Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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      Aber er schüttelte nur unwillig seinen glänzenden Schädel. »Sie wissen so gut wie ich, dass es nur ein Hinauszögern wäre. Wenig später kommen sie mit neuen Leuten und ausgeklügelteren Tricks zurück – nur ihre Ziele bleiben die alten. Herrgott noch mal, Sie waren doch selbst Staatsanwalt und wissen, wie wenig Handhabe wir gegen diese Burschen hätten – in der gewöhnlichen Rechtsfindung zählen Gefühle und Intuitionen nicht.«

      Ein Warnschuss knallte herüber … und ich schreckte aus meinen Gedanken auf.

      Ich sah das Mündungsfeuer in der Schwärze unter dem Scheinwerfer des Wachturms.

      Es war ein trockener, kaum nachhallender Knall, wie von einem frisch geölten Karabiner mit gerade gereinigtem Lauf.

      Der Alte auf der Mauer kümmerte sich nicht darum. Nur einmal blickte er – argwöhnisch – in den Westsektor zurück, als ein schweres Motorrad hinter uns durch die Parallelstraße fuhr.

      Ich musterte die graue Straße mit ihren hohen alten Häusern – in einigen Fenstern war Licht, und Leute lehnten heraus und sahen zu uns hinunter –, dann überquerte ich mit schnellen Schritten die Fahrbahn, zog mich ein Stück an der Ladefläche des Transporters hoch und versuchte einen Zipfel seines Hosenbeins zu fassen. Ich musste mich recken, um von der Stoßstange aus den Mauerkranz zu erreichen. Er entzog mir sein Bein.

      »Um Gottes willen, lassen Sie doch den Unsinn … erkennen Sie mich denn nicht mehr?«

      Er warf mir einen unsagbar traurigen Blick zu … melancholischer als Smith‘s Herbst-Oden …

      Noch vor wenigen Tagen hatten wir zahllose Gespräche miteinander geführt. An seiner Schuld gab es keinen Zweifel, und er wusste es.

      Als habe er meine Gedanken gelesen, hob er nun auch das andere Bein auf die östliche Seite der Mauer. Dann sah er zögernd an der hohen Wand hinunter.

      Aus der Richtung des Fahrwegs jenseits des Todesstreifens war das Aufheulen schwerer Motoren zu hören – von Militärfahrzeugen, die dort Stellung bezogen.

      Eine Stimme brüllte etwas über Megaphon herüber, das im Lärm unterging.

      Ich war nicht einmal sicher, ob sie sich völlig klar darüber waren, in welche Richtung er klettern wollte – in den Osten oder Westen? – und ob er das eine Bein vielleicht nur wieder herübergenommen hatte, weil er zögerte …

      Noch mehr Bogenlampen flammten auf und erleuchteten taghell den Himmel über uns. Von fern heulte eine Sirene auf und verstummte wieder.

      Der Bulgare wandte langsam den Kopf nach mir … an seinem Blick erkannte ich, dass er zum Sprung entschlossen war. Es bedeutete nichts Geringeres als die »Heimkehr« für ihn …

      Und während er über die Mauerkrone rutschte, sich mit beiden Händen in leicht verdrehter Haltung abstieß, um beim Absprung nicht mit Kopf oder Rücken an der Betonmauer anzuschlagen, fiel er – den Bruchteil einer Sekunde lang war es deutlich zu erkennen – in die Kugeln der Salve, die vom Wachturm drüben aus abgegeben wurde …

      Ich hörte den Aufprall seines Körpers auf dem Sandboden jenseits der Mauer …

      Einen Augenblick lang stand ich wie erstarrt da. Er gab keinen Laut mehr von sich. Verhaltene Stimmen und die Schritte schwerer Stiefel waren vom asphaltierten Fahrweg hinter dem Todesstreifen zu hören. Ich überquerte eilig die Straße, um nicht in ein Verhör mit der Westberliner Polizei verwickelt zu werden, die jetzt bald auftauchen würde.

      Als ich in die Potsdamer Straße einbog, entdeckte ich den schwarzen Mercedes …

      Er parkte einsam im Schatten des Eckhauses unter einer ausgeschalteten Straßenlaterne.

      Während ich auf ihn zuging, rollte er langsam vor, und als er wendete, erkannte ich F.s kahlen bebrillten Schädel durch die Windschutzscheibe. Er saß auf dem Beifahrersitz und wandte den Kopf ab, als er mich sah. Dann fuhr der Wagen in Richtung Moabit davon.

      Am nächsten Morgen entdeckte ich in der Zeitung eine Notiz über den Zwischenfall. Einen mageren Sechszeiler, in dem es hieß, der Bulgare habe abends »gegen 22 Uhr aus bisher ungeklärten Gründen« die psychiatrische Abteilung des Wilmersdorfer Krankenhauses verlassen.

      Ein ärgerlicher Lapsus für F., dachte ich, denn auf Publicity konnte er nicht versessen sein.

      Aber als ich ihn am Nachmittag traf, zeigte er sich erstaunlich gelassen. Er saß mir an seinem großen, unaufgeräumten Schreibtisch in der Zentrale gegenüber, die, seit ich ihn kannte, immer im Begriff war, wegen der angeblichen Gefahr der Enttarnung verlegt zu werden, kaute wie gewöhnlich Weingummibärchen und zeigte nicht die Spur einer Verunsicherung. Angeblich hatte man ihn gerade erst telefonisch über den Vorfall unterrichtet. Zum Glück gab es keine Fotos von dem Mann auf der Mauer. Die Zeitungsnotiz stützte sich auf Zeugenaussagen.

      An jenem Nachmittag kam mir der Verdacht, sie hätten ihn auf irgendeine Weise dazu gebracht, in den Osten zu klettern – ich weiß nicht, mit welch dreckigem Trick und was sie ihm dazu eingeredet hatten …

      Jedenfalls war es ein sauberer Tod für F’s Leute, an dem sich niemand die Hände schmutzig zu machen brauchte …

      Der Grund für seine Einlieferung in die psychiatrische Abteilung blieb allerdings mysteriös. Während der Verhöre hatte er keine Anzeichen einer psychischen Krankheit erkennen lassen (durch meine frühere Tätigkeit als Staatsanwalt glaubte ich davon genug zu verstehen). Aber ich versuchte nicht einmal, darauf anzuspielen.

      Ich fragte F. nicht nach dem Mercedes an der Straßenecke – er hätte es ohnehin geleugnet.

      Ich fragte ihn auch nicht, wer dem Bulgaren die Stelle genannt und wer den VW-Transporter mit der Holzleiter so dicht an der Mauer geparkt hatte.

      Am späten Abend kehrte ich noch einmal an die Stelle in der Bellevuestraße zurück und vergewisserte mich, dass man die Kletterpartie des Alten vom Parkplatz des Mercedes hatte beobachten können. Es war der Punkt, von dem aus man eben noch an der Hausecke vorbeisah.

      Die Stelle, wo der Transporter gestanden hatte, war leer. Ich nahm an, dass es F. keine Schwierigkeiten bereitet hatte, sich den Wagen für einige Stunden zu besorgen; und ebenso sicher erschien es mir, dass sein Fahrer – den unwahrscheinlichen Fall vorausgesetzt, dass sich jemand die Fahrzeugnummer des Transporters notiert hatte – beweisen können würde, in einem der Häuser gegenüber einen »dringenden Auftrag« erledigt zu haben.

      2

      Kofler schien ernsthaft zu glauben, er beziehe sein Ein-Zimmer-Apartment nur, um eine Weile vor der Neugier westlicher Journalisten geschützt zu werden. Jedenfalls gab er vor, das zu glauben – und er spielte seine Rolle gut …

      Mir fiel auf, mit welcher Unbefangenheit er auch auf heiklere Fragen einging. Ein Marxist ohne eine Spur bürokratischer Kleinkariertheit oder jenem Hang zu weltanschaulicher Eiferei, die ich so oft an seinen Genossen beobachtet hatte.

      Aus Gründen, die ich noch nicht durchschaute, hielt ich ihn sogar für einen ausgemachten Epikureer. Ein Zug, der mir imponierte, weil ich selbst eher dem anderen Lager angehöre, »der melancholischen Fraktion«, wenn man so will (glücklicherweise verschaffte mir F. ein ausgezeichnetes Medikament dagegen).

      Bei alledem wirkte er zurückhaltend

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