet durch die Blicke der ausländischen Junggesellen, die sich allabendlich zu Füßen der blutjungen Tänzerinnen an kreisrunden Bartresen versammelten und die Lage sondierten - rösig und aufgedreht-heiter die einen, ganz offensichtlich peinlich berührt und zugleich fasziniert die anderen. Mit der affektiven Neutralität eines Baumarktkunden baten die Gäste einzelne Mädchen von der Tanzfläche herunter, spendierten den so genannten "Lady's Drink", und fragten nach Konditionen und Preisen. Die Kellner berieten und kassierten, während die jungen Mädchen mit so unbeteiligtem Mienenspiel dabeistanden, als ginge es um den Kauf einer Zugfahrkarte.

       Flüchtete sich der Besucher vor dieser deprimierenden Wiederkehr des Gleichen in die großen Biergärten, geriet er unvermittelt in ein schwer durchschaubares Reich der Fiktion. Hier war nichts wirklich das, was es zu sein schien: Die Thai-Boxer, die sich in großen Boxringen oberhalb der langen Biertheken gegenseitig gegen Köpfe und Schultern traten, kämpften nur im Konjunktiv. Es wurde geklatscht und gestöhnt, doch alle Muskelkraft verpuffte in einer artistischen Leere. Die Touristen, die an den Tresen hockten, taten so, als würden sie den Thai-Boxern zuschauen, und die Mädchen, die die Getränke ausschenken, gebärdeten sich, als könnten sie sich spontan in jeden westlichen Biertrinker verlieben. Die langen Thekenkarees waren auf Familien aufgeteilt, bei denen die Mütter den Ausschank überwachten und die Töchter munter zapften und bedienten - kokett und frivol eine jede, doch längst nicht jede stand auch zur Prostitution zur Verfügung, eine Tatsache, die manch ein Tourist erst bemerkte, wenn er an eben der Theke eine gehörige Rechnung hatte auflaufen lassen. Was hier abging, war routiniertes Geschäft, und je deutlicher ein Urlauber sich seine Begierde anmerken ließ, desto stärker würde er trinken und löhnen müssen.

       Diese Begierde stand am Anfang der Erfolgsgeschichte Pattayas, und ihre Monomanie ist es, die den Ort in die Sackgasse geführt hat. Die verlockenden Nachrichten von willigen Thai-Mädchen, die für kleines Geld auch den Busfahrer, Tankwart oder Schulmeister in einen Märchenprinzen unter Palmen verwandeln, hatten der Expansion des ehemaligen Fischerdorfes seit der Mitte der Achtziger Jahre eine gewaltige Schubkraft verliehen. Längst ging die Zahl der Übernachtungen jährlich in die Millionen, wenngleich die Pro-Kopf-Ausgaben des durchschnittlichen Pattaya-Touristen zu sinken schienen. Waren es früher überwiegend zahlungskräftige Kurzzeiturlauber, die die Korken knallen ließen, kommen nun immer mehr Auswanderer mit bescheidenem Budget nach Pattaya. Auch die Ostasiaten und Inder, die mittlerweile in großer Zahl Pattaya besuchen, sind nicht gerade als besonders freigiebig bekannt. Außerdem litt der Ort immer stärker unter der Abwerbekraft der inländischen Konkurrenz, denn in Phuket, Krabi und Kosamui waren die jungen Prostituierten nicht weniger willig, die Preise aber moderater und die Sonnenuntergänge beeindruckender als in Pattaya.

       Die Tourismusverantwortlichen der Stadt wollten diese Erklärungen nicht gelten lassen. Sie machten die negative Berichterstattung der ausländischen Presse für den touristischen Niedergang Pattayas verantwortlich. Jeder Unfall, jede Schlägerei oder Todesfall müsse dafür herhalten, immer die gleichen Vorurteile wiederzukäuen. Auch die alten Geschichten von einer deutschen Mafia und dem sogenannten "Herzunfall von Pattaya" (ein Euphemismus für den Rauschgifttod) würden maßlos übertrieben. Im Tourismusbüro von Pattaya lagen inländische Zeitungen aus, die in großer Aufmachung über die Zerschlagung zahlreicher Mädchenhändler-Banden zwischen Bangkok und Pattaya berichteten. Doch diese Erfolge blieben im Ausland nahezu unbeachtet. In Wahrheit sei Pattaya längst dabei, eine clean City zu werden, versicherten die Verantwortlichen, ein verlockendes Ziel für neue Nachfragegruppen, und die ersten Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel seien bereits mit Erfolg gemeistert worden.

       Tatsächlich konnte die Tourismus-Behörde seit einigen Jahren auf nachhaltige Anstrengungen verweisen. Eine spezielle Touristenpolizei kümmerte sich neuerdings um nichts anderes als die Belange und Beschwerden der ausländischen Gäste. Mit beachtlichem Kapitaleinsatz wurden neue touristische Sehenswürdigkeiten etabliert: So können Besucher, die ihren Urlaub nur in Pattaya verleben, im Freizeitpark Little Siam die unterschiedlichen Attraktionen Thailands im Miniaturformat betrachten. Es gibt einen Rock Garden, eine Crocodile Farm, eine Alcazar­Transvestiten­Show, und auch auf Elefanten kann man außerhalb der Stadt ein wenig reiten. Internationale Tennisprofis schwingen alljährlich ihr Racket

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