Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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      Er fuhr sehr langsam in Richtung Stadtzentrum, Alexanderplatz, davon – so als lege er es darauf an, keine schlafenden Hunde zu wecken. Seine Scheiben waren undurchsichtig. Das Gefährt kam mir nicht ganz geheuer vor. Hatten sie den Strom absichtlich ausgeschaltet? Irgend etwas von Messungen schwante mir. Der L.D.A.! Sollte man F. benachrichtigen? Ich hatte noch sein verlorenes Notizbuch. Beides würde ihn womöglich interessieren. Dazu ist auch morgen noch Zeit, dachte ich. Wir waren ohne Telefonverbindung. Aus Sicherheitsgründen hatte man darauf verzichtet.

      Als ich in mein Zimmer ging, nahm ich das Notizbuch aus dem Schrank. Es war in schwarze Kunststoff-Folie eingebunden. Ich legte mich damit auf das Pritschenbett in der Ecke. Vorher hatte ich nur einen flüchtigen Blick hineingeworfen. Diesmal erwischte ich die erste Seite.

      Über dem Kodetext aus Zahlen und Buchstaben stand in schräger Handschrift mein Name.

      Wir setzten uns ohne Umstände an den Rauchtisch in seinem Zimmer. Kofler schien ausgiebig gefrühstückt zuhaben. Dem Spülgeschirr nach zu urteilen für zwei. Offenbar war er arglos und bei guter Laune.

      »Sie traten dreiundsechzig aus der Partei aus. Warum, wenn ich fragen darf?«

      »Nun, man ließ mir keine andere Wahl. Eine Reihe von Komplikationen, die mehr das menschliche Verhältnis betrafen – nicht das System.«

      »Sie traten aus persönlichen Gründen aus?«

      »Ja. Ich geriet mit einigen Leuten in Konflikt. Heute betrachte ich es als eine ziemlich überzogene Reaktion.«

      »Was war der entscheidende Grund für Sie, das Ressort zu wechseln. Von der Kriminalistik zur Soziologie und Sozialpsychologie ist es kein kleiner Schritt.«

      »Nein, sicher nicht. Anders als bei meinem Parteiaustritt einige Jahre zuvor bewogen mich dazu theoretische Gründe. Ich entdeckte, wie wenig die gegenwärtige Gesellschaftstheorie den Realitäten angemessen ist.«

      »Sie meinen die dialektisch-materialistische, wenn ich Sie recht verstehe?«

      »Es gab Widersprüche, die nicht durch Schönheitskorrekturen zu beseitigen waren. Wissen Sie – «, er dachte nach und lächelte, »das Ganze ist im Grunde nichts weiter als eine Art romantische Welt- und Gesellschaftsschau, wonach es den Menschen in ein gottloses und feindlich gesinntes Universum verschlagen hat, das er nun wie Prometheus in ewiger Anstrengung und heroischem Trotz durch Arbeit und Revolution verwandeln soll – allein durch Erkenntnis und durch die Kraft seines Willens. Dabei handelt es sich weniger um Wissenschaft, als um säkularisierte Prophetie, eine atheistische Religion. Aber die wirklichen Widersprüche liegen natürlich tiefer.«

      »Aus alledem entnehme ich, dass Sie …«

      »…an Gott glauben? Vielleicht glaube ich eher an die Kraft des Guten.«

      »Welcher Art sind diese – nun, ja, sagen wir mal tieferliegenden Widersprüche?«

      »Die gesellschaftliche Entwicklung ist gesetzmäßig nicht bestimmbar. Zu viele nicht auf Regeln bestimmbare Faktoren. Eine Ordnung, eine naturgesetzliche Entwicklung vom qualitativ Schlechteren zu einem höherwertigen Gesellschaftszustand ist nirgends nachweisbar. Die Parteiendiktatur ist der Totengräber der sozialistischen Gesellschaft. Und das Menschenbild des dialektischen Materialismus ist eine lächerliche Simplifikation.«

      »Damit gingen Sie auf offenen Konfrontationskurs?«

      »Ja, zunächst einmal beschwor man mich, da ich ein Vertreter der moralischen Aspekte des Kommunismus sei, der sich für die Befreiung der unterdrückten Klassen einsetzte:

      Abweichlertum und Skeptizismus könnten auf die Dauer keine Weltanschauung der Völker sein. Sie töteten die Kultur und verhinderten jeden Fortschritt. Ich erwiderte: Die Person sei nicht allein Produkt und Funktion der Gesellschaft. Sie sagten: Darüber könne man reden. Der Marxismus habe auch seine individuellen Seiten. Als sich zwei Zirkel an meiner Universität bildeten, bot man mir eine kleine Datscha und den Posten des Bürgermeisters in einem Dorf bei Starachowitze an, von Warschau und Krakau etwa gleich weit entfernt.«

      »Man wollte Sie aufs Land abschieben?«

      »Sie nannten es eine ‘zuvorkommende Regelung’«, nickte Kofler, »und deuteten an, ein solches Angebot zeuge durchaus vom Wohlwollen der Partei.«

      »Wie kamen Sie zur Gewerkschaftsbewegung?«

      »Obwohl ich mit ihren Gedanken sympathisierte, war nicht ich es, der den ersten Schritt unternahm. Man trat an mich heran. Ich wurde einer ihrer Berater. Aber nicht für sehr lange. Eines Tages warf man mir die Scheiben ein, verwüstete meinen Garten und zündete mein Auto an. Damals begriff ich, dass ich in ihren Augen zu weit gegangen war, und ich kehrte an die Universität zurück.«

      »Sie übernahmen den Lehrstuhl für Sozialpsychologie.«

      »Weil ich hoffte, man könne Ideen auch auf andere, weniger augenfällige Weise unters Volk bringen.«

      »Und man ließ Sie lehren?«

      »Ja … anfangs ließ man mich gewähren.«

      »Gut, schließen wir dieses Thema für heute ab.« Ich nahm eine Fotografie aus der Mappe, die vor mir lag. »Gestern konnte ich beobachten, dass Sie Rechtshänder sind? Sie schrieben an Ihrem Buch.«

      »Stimmt«, nickte er.

      »Auf diesem Foto – es zeigt Sie, wie Sie Ihre Ernennungsurkunde an der Krakauer Universität gegenzeichnen – sind Sie Linkshänder.«

      Kofler nahm das Blatt und betrachtete es. Für einen Agenten, der sich durchschaut fühlen musste, hatte er sich erstaunlich gut in der Gewalt. Immerhin schützte er Verblüffung vor. Er musterte die Aufnahme wieder und wieder und schüttelte den Kopf, schließlich nahm er seine dünne Drahtbrille heraus.

      »Merkwürdig«, sagte er. »Das überrascht mich in der Tat. Die Aufnahme muss aber fünf Jahre alt sein.«

      Es war deutlich zu sehen, dass er mit der linken Hand unterschrieb. Das Bild war von der linken Seite aufgenommen. Seine rechte Hand war verdeckt. Es gab eine Schrift im Hintergrund, die bewies, dass die Schwarzweißaufnahme nicht, wie man hätte argwöhnen können, spiegelverkehrt vom Negativ kopiert worden war.

      »Haben Sie dafür eine Erklärung?«

      »Ich bin etwas … überrascht«, erklärte er und hob den Kopf.

      4

      Ich fuhr hinunter in die Tiefgarage und verließ sie durch den Ausgang im Nachbarhaus. Dann ging ich über den Oranienplatz und ein Stück den Legiendamm entlang. Auf der rechten Seite lag die kleine Pension, in der Pysik sich erschossen hatte. Ich kannte das Haus und das Fenster. Sein Zimmer war in der zweiten Etage. Ein schlichter, glatter Nachkriegsbau. Ich blieb manchmal dort stehen und sah zu dem Fenster hinauf, und das nicht nur, wenn ich auf dem Weg zur Telefonzelle war.

      Pysik hatte eine großkalibrige alte Schwarzpulverwaffe benutzt, ein Sammlermodell. Ich stellte mir vor, wie er auf der Bettkante saß, erst das Pulver hineinschüttete, dann die Bleikugel nachstopfte, das Zündhütchen aufsetzte und sich den Lauf in den Mund hielt …

      Mit ihrem Knall hatte alles seinen Anfang genommen. Oder sollte ich es das Ende nennen?

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