Lust oder Liebe. Silke May
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„Nein, habe ich nicht“, erwidert Sandra. Die beiden Frauen unterhielten sich, und Sandra lud die Alte zum Frühstück am Kiosk ein. Die Pennerin erzählte ihr ihren Lebenslauf, und Sandra konnte darin Parallelen zu ihrem Schicksal erkennen.
Während sie der Alten zuhörte, dachte sie: So möchte ich nicht enden. Nach einer Weile verabschiedete sie sich von der Obdachlosen und gab ihr noch zehn Euro. Sandra wusste, dass sie nun ihr eigenes Leben meistern musste, aber dazu brauchte sie ihr Auto und andere Dinge von daheim. Sandra fuhr mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, von dort ging es dann mit dem Zug weiter nach Murnau. Bis auf ein paar Wanderer war der Zug noch halb leer. Sandra sah aus dem Fenster in die vorüberziehende Landschaft. In Murnau angekommen, setzte sie sich in einem nahe gelegenen Park auf eine Bank und wartete- bis es acht Uhr wurde.
Jetzt musste Hans schon außer Haus sein und sie konnte getrost ein paar Dinge holen. Schon von Weitem sah sie das geöffnete Garagentor.
Sie läutet am Gartentor, weil Hans ihr den Hausschlüssel aus der Tasche genommen hatte. Maria- ihre Hausperle öffnete die Tür.
„Mein Güte-Frau-Berger, ihr Mann hatte mir gesagt, dass sie das Haus verlassen hätten, und nie mehr zurück kommen würden. Schön, dass sie doch wieder da sind.“ Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht und reichte Sandra beide Hände.
Sandra äußert sich mit ein paar Sätzen und verschwand als Erstes im Bad. Während sie duschte, machte Maria für sie einen starken Kaffee und belegte Brötchen. Sandra verspürte die Frische am Körper und wurde endlich wieder klar im Kopf.
Sie fühlte sich wieder etwas besser, als sie in die Küche kam.
Sie setzte sich an den Tisch und erzählte Maria alles bis ins kleinste Detail, diese konnte nur noch den Kopf schütteln und war sprachlos. Sandra packte mehrere Kleider ein und ihr Sparbuch. Für die nötigsten Anschaffungen würde es sicher reichen. Sandra war froh, dass sie immer auf ihr eigenes Sparbuch bestanden hatte, denn heute zahlte es sich aus. Ohne das angesparte Geld wäre sie aufgeschmissen und müsste im Freien nächtigen. Dass sie sich schnell nach Arbeit umsehen muss, wusste sie.
Jetzt war sie erst einmal beruhigter, dass sie wenigstens nicht mittellos da stand.
Sie verabschiedete sich von Maria und bedauerte, dass sie sich von den Kindern nicht verabschieden konnte. Wahrscheinlich war es für die Kinder und für sie sowieso besser, so blieb ihnen der große Abschied erspart.
Maria versprach ihr, sich um die Kinder zu kümmern und ihrem Mann gegenüber nichts anmerken zu lassen, dass sie Bescheid wusste. Sandra versicherte ihr, dass sie ihre Kinder holen würde, sobald sie sich ein Standbein geschaffen hatte.
Sandra stieg in ihr kleines Auto und fuhr los, in eine ungewisse Zukunft.
Sie wollte erst einmal wieder weg von diesem Ort, der ihr Unbehagen einflößte. Ein letzter Blick in den Rückspiegel.
Tränen stiegen in ihre Augen, als sie Maria winkend am Gartentor stehen sah.
Es sollte das Ende eines Lebensabschnittes und das endgültige Ende einer großen Liebe sein. Sie öffnete das Fenster, um den Fahrtwind zu spüren, dann versuchte sie, sich voll auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Sie war schon ein paar Stunden ohne Pause unterwegs. Hunger und Müdigkeit machten sich langsam breit. Sandra entschloss sich, bei der nächsten Autobahnausfahrt abzufahren, um in einem Hotel zu speisen und zu übernachten. Sie fand in einem kleinen Städtchen, ein nettes kleines Hotel und machte es sich dort erst einmal in ihrem Zimmer gemütlich. Als sie sich von der Fahrt etwas erholt hatte, ging sie zum Speisen. Anschließend trank sie noch ein Glas Whisky und ging wieder auf ihr Zimmer.
An diesem Abend schlief sie sehr schnell ein und wachte erst am nächsten Morgen ausgeruht wieder auf. Sandra riss sich aus einem Zettel mehrere Lose, auf denen sie Städtenamen geschrieben hatte. Sie wollte es dem Schicksal überlassen, wohin es sie verschlägt. Sie warf die Städtekugeln in die Luft und hob einen davon auf, die Spannung stieg.
„Toi, toi, toi, bring mir Glück!", sagte sie, bevor sie die Kugel auseinanderfaltete und las.
„Hamburg … warum nicht? Hamburg ich komme!“ Sie hatte ein gutes Gefühl dabei, denn dadurch war sie weit weg von Hans. Ein kurzes Wehgefühl überkam sie, als sie an ihre Kinder dachte. Sie war sich aber sicher, dass sie ihre Kinder bald wieder in den Armen halten würde. Sandra verließ das Hotel, aber diesmal mit einem Ziel.
3.Kapitel
An einer Raststätte kurz vor Hamburg machte sie Halt, um bei Maria anzurufen. Sie erkundigte sich nach ihren Kindern und hörte, dass sie es gelassen nahmen. Maria erklärte es den Kleinen so gut wie möglich, dass ihre Mama nun arbeiten würde, aber immer an sie denkt, und bald könnten sie ihre Mama wieder sehen. Maria erzählte Sandra aber auch, dass ihr Mann richtig wütend gewesen war, dass sie nicht zurück gekrochen kam. Sondern seine Abwesenheit nutzte, um ihre Sachen und sogar das Auto zu holen. Sandra teilte Maria mit, dass sie sich in Hamburg, eine Zukunft aufbauen werde. Sandra sah die Welt jetzt mit ganz anderen Augen. Sie wusste, dass es nicht leicht werden würde, aber sie war sich sicher, dass sie es schaffen würde.
Als Erstes brauchte sie eine Wohngelegenheit, dann eine Arbeit. Der Gedanke ans Arbeitsamt ließ ihr den Magen kurz umdrehen, sie hatte seit der Heirat nicht mehr gearbeitet.
In Hamburg angekommen, mietete sie sich ein Zimmer in einer Pension. Es war nicht gerade schön und auch sehr laut, aber es lag mitten im Zentrum.
Das war ein guter Ausgangspunkt für alle Behördengänge, die sie noch vor sich hatte.
Am nächsten Morgen stand sie vor dem Arbeitsamt, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie betrat den Vorraum und war überrascht, wie viele Menschen schon vor ihr da waren. Das Amt hatte doch erst seit zwanzig Minuten geöffnet.
Sie zog eine Nummer und setzte sich auf einen frei gewordenen Stuhl, dann beobachtete sie die Leute.
Sie saß schon eine ganze Weile, da mahnte der Gong zum Aufpassen, sie sah, dass ihre Nummer aufgerufen wurde. Sie stand auf und ging zur Tür, welche sie dann leise öffnete und das Zimmer betrat.
Es roch muffig nach alten Möbeln und Akten. Mitten im Raum stand ein alter abgewetzter Schreibtisch. An ihm saß in seinen Akten vertieft, ein älterer Mann.
Am Fensterbrett hinter ihm stand ein großer schiefer Kaktus.
„Nehmen Sie Platz“, sagt er, ohne aufzusehen, und deutet auf den Stuhl ihm gegenüber. Sandra setzte sich und umklammerte ihre Tasche, die sie auf ihren Schoß legte. Der Beamte hob nun den Kopf und sah sie prüfend an. Auf seiner Nasenspitze saß eine Brille, über die er hinweg sah.
„Wie lange sind Sie schon arbeitslos?“ Sandra stutzte. „Ich habe nicht gearbeitet!“
Er rückt seine Brille zurecht und beugte sich etwas vor.
„Und von was haben Sie bis jetzt gelebt?“, dabei zog er seine Stirn in Falten und sah sie fragend an.
Sandras Hände waren vor Aufregung feucht geworden.
„Ich war bis jetzt Hausfrau und Mutter und lebe seit Kurzem erst getrennt. Deshalb muss ich jetzt für meinen Unterhalt allein sorgen!“
„Ach so, deshalb“, sagt er gelangweilt und schaute auf