Tarius. Patrick Fiedel
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„Julius Tarius“, sprach eine tiefe und ihm bekannte Stimme. Er schaute nach oben und musste die Augen zusammenkneifen, weil die Sonne ihn blendete.
„Mein lieber Julius“, sprach die Stimme wieder und aus der Sonne heraus griffen zwei Arme nach ihm und hoben ihn hoch in die Luft. Jetzt erkannte er seinen Großvater, sein Abenteurervorbild. Er umarmte ihn, so fest er konnte, und vergoss dabei ein paar kleine Tränen.
Hoch in der Luft in den Armen seines Großvaters war er glückselig.
„Opa“, schluchzte Julius und legte seinen Kopf auf seine Schulter.
Nach ein paar glücksgenießenden Atemzügen wurde er wieder auf den Boden gestellt und betrachtete seinen Großvater. Er hieß nicht nur so, er war auch groß. Und kräftig. Seine grauen Haare waren etwas länger als noch vor zwei Jahren und sein Vollbart schimmerte genauso grau wie seine Haare. Er trug eine schwarze Weste über einem weißen Hemd und eine schwarze Cargohose mit unendlich vielen Taschen.
„Wer ist denn das kleine Mädchen da am Fenster, das uns zuwinkt?“, fragte er.
Julius war überrascht. Er drehte sich um und sah auf den abfahrenden Zug. Tatsächlich saß dort das kleine bezopfte Mädchen mit ihrem Stofftier in der Hand. Sie schaute heraus und winkte freudig. Er schaute sie an und dann auf seinen Großvater. Dieser winkte zurück und lachte.
Julius hob seine linke Hand und winkte auch. Das freute das Mädchen ungemein und sie grinste über beide Ohren. Er wurde rot. Der Zug schleppte sich das Bahngleis entlang in die Ferne.
„Dann wollen wir mal“, sprach Opa Tiberius und griff sich den Koffer. Julius lief neben ihm und schaute abwechselnd auf den Weg vor sich und nach oben zu seinem Großvater. Dieser schaute nach unten und schmunzelte.
„Ich habe dann eine Überraschung für dich. Aber erst gehen wir nach Hause.“
Sie liefen den Bahnsteig entlang und gingen vorbei am Bahnhofshäuschen auf einen kleinen Feldweg. Die Wildblumen wucherten wild in die Höhe und verrieten durch allerhand Geräusche ihre zahlreichen Mitbewohner. Julius und Großvater unterhielten sich. Über die Schule, über seine Mutter und wie sie gewesen war, als Kind.
Sie sprachen über Julius’ Vater und den Lehrerberuf, der eigentlich ein guter wäre, meinte zumindest Opa Tiberius. Sie redeten und lachten. Sie schwiegen und lauschten. Nach einer Weile waren sie am Ziel. Der Weg machte eine Biege nach links und eine nach rechts.
„Na, mein kleiner Abenteurer“, fragte sein Großvater, „in welche Richtung müssen wir gehen?“
Julius versuchte, sich zu erinnern, aber bei seinem letzten Besuch waren sie mit dem Taxi bis zu dem Haus gefahren.
„Ich gebe dir einen Tipp“, sprach es großväterlich weiter, „wir müssen nach Norden.“
Na toll, dachte Julius. Wo war nochmal Norden? Er dachte nach. Die Sonne ging im Osten auf, das war schon mal klar. Im Süden nahm sie ihren Lauf, grübelte er weiter. Im Westen würde sie untergehen und im Norden war sie nie zu sehen. Julius war verwirrt. Er drehte sich auf der Stelle und wiederholte den Merksatz über die Himmelsrichtungen laut.
„Gut so.“
„Ich bin verwirrt, Opa.“
„Macht nichts“, antwortete dieser lächelnd.
Julius schaute mit fragendem Blick auf seinen Großvater. Dieser griff in seine Westentasche, zu der eine silberne Kette führte, und holte eine silberne Taschenuhr hervor. Er klappte sie auf und kniete sich neben seinen Enkelsohn.
„Siehst du die Zeiger?“, holte er aus. „Das sind der Stundenzeiger und der Minutenzeiger. Jetzt konzentrieren wir uns nur auf den Stundenzeiger. Ich richte die Uhr nun so aus, dass der Stundenzeiger direkt auf die Sonne zeigt. Jetzt schau auf die Uhr und auf die 12. Ich teile jetzt die Skala, also den Randbereich zwischen dem Stundenzeiger und der 12 genau in der Hälfte. Durch diesen Punkt hindurch denken wir uns eine Linie genau von der Mitte der Uhr aus kommend. Und diese zeigt nach Süden.“
Julius stand mit offenem Mund vor Opa Tiberius und streckte seinen Arm entlang der gedachten Linie nach Süden. Dann streckte er seinen anderen Arm genau in die gegenüberliegende Richtung und stand nun da wie ein rot warnendes Ampelmännchen.
„Dort entlang“, sagte er stolz.
Sein Großvater richtete sich auf, strich seinem Enkel liebevoll über den Kopf und schritt voran.
Sie verließen den Feldweg und marschierten querfeldein durch die hohen Wiesen, durch eine kleine Waldlichtung, über einen breiten Schotterweg, bergab an einem Bach entlang, dann wieder bergauf und schlussendlich schlüpften sie durch eine hohe Hecke und dann standen sie vor einem kleinen Holzzaun mit einem rostigen Gartentor.
„Wir sind da“, freute sich Julius.
„Und war das nicht ein viel spannenderer Weg, als über asphaltierte Straßen und Fußwege zu laufen?“
„Ja, Opa.“
Julius konnte sich nicht erklären, warum er auf einmal losrannte, aber er tat es. Er flitzte durch das geöffnete kleine Tor, hüpfte über den steinigen Weg, spurtete vorbei an kleinen Apfel- und Birnbäumen, stoppte und betrachtete die große Holztür, die genau in der Mitte des kleinen Häuschens thronte und durch herunterhängende Weinranken eingerahmt war, flutschte weiter am Haus vorbei, sprang auf die kleine Holzveranda, atmete kurz durch und beschleunigte mit Vollgas über die große Grünfläche bis zum Holzzaun am Ende des Gartens.
„Lass uns ins Haus gehen. Hast du Hunger?“, rief sein Großvater.
„O ja“, antwortete Julius freudig und rannte zum Haus zurück.
„Du hast ja zwei neue Schaukelstühle“, stellte er fest und setzte sich kurz hinein.
Dann folgte er seinem Großvater über eine Verandatür nach innen in die Küche.
„Schau dich ruhig um“, sagte Opa Tiberius und wärmte einen vorbereiteten Eintopf auf dem Gasherd auf.
Julius schaute sich um. Er betrachtete sich in einem Spiegel im Flur und zog eine Grimasse und dann schaute er sich das Arbeitszimmer mit den dunklen großen Regalen an. Unzählige kleine und große, schwarze und graue, gelblich und blau schimmernde Gesteinsproben bevölkerten die Regalabteile, Bücher und Akten ragten aus den Fächern heraus.
Julius setzte sich kurz an den dunkelbraunen Holzschreibtisch am Fenster, drehte an der nebenstehenden Werkbank einen Schraubstock erst auf und dann wieder zu, stand auf und ging bis zu einem riesengroßen weinroten Ohrensessel aus Leder, setzte sich und knipste eine grün leuchtende Lampe an und wieder aus, rannte ins Wohnzimmer und schmiss sich auf die Couch.
„Opa, ich mag dein Haus“, rief er.
„Das freut mich, Julius“, rief dieser zurück. „Du kannst ja hier einziehen, wenn ich es einmal nicht mehr brauche.“
Julius hüpfte von der Couch, ging in die Küche und setzte sich an den weißen Tisch in der Mitte des Raumes.