Der Debütant im Ruhestand. Heidi Hollmann
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„Und was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andren zu!“ war für sie ein ebenso wichtiger Grundsatz, den sie auch Rudolf gern vermittelt hätte.
Wie gut man sich doch kannte im Laufe der vielen Jahre. Zu gut für ihren Geschmack. Schon deshalb war es für Herta unerlässlich, ihren Kreis aufrecht zu halten. Es hätte schon längst kaum mehr einen Gesprächsstoff gegeben. Eindrücke bekam man von außen, von Freunden zum Beispiel und die wuchsen nun mal nicht am Wegesrand. Um alles im Leben musste man sich mühen und bemühen. Rudolf dachte da ganz anders. Das mit der Mühe war er nicht imstande einzusehen. Er brauchte keine Freunde, höchstens seinen Computer, der ihm schon vor der Pensionierung und jetzt erst recht Freude machte. Das technische Wunderwerk tat nur das, was sein technisch versierter Meister ihm befahl, nicht mehr und nicht weniger. Auch waren keine Widerworte zu erwarten. Er brauchte im Grunde genommen vor der Pensionierung keine Angst zu haben. Nicht mit einem solchen Freund im Rücken, dem er
noch nicht einmal zu antworten brauchte, und den er vor allem durch Ausschalten ruhig stellen konnte. Zudem, wie sollte er sich auf seinen letzten Lebensabschnitt vorbereiten?
„Da kann ich mich ja gleich auf den Tod einstellen“ hatte er unwirsch geknurrt.
Herta wusste, wovon sie sprach. Sie war im Kreis ihrer langjährigen Freundinnen die Jüngste. Sie waren ihr alle durch ihre mehr oder weniger leidvollen Erfahrungen mit ihren Männern und deren Ruhestand, ein gutes Stück voraus. Bei ihrer Freundin Lotte hatte das Schicksal sich bewährt und positiv nachgeholfen. Ihr Mann, Chef-Arzt und ein Arbeitstier sondergleichen, so ähnlich wie Rudolf, hatte den berühmten Löffel kurz vor seiner Pensionierung abgegeben, möglicherweise noch bevor es zu Missstimmungen hätte kommen können. Herzinfarkt!
Lotte lief fast täglich zum Grab ihres Mannes, leistete Abbitte und hatte ihren Anton nur in allerbester Erinnerung. Er war sozusagen durch sein Ableben zur rechten Zeit, von jetzt auf gleich zum Engel mutiert, obwohl Lotte an seiner Seite zwar ein Luxusleben, dafür aber das der mehrfach betrogenen Ehefrau geführt hatte, was sie nicht im Geringsten zu stören schien.
„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ war der Leitspruch der molligen Lotte, die stets Optimistin geblieben war. Die anderen Damen hatten sich mokiert, waren nahezu schockiert gewesen, aber sie hielten sich zurück. Ganz sicher waren sie sich nicht. Möglicherweise wäre ihnen auch hier und da heiß unter ihrem Pony geworden, wenn sie von den Eskapaden ihrer Ehemänner gewusst hätten. Bekanntermaßen erfuhren die meisten Ehefrauen von den „Verfehlungen“ ihrer Männer zuletzt, oder zum Glück überhaupt nicht.
Wie dem auch sei, Herta jedenfalls stünde etwas bevor, meinten die Damen einmütig und warfen sich Blicke zu, als bräche jeden Augenblick der dritte Weltkrieg über sie herein. Beim vierwöchentlichen Gedankenaustausch holte Herta sich die Informationen und Ratschläge, die sie brauchte. Sie war ja immerhin eine blutige „Anfängerin“, noch, jedenfalls. Aber alles praktisch Durchzuführende beruhte schließlich auf Theorien, oder? Herta war lernfähig.
Wie an dem Freitag, an dem es in ihrem christlichen Haushalt Fisch gab. Rotbarsch, genauer gesagt. Rudolf stocherte lustlos im weichen weißen Fleisch des Fisches herum. Ihm fehlte augenscheinlich etwas. Hurtig sprang Herta zum Kühlschrank, gleich neben ihrem Essplatz und reichte ihm, wie eine geweihte Hostie, die rote Catchupflasche. Rudolfs Miene erhellte sich. Ohne ein „Dankeschön“, das war während der langen Ehejahre auf der Strecke geblieben, goss er den Inhalt der fast vollen Flasche auf den armen Fisch, begrub ihn regelrecht darunter. Auch die saftig grünen Frühlingszwiebeln verloren ihre schöne Farbe, wurden ebenfalls rot ertränkt. Es war für Herta, die nicht nur gern kochte, sondern auch gern aß, zum Verzweifeln. Wie sehr hatte sie sich bemüht, eine anständige Köchin zu werden. In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte Rudolf alles, wirklich alles aufgefuttert, und damals, Respekt!, gab es noch keinen Catchup. Er verzog zwar manchmal den Mund, so dass er seinem kleinen Sohn der Spinat missachtete, auffallend glich, aber er spuckte nichts an die Wand. Auch später dachte er niemals daran, ihre mittlerweile respektablen Kochkünste zu loben. Lob konnte man von einem Mann wie Rudolf sowieso nicht erwarten, aber immerhin und ohne zu murren oder zu tadeln, hatte er seine Teller damals leergeputzt. Mal mit hoher Geschwindigkeit und mal piano, je nach Genießbarkeit. Herta hatte herausgefunden, wenn es ihm besonders gut schmeckte, er sich in wilder Besessenheit Gabel für Gabel in den Mund schob. Er benutzte dazu so gut wie niemals ein Messer. Wenn Herta sah, wie er sich verrenkte, um ohne Messer klarzukommen, ging ihr der Hut hoch. Sie nahm sich zusammen, versuchte ruhig zu bleiben, kam dennoch nicht umhin, ihm vorzuschlagen:
„Ich würde es einmal mit einem Messer versuchen!“ Das war zu viel des Guten! Rudolf geriet außer sich.
„Ich habe gelernt, mit Messer und Gabel umzugehen. Ein Messer benutzt man nur, wenn man Fleisch zu zerschneiden hat. Kein Fleisch, kein Messer!“ schrie er und war kaum zu beruhigen. Wutschnaubend düste er ab.
„O.k.“ dachte Herta. „Wo er Recht hat, hat er Recht!“ Am nächsten Tag gab es Spaghetti, was für Rudolf eher die Ausnahme, als die Regel war. Er schwärmte nahezu in manischer Weise von Kartoffeln. Komischerweise schnitt er puppenlustig die langen Nudelfäden durch. Dazu musste er sich allerdings selbst um ein Schneidewerkzeug kümmern, denn kein Fleisch................................
Zu Zeiten seiner Kindheit wurden ihm Speisen aufgezwungen, die er einfach nicht runterkriegen konnte. Ihm wurde der Teller so lange vorgesetzt, bis das Essen, Kohlrabi etwa, an dem Teller festklebte, wie vorverdaut aussah und nicht mehr genießbar war. Zwischendurch gab es natürlich nichts. Es sei denn, das Mädchen hätte vor lauter Mitleid dem ohnehin dürren Heranwachsenden, heimlich einen Bissen zugesteckt.
Bei seinen beiden Kindern verstand Rudolf es kaum, dass sie essen durften, was ihnen schmeckte. Solchen Firlefanz gab es in seinem Elternhaus nicht. Der Vater, das wäre ja gelacht, hatte natürlich die Oberherrschaft. Kam er vom Amt, eilte ihm seine Angetraute mit angewärmten Pantoffeln an der Tür entgegen, um ihm die Puschen über seine knöchernen und stets kalten Füße zu stülpen. Sonntags schnitt der Herr Amtsrat den Braten auf und mit größter Selbstverständlichkeit jonglierte er das größte Stück auf seinen Teller. Erst dann reichte das Mädchen den anderen Familienmitgliedern das, was noch übrig geblieben war und ergatterte selbst meist nur noch ein winziges Stückchen, zu dem man fast eine Lupe gebraucht hätte, um es wahrnehmen zu können. Schmeckte Rudolfs Vater das Essen nicht, oder war ihm im Amt eine Laus über die Leber gelaufen, kippte er den ganzen „Salat“ unter Fluchen auf den Teppich, und scheute sich auch nicht, den nunmehr leeren Teller wie einen Diskus gegen die Wand zu schleudern. Einmal steuerte ein solches Geschoss auf die hübschhässliche „Idylle von Heiligenblut,“ einem Erbstück seiner verstorbenen Eltern, die sich womöglich im Grab herumgedreht haben würden, wären sie nicht eingeäschert worden.
Auch Rudolf hatte nach einer Langmut von vielleicht drei Monaten in seiner jungen Ehe seinem Vater nachgeeifert und einmal einen Teller an die Wand geklatscht. Herta war zutiefst erschrocken, wäre aber eher gestorben, als dass sie den Teller aufgehoben hätte. Schließlich bückte Rudolf sich, sprang über seinen Schatten, weil es sonst niemand hätte für ihn tun wollen und beseitigte die Spuren seines unseligen geerbten Jähzorns.
Ja der Jähzorn. Herta ging ihrem Rudolf gern aus dem Weg, obwohl sich im Lauf der vielen Jahre diese Charakterschwäche gelegt hatte, beinahe ganz verschwunden war, aber durch seine Pensionierung wieder aufzuflammen drohte.
Wie sehr genoss sie es, sich im Kreis ihrer Freundinnen aussprechen zu können.
Denen ging es auch nicht viel besser, nur dass sie einen erheblichen Vorsprung in Sachen Trouble mit ihren Pensionären hatten, wie schon erwähnt, Herta war die Jüngste. Sie wurde von den Damen nicht unbedingt wegen ihres Mannes an sich, aber um dessen anscheinend