Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck

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Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck

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ist mir sofort klar, dass dies keine Trichinen, Platt-, Faden-, Zungenwürmer oder sonstigen Viecher sind, die man in Mittel- bis Oberschicht aus exotischem Urlaub mitbringen mag. Auch mit biologischer Kriegsführung hat dies offenbar nichts zu tun, sieht schlicht nicht aus wie Überträger von Pest, Typhus, Milzbrand, Cholera oder Ruhr, kurzum: Ich tappe völlig im Dunklen, eine plötzlich unerklärbar und bedrohlich gewordene Welt springt mich von Taschentuch und Ministermiene her an. Vorläufig und dringlichst: Ist dies ANSTECKEND? Und: Darf man im Fall einer Ministerin überhaupt den Seuchenschutz alarmieren?

      Wir beide ahnen es noch nicht weil ohnehin erschüttert, aber was da vor und zwischen uns auf dem Schreibtisch madig und schleimig vor sich hin tiert, ist das erste Omen eines bevorstehenden Endes der Welt. Und ausnahmsweise meine ich das einmal ganz wörtlich. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, noch einmal zu entscheiden, ob Sie weiterlesen.

      2 - Von der neuen Achse des Bösen

      Das Krankenzimmerbett der Backhus liegt unter einem großen Sauerstoffzelt, das wie ein zerknitterter Duschvorhang von einem Alugestell herabstürzt, zweifellos eine ganz eigene Art von Himmelbett für eine ganz eigene Art von Prinzessin. Trotzdem hält der trotz beginnenden Alters noch aufdringlich gesund und trainiert wirkende Chefarzt stets gesunden Abstand. Er trägt unvorteilhaft einen gelb-pummeligen Ganzkörperanzug aus antistatischem Plastik, den Kopf hinter einer durchsichtigen Haube in Sicherheit, seine Stimme von einem auf die Wange geklebten Mikro leicht übersteuert. »Sehen Sie, Herr Müller, ein Befall durch unbekannte Organismen ist keine Kleinigkeit«, tönt es aus seinem sinnhaft in Mundhöhe montierten Lautsprecher in der Qualität eines billigen Fernsehers, während er zerstreut durch sein Haar streichen will, sich dabei letztlich aber nur Falten in die Haube drückt. Sie wird von einem über seinem Kopf schwebenden Heiligenschein gehalten, dessen rückwärtige Stütze ein steifer Sauerstoffschlauch bildet. Warum habe ich nicht auch einen derartigen Schutzanzug bekommen? Will er einfach damit angeben, was es in einem Privatkrankenhaus so alles gibt? Hat man vielleicht gar keinen zweiten Anzug? Restunruhe bleibt auf jeden Fall.

      Ansonsten bleibt befriedigt festzustellen, dass die MIDAS-Klinik bei dieser Hitzewelle dasselbe Problem hat wie unsere städtischen Krankenhäuser: Man muss literweise Desinfektionsmittel vergießen, bis sich Atmung, Geruchs- und Geschmackssinne gänzlich damit zugesetzt haben. Der Kaffee auf jeden Fall, den mir Dr. Dobermann in die Hand drückt, schmeckt aufdringlich nach Desinfektion. Aber vielleicht ist der gute Onkel Doktor inzwischen auch bereits derart daran gewöhnt, dass er Kaffee grundsätzlich nur noch so trinkt. Während ich mich noch verwunder, stapft der Chefarzt derweil raschelnd zur sanft glimmenden Tafel mit ministerialen Röntgenbildern und tappt der Reihe nach klobig auf einige davon. »Die Dichte dieser Parasiten ist nur geringfügig größer als die des durchschnittlichen organischen Gewebes. Unsere digitalen Röntgenaufnahmen zeigen daher recht zuverlässig größere Konzentrationen im Bereich der Lunge«, tapp: Weiß auf Schwarz ein Brustkorb im Schneegestöber mit leicht deformierter Birne, offenbar das Herz, überlagert vom helleren Weiß des Rückgrats vor geisterhaft durchscheinenden Rippenbögen, tapp: »des Gehirns«, gewöhnungsbedürftige Darstellung eines halb durchsichtigen Schädels, wiederum schneedurchstöbert, aus der die Zähne der Ministerin noch immer markant und weiß als Blickpunkt strahlen. Groß-runde Augenhöhlen zeichnen sich deutlich ab, als hätte die Backhus in ungewohnter Retrogefälligkeit eine altmodische Fliegerbrille getragen, tapp: »und des Rückenmarks«, irritierender Weise jedoch ein Bild der Schulter diesmal, Oberarmknochen und Gelenkpfanne sehr schön zu erkennen, unverschneit, »weil da der Unterschied in der Dichte hinreichend groß ist. Das sind aber auch genau die Bereiche, in denen eine operative Entfernung am riskantesten wäre und der Patientin nur wenige Eingriffe auf einmal zugemutet werden können.« Gefällig nicke ich und versuche, der audio-akustischen Schnellpräsentation zu folgen, bleibe jedoch an der verblüffenden Schulter hängen.

      »Hinzu kommen dann noch diverse Schatten in anderen Organen, die wir erst noch genauer klassifizieren müssen«, tapp, tapp und tapp generalstabsmäßig, ich jedoch folge nun nicht mehr. In diesem Moment erst wird mir nämlich klar, was dieses seltsame Schneegestöber zu bedeuten hat. Bei genauerem Hinsehen sind die weißen Flocken eigentümlich länglich, einige gewunden, insgesamt beunruhigend madenhaft. Dr. Dobermann streicht unterdessen über seinen Heiligenschein, als wolle er ihn aufpolieren. Endlich merke ich, dass er mich erwartungsvoll ansieht. »Schön, schön«, murmle ich, um seine Arbeit und die des Krankenhauses wertzuschätzen, woraufhin wir beide ob dieser unpassenden Bemerkung ins Stocken geraten.

      Unsere Augen schweifen unweigerlich von der Innen- Richtung Außenansicht, hinweg über die vielen medizinischen Geräte, die das Krankenbett umstehen, entlang der Schläuche, die in den Körper hinein- und hinausführen. Wahrscheinlich Sauerstoff, um die Lunge zu entlasten, rationalisiere ich, doch mein Magen fühlt sich flau an: eventuell der Unterdruck hier im Raum zwecks Keimbindung. Unser direkter Vergleich von Innen und Außen führt jedoch zumindest mich ebenfalls auf unangenehme Konsequenzen: »Sie... Sie müssen ihr das Gehirn aufschneiden?« Die Ministerin selbst sitzt derweil aufrecht im Schneidersitz auf ihrer Matratze und fixiert mich mit einem Blick, den ich nicht zu deuten vermag: stiller Heroismus? bestätigter Trotz, dass derlei Dinge stets ihr passieren? Auf jeden Fall ungebeugt, lauernd geradezu.

      »Nicht notwendiger Weise«, lächelt Doktor Dobermann auf eine Art, die er wohl für beruhigend hält. »Unsere Untersuchung dieser Parasiten läuft noch. Es besteht ebenso die Chance, dass wir die Dinger durch gezielte Bestrahlung oder chemische Präparate töten und zersetzen können. Dafür müssen wir dann aber zunächst klären, ob die Reste tatsächlich durch den Körper abbaubar sind. Immerhin handelt es sich ja um gänzlich körperfremde Stoffe.« Ein wenig ratlos blicke ich der Reihe nach ins Rund des neuen Hofstaats der Ministerin, zu ihrem freundlich-rollbaren Patientenmonitor mit Doppelschläuchen, der giftgrünen Batterie von Spritzen- und Infusionspumpen nebst Tropfständer, diesem unbekannten Ding mit Druckanzeiger und viel geringeltem Telefonkabel, dem robust wirkenden Beatmungsgerät im SciFi-Stil der 90er. Umfassend verkabelt in ihrer Mitte: eben und immer noch unsere Ministerin als Spinne im Netz, irritierender Weise fast stolz ob ihrer Position. Natürlich ist sie einerseits als Fast-Ärztin hier auf heimischem Terrain, nichtsdestotrotz jedoch bewundernswert in ihrer wohl eingeübten Widerstandsfähigkeit, keine Frage. »Das heißt also, Ihre Prognose könnte auch gut ausfallen?«, wunschdenke ich zaghaft.

      Mit aufmunterndem Rascheln klopft mir Doktor Dobermann auf die linke Schulter. »Nun, das hängt wie gesagt voll und ganz von den Untersuchungsergebnissen des Labors ab. Bisher jedoch verhalten sich die Parasiten erstaunlich gutartig: Sie fressen nur so viel, wie auch nachwächst. Also machen Sie sich mal keine Sorgen: Das hier ist immerhin kein öffentliches Krankenhaus und Frau Backhus ist privatversichert, eigentlich müssten wir also sogar mit einer Invasion außerirdischer Körperfresser zurechtkommen«. Meinem prüfenden Blick begegnet er mit wölfisch-grinsend gebleckten Zähnen und professioneller Zuversicht, sehr zufrieden mit sich ob seines kundenorientierten Scherzes. Ohne Schutzhandschuhe würde er mir in diesem Moment vielleicht eine Werbebroschüre in die Hand drücken.

      »Chie chehen alcho«, meldet sich die straff sitzende Ministerin nun erstmals zu Wort und zieht entschlossen den Absaugschlauch aus ihrem Mund, »dass die Lage derzeit unter Kontrolle ist, es aber noch kein Zeitfenster für den erfolgreichen Abschluss meiner Behandlung gibt. Entsprechend müssen daher Sie als mein Stellvertreter vorübergehend die Amtsleitung übernehmen. Bitte notieren Sie sich die wichtigsten Handlungsdirektiven. Herr Doktor Dobermann, wir müssen Sie nun nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten.«

      Der gute Onkel Doktor wirkt einen Moment verblüfft, ehe er sich höflich verzieht, untermalt vom zerstreuten Versuch, seinen Scheitel zurecht zu streichen, Unbeschädigtheit wieder herzustellen. Für meinen Zustand hingegen: Verblüffung gar kein Ausdruck mehr! Erstens nämlich Kontrolle: während sie bei lebendigem Leib hin und wieder aufgefressen wird? Zweitens sodann natürlich Amtsleitung: ich? Muss mich setzen. Recht hübsch, dieser Kontrast hell-ockerfarbener Wände und seuchengrünen Inventars, stelle ich im Schockzustand

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