Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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gelegentlich von einem wohlmeinenden Hausmeister geleert. Das Gegenstück des Tipptastenfeldes in der Tiefgarage war hinter einem verschlossenen Eisentürchen verborgen.

      Sie hatten Kofler am frühen Morgen in einem fensterlosen Lieferwagen herübergefahren. Vom Übergang Friedrichstraße zur Wohnung waren es nur wenige hundert Meter. Allerdings brachte man ihn zunächst nach Lichterfelde – ein Umweg von einigen Kilometern durch den Süden des Westsektors –‚ wo man ihn sicherheitshalber in einer Garage umsteigen ließ.

      Als er mir in der Wohnung zum ersten Mal entgegentrat, wirkte er unausgeschlafen, übermüdet und sah gar nicht wie ein »Messias« aus.

      Angeblich hatte ihn die Nachricht von seiner endgültigen Abschiebung in den Westen überrascht. Es mochte auch Nervosität sein oder Angst. Leider lassen die sichtbaren Gemütsbewegungen eines Menschen nicht unbedingt Rückschlüsse auf seine wahren Gedanken zu, wie jeder gute Pokerspieler bestätigen kann. Deshalb misstraute ich auch allen Arten von Apparaten, die neuerdings im Einsatz waren – vom alten Lügendetektor ganz abgesehen, denn Hautwiderstand ist mental beeinflussbar – also: Stimmenstressanalysator, Gesichtswärmemesser und ähnlichem Zeug.

      Koflers rötlich durchschimmernde Haut hatte einen fahlen, aschgrauen Ton angenommen. Nur seine strahlend blauen Augen machten genau denselben lebendigen Eindruck, wie ich ihn von einem kurzen Super-8-Film her kannte, der in Warschau aufgenommen worden war.

      Dieser Gegensatz irritierte mich ein wenig. Er hatte den durchdringenden Blick, der jemanden mit schlechtem Gewissen – und wer von uns hat nicht irgendwo wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen? – befangen werden ließ. F.s Leuten gegenüber hatte er behauptet, die letzten vier Stunden vor seiner Ausweisung verhört worden zu sein.

      »Sie haben mich nicht geschlagen«, betonte er. »Allerdings haben sie mir Schläge angedroht. Einer von diesen Kerlen, die den Verein drüben leiten – ein merkwürdiger Bursche mit rosigem Gesicht, der eher wie ein Pfarrer aussieht und eine Vorliebe für breitkrempige dunkle Hüte zu besitzen scheint – «

      »Mit hellblondem Haar und auffälligen Hängebacken?«, unterbrach ich ihn.

      Kofler musterte mich überrascht. »Sie haben schon mit ihm zu tun gehabt? Nun, sie drohten mir an …«, er stockte und schluckte kurz, ehe er fortfuhr, »falls ich – wie sie es nannten – im Westen meine revisionistischen Schmierereien, meine angeblichen Diffamierungen und Agitationsversuche fortsetzte, würden sie dafür sorgen, dass meine Schwester, sie lebt in der Schweiz, jeden Monat einen Finger meiner rechten Hand zugeschickt bekäme – der Schreibhand.«

      Er betrachtete seine Faust.

      »Was sind das für Leute«, stellte er kopfschüttelnd fest. Er schien tatsächlich peinlich berührt. Es wirkte echt.

      »Sie haben eine Schwester in der Schweiz? Davon wusste ich nichts.«

      »Zweiundsiebzig«, bestätigte er. »Eine alte Lehrerin. Aber noch sehr rüstig.«

      Wir gingen hinüber, und ich bot ihm Platz in seinem Apartment an. Er warf einen wohlwollenden Blick auf die Inneneinrichtung.

      »In Polen leben wir zur Zeit sehr armselig«, bemerkte er.

      Kruschinsky ging frische Brötchen und Tageszeitungen holen.

      An der Fahrstuhltür fing ich ihn ab.

      »Lass dein hageres Pickelgesicht um Gottes willen möglichst wenig bei uns sehen« – Kruschinsky hatte den Teint eines Primaners, der seine Pubertät in die Studienjahre verschleppt hatte –, »ich glaube, Kofler ist ein Ästhet, eine empfindsame Künstlerseele. In seinem Koffer haben wir ein Exemplar von Stefan Georges Im Jahr der Seele entdeckt«, raunte ich ihm zu.

      Das war nicht sehr freundlich, geschweige denn zartfühlend. Doch F. wollte möglichst wenig Kontakt der Techniker zu den Klienten, und das gelang am ehesten, wenn man sie auf irgendeine Weise beleidigte.

      Es fand sich immer ein Anlass dazu: O-Beine, Stottern oder eine Freundin, unter deren Pantoffel man angeblich stand – genug, um jemanden so vor den Kopf zu stoßen, dass er sich eine Zeit lang gekränkt an das Fenster mit dem L.D.A. (Laser-Daten-Austauscher) zurückzog.

      Besonders in der Anfangsphase neigten Neulinge dazu, jedem Gespräch, jedem Wortfetzen zu folgen, den sie aufschnappen konnten, und das hätte leicht dazu führen können, den Zweck der Aktion zu erraten.

      Da Kruschinsky auch für die Verpflegung und das Reinemachen der Wohnung zuständig war, ließ sich der Kontakt mit Kofler kaum vermeiden. Für ihn war er ein Dissident, der vor »neugierigen Journalisten« versteckt wurde. Bei dieser Gelegenheit fühlte ihm der Verfassungsschutz ein wenig auf den Zahn. Eine verständliche Vorsichtsmaßnahme, aber kaum mehr als Routine. Er durfte nicht den Eindruck haben, man wollte ihm etwas vorenthalten.

      »Keine Atmosphäre der Geheimniskrämerei!, hatte F. gefordert. »Das wäre ein grober Fehler. Sie wissen ja:

      Wo Geheimnisse sind, da versucht man ihnen auf die Spur zu kommen.«

      Dass wir so viele Jahre unter den Augen der Ostdeutschen ungestört hatten arbeiten können, war unserer guten Tarnung zu verdanken. Es gab keinen Anlass für einen Verdacht, weder durch Nachbarn noch durch den Osten. Die Wände waren isoliert, die Wohnung angeblich verlassen, das Fenster undurchsichtig, und der Ausgang mündete im Nachbarhaus.

      »Misstrauen ist ein beherrschender Zug der menschlichen Natur«, pflegte F. zu sagen. »Ich will sogar zugeben: ein sinnvoller. Die Evolution konnte nicht darauf verzichten.

      Beobachten Sie nur die Tiere in der freien Natur: alles Fremde beäugen sie misstrauisch, fliehen oder versuchen sein Geheimnis zu ergründen. Und hat sich erst einmal der Keim eines Verdachtes festgesetzt, ist er durch keine Beteuerungen mehr aus der Welt zu schaffen. Der Mensch ist da noch konsequenter als das Tier.«

      F. hätte seine eigene Krankheit kaum treffender beschreiben können. Denn Misstrauen – und der Preis, den man dafür bezahlte – war seine Berufskrankheit. Es war das, was blieb, wenn alle anderen Gefühle, die des Hasses, der Liebe, der Zärtlichkeit, des Humors längst verkümmert waren. Misstrauen und die Angst vor Fehlern.

      Ein Arzt ist umsichtig, ein Seiltänzer vorsichtig, ein Buchhalter genau – aber jemand in unserer Position?

      Es waren das Misstrauen und die Angst, die uns mit spöttischem, versteinert über die Zähne hochgeblecktem Grinsen, dünnlippig und fieberäugig, wie Orwells Großer Bruder über die Schultern sahen. Jede Angst ganz persönlich; und doch immer die gleiche. Wegen eines Fehlers hatte ich meinen Job als Staatsanwalt verloren. Ich war der jüngste Staatsanwalt der Republik gewesen, und ich war in der Gosse gelandet, ehe ich diesen merkwürdigen Posten übernommen hatte, der in keinem Berufskalender verzeichnet ist.

      Ich wusste nicht, welcher Art F.s Ängste waren. Doch ich hegte keinen Zweifel daran, dass man sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erriet, wenn man auf die üblichen Gründe tippte.

      Ängste sind selten extravagant: Angst vor Degradierung, Lächerlichkeit, Gerede der Kollegen und Konkurrenten, Verlust von Privilegien, die man in seiner Position genoss, Angst vor der Presse, vor dem Eingeständnis der persönlichen Unfähigkeit, vor dem Entzug des Vertrauens durch Vorgesetzte, vor der Schelte der eigenen Frau (oder der Verachtung der Geliebten – ich hatte keine Ahnung, ob F. verheiratet war; er sprach nie über persönliche Dinge) …

      All dies, so schien mir, waren bei Leo Kofler unbegründete Sorgen, denn er war ein leicht zu

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