Der Garten der Welt. Ludwig Witzani

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Der Garten der Welt - Ludwig Witzani

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weil er eingestand, dass seine Weltentsagung nur für eine kleine Zahl von Menschen lebbar war, wobei dem einfachen Gläubigen immerhin die Möglichkeit blieb, in der Verehrung dieser wenigen religiösen Virtuosen ebenfalls Verdienste zu erwerben. Der Mayahana-Budhdismus, der Buddhismus des „großen Fahrzeugs“, der die Lehre des Erleuchteten mit Millionen Geistern und Göttern anreicherte, entstammte einer späteren Epoche und verbreitete sich auf einem anderen, einem zentralasiatischen Weg über die Seidenstraße nach China.

       Am gleichen Abend kehrte ich nach Phithsanulok zurück und spazierte über den Nachtmarkt. Träge floss der Nan River unterhalb der Böschung nach Süden, große Hügel voller abgeholzter Bäume warten am Ufer auf ihren Abtransport. Die anhebende Dämmerung warf ihren Schatten über den Fluss, und an den Essenständen herrschte bereits Andrang. Viele thailändische Familien absolvierten ihren Abendspaziergang, auch Männergruppen, aber nur wenige Touristen waren unterwegs. Hoch schlug die Stichflamme aus den Pfannen der Garköche, die Speck, Bohnen, Fleisch, Fisch und allerlei undefinierbares Gemüse zum Kochen brachten. Erstaunlich viele Prostituierte standen im Halbschatten der Seitenstraßen und warteten auf Kundschaft, einige von ihnen von erschütternder Kindhaftigkeit. Obwohl Prostitution in Thailand offiziell verboten ist, gehört ihr Anblick zum festen Bestandteil des thailändischen Alltags. Längst hat sich die käufliche Liebe zu einem der größten Wirtschaftszweige des Landes entwickelt, nachgefragt nicht nur von westlichen Touristen in Bangkok oder Pattaya sondern massenhaft auch von der einheimischen Männerwelt in der thailändischen Provinz. Als ich mich in einer Garküche biederließ und ein Fischgericht bestellte, konnte ich beobachten, wie die Kontaktaufnahme zwischen Prostituierten und Freier ablief. Männern wie Frauen schienen die Verhandlungen peinlich zu sein, gerade so, als beherrsche sie eine Aversion gegenüber dem, was sie taten. Trotzdem wurde man sich schnell handelseinig und verschwand im Schatten einer Gasse. Der unbedarfte westliche Besucher, der so etwas zum ersten Mal erblickt, ist leicht geneigt, dieses Geschehen nach einem weitverbreiteten Standardklischee zu beurteilen, in dem Gut und Böse fein säuberlich getrennt sind. Danach prostituieren sich die hungernden Frauen aus purer Not, aus Hunger oder um ihre Familien zu ernähren. Nichts könnte falscher sein. Thailand ist kein reiches Land, und auch wenn die Lebensbedingungen unvergleichlich viel härter sind als in Europa oder Amerika, verhungert niemand mehr in Siam. Die Wahrheit ist viel prosaischer. Wer sich in Thailand prostituiert, will einfach schneller und leichter Geld verdienen, als dies für junge Frauen auf den Reisfeldern der in der Fabrik möglich ist. Dass diese Pläne dann oft nicht aufgehen, und dass die jungen Frauen schnell in das Räderwerk krimineller Zuhälterstrukturen geraten, ist dann wieder eine ganz andere Geschichte.

       Der Bus brachte mich am nächsten Tag in einer fünfstündigen Fahrt von Phitsanulok aus zuerst nach Nakhim Sawan, dann über Ang Thong bis nach Ayutthaya, das sich nur noch eine gute Busstunde von Bangkok entfernt befindet. Um Treibstoff zu sparen, stellte der Busfahrer die Klimaanlage des Busses aus und behauptete, als die Fahrgäste protestierten, sie sei defekt. Jedermann riss die Fenster auf, doch nur um heiße Luft in den Bus zu lassen, der mit der Gewalt eines heißen Föhnstrahls durch die Reihen fegte. Als ich den Bus in Ayutthaya verließ, umgab mich die Hitze wie eine zweite, glitschige Haut. Augenblicklich brach mit der Schweiß aus, und ich flüchtete ins nächstbeste Hotel, dessen Außenwerbung eine Klimaanlage verhieß. „Kälte ist Zivilisation“ heißt es in „Mosquito Coast“. und manchmal ist sie genau das, was der Reisende in den Tropen mehr als alles andere braucht. Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich, wie sich die Prostituierten für die Nachtschicht in Position brachten. Da blieb ich doch lieber im kühlen Zimmer und beschäftigte mich mit Ayutthaya.

       Ayutthaya, heute eine nicht sonderlich bedeutsame Provinzstadt siebzig Kilometer nördlich von Bangkok war über vierhundert Jahre hinweg die glanzvolle Hauptstadt Thailands gewesen. Schon einhundert Jahre nach der Gründung Sukothais hatten die Fürsten von Aytuhia Macht, Einfluss, Ressourcen und Bevölkerung der alten Hauptstadt überflügelt. Ohne große Auseinandersetzungen wurde Sukothai in der Mitte des 14. Jahrhunderts wie als eine Art ältere Schwester in den Reichsverband von Ayutthaya einfach einverleibt. Da das einstmals so ruhmreiche Khmer-Reich seine besten Tage hinter sich hatte und es im benachbarten Burma drunter und drüber ging, konnten die Könige von Ayutthaya die Grenzen ihres Reiches bis nach Laos, Kambodscha und auf die malayische Halbinsel ausweiten. Aus der kleinen Garnisonsstadt in einer Flusschleife des Chao Praya entwickelte sich eine der größten Städte Asiens, umgürtet von einer gewaltigen Stadtmauer und mit zahllosen Tempeln und Palästen geschmückt. Von den Holländern, Engländern und Portugiesen, die ab dem 16. Jahrhundert an den Küsten erschienen, importierte man die Feuerwaffen, die man zur Abwehr der Burmesen brauchte und versuchte zugleich mehr schlecht als recht, sich den Zudringlichkeiten der europäischen Mächte zu entziehen. Europäische Kapitäne, Seeräuber, Händler oder Schmuggler suchten ihr Glück an den Grenzen Indochinas und waren in der Wahl ihrer Mittel alles andere als zimperlich. Einer von ihnen, den das Geschick in ganz besonderer Weise weit emporhob, um ihn dann umso tragischer abstürzen zu lassen, war der Grieche Konstantin Phaulkon, den ein abenteuerliches Seefahrerleben im Dienst englischen Ostindienkompagnie im Jahre 1675 nach Ayutthaya verschlug. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Sprachbegabung stieg er schnell zum Dolmetscher am Hof König Narais auf, der an ihm einen Narren gefressen hatte und ihn schon nach kurzer Zeit zum Minister ernannte. In seiner Eigenschaft als privilegierter Ratgeber des Königs bereicherte sich Phaulkon so schamlos, dass es selbst den Mitgliedern des wenig zimperlichen Königshofes auffiel. Um sein Gastland gegen die Expansion der Engländer zu schützen, entsandte Phaulkon im Jahre 1684 eine siamesische Gesandtschaft zum Hof des Sonnenkönigs in Versailles und erlaubte den Franzosen den Bau einer Befestigung im Stadtgebiet des heutigen Bangkok. Die sich andeutende katholische Mission und die Absinken Thailands auf den Rang einer französischen Kolonie wurde allerdings durch eine höfische Opposition unter der Führung des Adligen Petraja verhindert. Er ermordete den erkrankten König Narai und ließ Phaulkon gefangennehmen und hinrichten. Als neuer thailändischer König begründete Petraja nicht nur eine neue Dynastie sondern verfügte, dass alle ausländischen Mächte Thailand verlassen mussten, was bis 1690 auch geschah.

       Ich las weiter bis spät in die Nacht, ehe ich einschlief. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Klimaanlage war ausgefallen, es war stickig heiß im Zimmer, und ich war von Mücken gestochen worden. Ich versuchte den Ventilator anzustellen, doch er funktionierte nicht. Nachtlampe? Fehlanzeige. Draußen war es ruhig, dann hörte ich laute Stimmen im Hinterhof. Mit schepperndem Rappeln sprang der Generator an, kurz darauf setzte sich der Ventilator in Bewegung. Das Licht ging an, und ich schlug zwei Mücken tot. Eine Tropennacht, wie ich sie oft erlebt hatte.

       Am nächsten Morgen lernte ich beim Frühstück die Japanerin Naiko kennen, eine junge Frau irgendwo zwischen zwanzig und dreißig, die völlig in schwarz gekleidet war und bei jedem Wort, das sie sagte, die Augen weit aufriss. Soweit ich ihr Englisch verstehen konnte, war sie Studentin, kam aus Osaka und befand sich auf ihrer ersten Asienreise, die sie bisher durch Vietnam, Laos und Kambodscha nach Thailand geführt hatte. Immerfort ratterte sie alle Sehenswürdigkeiten herunter, die sie schon gesehen hatte und schlug mir anschließend vor, mir ihr gemeinsam ein Tuk-Tuk zu mieten, das uns einige Stunden lang durch das weitausgedehnte Ruinengelände von Ayutthaya fahren würden. Das war eine gute Idee, denn die Tuk Tuk Fahrer, die vor dem Hotel bereits auf Kundschaft warteten, forderten gesalzene Preise. Der junge Tuk-Tuk-Fahrer, den wir für unsere Ayutthaya-Tour auswählten, hatte von der Königsstadt zwar keine Ahnung, folgte aber gehorsam den Anweisungen, die ihm Naiko auf der Grundlage ihrer Ayutthaya- Karte gab und war ansonsten ein unauffälliger Geselle, der während unserer Besichtigungen geduldig wartete oder sich einfach in den Schatten zu einem Nickerchen verzog.

       Die dreieinhalb Stunden, die ich mit Naiko und unserem somnabulen Tuk-Tuk-Fahrer auf dem Ruinenfeld von Ayutthaya verbrachte, gehörten zu den anschaulichsten Erlebnissen meiner Thailand-Reise. So weit verstreut die Ruinen auch im Gelände lagen, so waren doch fast alle prachtvoll herausgeputzt und manchmal wie eine Installation mitten in das Gesträuch drapiert. Hier und da waren moderne Steinbuddhas mit leuchtendgelben Gewändern einfach dazugestellt worden, damit sich der Anblick eines verfallenen Tempels oder Palastes auch effektvoll abrunde. Auch wenn ich wusste, dass Vieles, was ich sah, nicht

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