Steinige Zeiten. Helene Hammerer
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Wieder zu Hause räumte Amanda die Küche auf, spülte das Frühstücksgeschirr und ging dann in den Stall, um die Rinder und die Hühner zu versorgen. Seit dem Tod ihres Mannes verpachtete sie die Viehweiden an ihre Nachbarn. Um nach wie vor Förderungen zu bekommen, stellte sie jedoch deren Rinder ein. Ambros, der alte Bauer, war ein herzensguter Mensch und auf ihn konnte die junge Witwe sich immer verlassen. Er half ihr, wenn es um Anträge ging und sorgte dafür, dass sie zu ihrem Recht kam. Auch mit seinem Sohn Reinhard, der den Hof übernommen hatte, kam sie gut aus. Sie und ihre Kinder halfen im Sommer bei der Heuarbeit und Reinhard räumte im Winter ihre Zufahrt frei, wenn es schneite. Im Sommer waren die Tiere bei Ambros auf der Alpe, dann hatte auch Amanda Ferien. Sie schlüpfte in den blauen Stalloverall und band sich ein Kopftuch um. Im Stall schaltete sie das Radio ein, fütterte die Tiere, mistete aus und streute frisches Stroh. Dann striegelte sie die sanften braunen Rinder, bis sie glänzten. Ambros pflegte sie zu necken, dass sie die saubersten Rinder im ganzen Tal habe, aber Amanda liebte die Tiere und freute sich über das versteckte Lob.
Selbst die Tochter eines Bauern, war sie schon als Kind immer mit ihrem Vater in den Stall gegangen und hatte von ihm gelernt, die Kühe zu striegeln. Als Familienhelferin war sie dann mit zwanzig Jahren auf den Hof der Bachers gekommen, nachdem sich Fini, die Bäuerin, bei einem Sturz das Bein gebrochen hatte. Die hübsche, zupackende Amanda pflegte die Kranke, versorgte Andreas und seinen Vater und heiratete ein Jahr später den jungen Bauern. Vor drei Jahren starb dann ihr Schwiegervater an einem Herzschlag und vor zwei Jahren folgte ihm sein Sohn. Fini zog ins Dorfzentrum zu ihrer alten Mutter, um diese zu pflegen. Die alte Dame war noch recht munter, kam aber ganz alleine nicht mehr zurecht. Amanda hing ihren Gedanken nach und beendete die Arbeit im Stall.
Sie kehrte ins Haus zurück und hängte gerade die Wäsche auf, als es an der Haustür klopfte. „Amanda“, rief ihre Schwiegermutter, „bist du da?“ Diese eilte aus der Waschküche nach oben, wo sie von der strahlenden Fini erwartet wurde. „Hast du schon gehört? Rupert kommt zurück“, rief die temperamentvolle kleine Frau, hielt ihre Schwiegertochter an den Händen und vollführte einen kleinen Freudentanz mit ihr. „Gerade hat er angerufen. Ach, ich freu mich so“, strahlte sie. Amanda lachte und beteuerte, dass sie sich ebenfalls freue. Zu Beginn ihrer Ehe hatten sie Finis Gefühlsbekundungen verlegen gemacht. Im Tal war es nicht üblich, seine Gefühle so offen zur Schau zu stellen, aber nun war sie daran gewöhnt.
Fini, mit ihrem inzwischen ergrauten Lockenkopf und den großen blauen Augen, die in jedem nur das Gute sahen, musste man einfach mögen. Ihre positive Einstellung wurde zwar bereits in jungen Jahren auf eine harte Probe gestellt, als einer der Bäckergesellen ihres Vaters sie mit siebzehn „in Schwierigkeiten brachte“, wie man dies damals zu Beginn der Fünfzigerjahre nannte. Anstatt die Verantwortung für seinen Sohn zu übernehmen, hatte er das Weite gesucht. Als dann der treue Hans um ihre Hand anhielt, heiratete Fini den zwanzig Jahre älteren Bauern. Dieser war Rupert ein guter Vater und vergötterte seine kleine Frau so lange er lebte. Auch die Schicksalsschläge der vergangenen Jahre konnten ihren Lebensmut und ihren Frohsinn nicht auf Dauer trüben und mit ihrer Fähigkeit, das Leben zu nehmen wie es kam, und aus allem das Beste zu machen, half sie Amanda in schweren Stunden, den Mut nicht zu verlieren.
„Hast du Großmama im Auto?“, fragte diese nun. „Nein, sie hat noch nicht gefrühstückt und ich musste meine Freude einfach gleich mit dir teilen“, sprudelte Fini heraus. Ihre Schwiegertochter konnte sie gut verstehen, war es ihr in der Nacht doch ähnlich ergangen. „Er hat gesagt, dass er am Anfang bei dir wohnen kann“, fuhr Fini fort. „Bei uns alten Frauen ist ihm zu langweilig und er freut sich schon so auf die Kinder.“ Amanda lächelte und schüttelte den Kopf. „Du bist nicht alt und langweilig schon gar nicht.“ „Na ja, bei dir bekommt er weitaus besser zu essen“, bemerkte Fini mit ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit. Ihre Schwiegertochter lachte. Fini war keine gute Köchin, dafür war sie viel zu schusselig, auch jetzt mit fast 57 Jahren noch. Wenig später saßen die beiden Frauen in der Küche, tranken Kaffee und aßen Schokoladekuchen. Bei Amanda gab es immer selbstgebackenen Kuchen und Ruperts Rückkehr war ein Grund zum Feiern. Nachdem Fini gegangen war, räumte Amanda auf, machte die Betten, saugte Staub und putzte das Badezimmer. Sie hatte ihren Haushalt gern in Schuss, was ihr mit den drei Kindern nicht immer, aber doch meistens gelang.
Als Clemens nach Hause kam, war seine Mutter bereits am Kochen. „Mama“, rief er schon an der Haustür, „ich hab null Fehler im Diktat!“ „Lass mich schauen“, strahlte Amanda, ganz wie es von ihr erwartet wurde. Ihr Jüngster war ein sehr guter Schüler, was sie ihm gar nicht zugetraut hatte. Mit den hellbraunen Locken und den blauen Augen seiner Großmutter hatte er auch deren etwas weltfremdes Wesen geerbt. Doch der Kleine liebte seine Lehrerin innig und bemühte sich nach Kräften, seine Sache gut zu machen. Überall probierte er seine neu erworbenen Lesekenntnisse aus und Amanda ging mit ihm und Margot am Sonntag nach der Messe immer in die Bücherei. Für Christof war die Schule ein notwendiges Übel und er freute sich schon auf seine Zeit an der „Baumschule“, wie die Landwirtschaftsschule salopp genannt wurde. Während Amanda kochte, machte Clemens seine Schreibübungen und als die größeren Kinder nach Hause kamen, aßen sie Tirolerknödel und Sauerkraut. Nach wie vor war Ruperts Rückkehr das einzige Gesprächsthema und die Kinder schmiedeten eifrig Pläne.
2
Die vier Wochen bis zu Ruperts Heimkehr vergingen wie im Flug. Über Ostern hatte Amanda die Ferienwohnung vermietet und danach brachte sie alles auf Hochglanz. Bei warmem Frühlingswetter putzte sie die Fenster, wusch alle Vorhänge und klopfte die gewebten Wollteppiche aus. Auch den Rest des Hauses unterzog sie einem gründlichen Frühjahrsputz und am Tag von Ruperts Rückkehr standen die Tulpen und Narzissen vor dem Haus in voller Blüte. Amanda kehrte mit einem Reisigbesen den Vorplatz und betrachtete ihr Werk. Das große, mit Holzschindeln angeschlagene Holzhaus wirkte richtig einladend mit seinen blank geputzten Fensterscheiben und den weißen, frisch gestärkten Spitzenvorhängen. Rund um das Haus zeigten sich die sanften Hügel in ihrem hellgrünen Frühlingskleid, geschmückt mit unzähligen gelben Löwenzahnblüten und auf den hohen Bergen in der Ferne lag noch Schnee, sodass sie strahlend weiß in den blauen Frühlingshimmel ragten.
Fini war mit Großmama nach Bregenz gefahren, um den Heimkehrer vom Zug abzuholen. „Von Bregenz herein kann er ja selbst fahren“, lachte sie, denn ihr Fahrstil war berüchtigt und Rupert bestimmt nicht gewillt, Beifahrer zu sein. Als die Kinder von der Schule heimkamen, halfen sie ihrer Mutter, den Tisch in der Küche zu decken und begaben sich dann vors Haus, um zu spielen und Ausschau zu halten. „Sie kommen“, hörte Amanda ihre Tochter jubeln und gleich darauf ertönte fröhliches Hupen. Schnell schaltete sie die Kaffeemaschine ein und lief zur Tür. Rupert stieg aus dem Auto, groß und hager, braungebrannt und mit kurzem Bürstenhaarschnitt. Er trug eine alte Jeans und ein khakifarbenes Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte. Die Kinder stürmten auf ihn zu und er hob die Kleinen lachend hoch. „Meine Güte, wie seid ihr groß geworden“, rief er aus. Dann stellte er Clemens und Margot wieder auf den Boden und ging auf Christof zu. Ihm klopfte er kameradschaftlich auf die Schulter. „Hey Chris, du hast mich ja schon fast eingeholt“, grinste er und damit hatte er auch zu seinem ältesten Neffen genau das Richtige gesagt. Jetzt strahlte er mit seinen blauen Augen Amanda an, die unter seinem Blick leicht befangen wurde. „Schön, dass du da bist, Rupert“, sagte sie freundlich und bat ihn ins Haus.
Während der Heimkehrer von den Kindern in die Küche geführt wurde, ging Amanda zum Auto, um Fini mit Großmama zu helfen, aber die alte Dame kam schon am Arm ihrer Tochter auf sie zu. „Na, was sagst du nun, Amanda?“, meinte sie selbstgefällig. „Ich habe ja immer gesagt, dass er bald zurückkommt.“ Amanda ersparte sich einen Kommentar, denn genau das Gegenteil war der Fall, und lächelte nur. Großmama hatte nicht das sonnige Gemüt ihrer Tochter und mit ihr zu streiten war