Der Debütant im Ruhestand. Heidi Hollmann

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Der Debütant im Ruhestand - Heidi Hollmann

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kleinen Sensation gleich kam.

      Genauso sensationell und dazu auch noch ehrenrührig war es zu ihrer Zeit gewesen, mit gerade mal achtzehn Jährchen, Mutter zu werden. Hertas eigene Mutter hatte sich nach der „Offenbarung“ und dem gemeinsamen sonntäglichen Mittagessen, das ihre unselige Tochter wieder „ausgespuckt“ hatte, aufs Sofa geschleppt. „Das überlebe ich nicht,“ hauchte sie und wartete liegend auf ihren Tod. Diese Schmach!

      „Was werden die Leute dazu sagen,“ war ihre bange Frage und ihr einziger Kommentar, nachdem ihr bewusst wurde, überlebt zu haben.

      Natürlich wurde hoppla hopp geheiratet, was soviel hieß wie: Mit Rückenwind! Schließlich war Rudolf ein Mann, ein Ehrenmann. Gerade diejenige, die den Schock überlebt hatte, ließ diesem ersten Enkel später alles durchgehen, was ihm überhaupt nicht gut bekam. Als der kleine Knirps um die zwei Jahre alt war, meinte seine Großmutter unvermittelt eines Tages in ihrem rheinischen Dialekt:

      „Ich mach nit mehr lang!“ was auch immer sie darunter verstand. Dieser Enkel hat die Fünfzig bereits überschritten und seine Oma erfreut sich bis auf wenige Zipperlein immer noch bester Gesundheit. Lang ist ein relativer Begriff. Aber das Getue mit dem erstgeborenen Enkel war keineswegs relativ. Herta dachte gar nicht gern an die vielen Eskapaden zurück. Eine in den Enkel vernarrte Großmutter ist schlimmer als ein Erdbeben der Stärke Sieben der nach der oben offenen Richter Skala, stellte sie immer wieder fest.

      DIE NICHSNUTZE

      Rudolf war ein Eigenbrötler geblieben. Erst recht nach seinem beruflichen Ausscheiden. Er tüftelte weiter an revolutionären Neuerungen an ihrem gemeinsamen kleinen Reihenhaus.

      Seine beiden Katzen beschäftigten ihn mindestens so, wie seine technischen Dinge. Neben Freude machten sie ihm viel Arbeit und bereiteten ihm auch so manchen Kummer. Auf jeder Etage standen für die hohen Herrschaften Schüsseln aufdrapiert, wie bei reichen Leuten chinesische Mingh-Vasen. Seine Lieblinge konnten nach Herzenslust ihre Exkremente dort hineinpurzeln lassen, ganz nach Belieben. Sie hatten die freie Auswahl! Gefiel es ihnen im Parterre nicht, hatten sie noch weitere Möglichkeiten auf der ersten Etage und wenn es genehm war, auch noch unter dem Dach ihre Duftwolken verströmen zu lassen.

      Neuerdings begann sich ihre Verdauung mit ziemlicher Regelmäßigkeit um fünf Uhr morgens zu regen. Mit anhaltendem scharren wurde diese Prozedur eröffnet. Herta nahm sie im Halbschlaf wahr. Den Langschläfer Rudolf trieb der bestialische Geruch aus den Federn. Er sprang auf, was für einen Morgenmuffel ein hartes Geschäft ist. Flugs beseitigte er das, was ihm Übelkeit verursachte. Herta duselte wieder ein und wusste, gleich wird sich der Geruch verflüchtigen. Jeden Morgen dasselbe Spielchen. Sie wunderte sich über Rudolfs Geduld, aber was blieb ihm anders übrig? Er war nicht unbedingt auf frühes Aufstehen erpicht, aber danach fragen diese eigenwilligen Kreaturen nicht. Sie suchen sich ihre Leutchen nach Belieben aus und biegen sie sich zurecht. Rudolf hatte sie allesamt in sein verkümmertes Herz geschlossen. Mit ihnen ließ sich reden, ohne dass er auf Widerworte oder Missverständnisse gestoßen wäre. Katzen waren für ihn einfach die besseren Menschen.

      Das empfand Herta ganz und gar nicht. Diese kleinen Biester hatten die Angewohnheit, sie als erste zu wecken, was ihnen regelmäßig gelang. Das über beide Betten von Rudolf angebrachte Regal, auf dem vor allem Hertas Abendlektüre ihren Platz fand, diente den Katzen als Liegeplatz, sobald sie aufgewacht waren. Von dort bombardierten sie speziell die Herta mit den Büchern, die sie im Liegen mit ihren Tatzen ein wenig schoben, bis sie herunterfielen, geradewegs auf Herta, die sich unter dem Oberbett in Sicherheit brachte. Stand dann immer noch niemand auf, sprang der schwarze Kater auf Hertas Nachtisch, wo er sich an ihrem Schmuck zu schaffen machte. Herta räumte das Zeug so gut wie nie weg, was aber für sie meist der ordentliche Rudolf besorgte. Schon aus dem Grund, weil die Katzen den Verschluss aus kleinen Diamanten an der Perlenkette (ein Erbstück) mir nichts, dir nichts, immer wieder anknabberten. Ihr ehemaliger Glanz war erloschen, was Herta aber nicht störte. Die Kette war deshalb ja nicht unbrauchbar und ließ sich gut schließen.

      Das erste, dieser für ihn beinahe anbetungswürdigen Tiere, ein halbverhungerter kleiner Tiger war Rudolf kurz vor Mitternacht vor seinem fünfzigsten Geburtstag entgegengelaufen. Eigentlich eher der Herta. Vorher hatte es einen kleinen Umtrunk mit wenigen Freunden gegeben. Man war nach Hause geeilt, um den Geburtstag dort mit den beiden fast erwachsenen Kindern zu feiern. Auf dem Weg am völlig im Dunklen gelegenen Bahndamm schrie Herta auf. Ihr war irgendetwas über ihre offenen Schuhe gelaufen. Sie vermutete, eine Maus und schrie gellend durch die Nacht. Wieder diese Berührung, die sich eine Maus niemals erlauben würde. Beim genauen Hinsehen, entdeckten sie den kleinen Kerl, der nahezu dreizehn Jahre bei ihnen blieb, bis ihn eine Tierärztin von seiner Krebserkrankung erlöste.

      Zwei seiner „Lieblingstiger,“ hatte Rudolf mit denen er besser konnte, als mit jedem Menschen, schon beerdigen müssen. Die kleinen Gräber wurden von ihm mit Steinen markiert und auf jedes Grab pflanzte er winterharte Stauden aus Zuneigung und auch zur Markierung.

      Herta beschlich der Gedanke, Rudolf müsse doch ein Herz haben und sie freute sich im Grunde genommen über seine Liebe zu diesen Pelztieren, die er sogar öffentlich zeigte. Sie selbst verbot sich, auch nur das kleinste böse Wort fallen zu lassen, wenn es um seine Katzen ging. Kurz vor Rudolfs Pensionierung hatte ihr Schwiegersohn ihnen ein Junges gebracht, das partout nicht aus seinem Motorraum zu entfernen war. Während er an seinem Auto bastelte, saß das Tierchen wie angeklebt dort und beobachtete sein Tun. Wohin nur mit dem maunzenden Beobachter?

      Zur nächsten Auffangstation, also zu Rudolf. Herta weigerte sich vehement, das Tierchen ins Haus zu nehmen, was zu erbitterten Diskussionen mit ihm geführt hatte.

      „Hier kommt mir kein Tier mehr rein, Rudolf, nicht mal `ne Scheißhausfliege!“ verneinte sie drastisch.

      Schließlich erbarmte Herta sich doch und gönnte Rudolf die Strapazen, die das Tier ihm später aufbürdete.

      Zunächst benahm es sich recht ordentlich, das heißt, es schlief sehr viel, aß sehr wenig und war kaum wahrzunehmen. Mit wachsendem Vertrauen ging es Rudolf aber tüchtig auf sein ohnehin nervöses Gemüt.

      Das Tier war urplötzlich nicht mehr mit seinem Dasein zufrieden, der Garten schien ihm zu klein zu werden und es verstand es, mit großem Erfolg, auszubüchsen. In einer verkehrsreichen Strasse ist eine Katze Freiwild für Autofahrer. Bisher hatten alle ihre Getigerten Glück, fielen keinem Auto zum Opfer. Bei dem Verkehr und dem Gesetz der Serie zufolge musste irgendwann mal irgendetwas passieren. Gegenüber ihres Hauses befand sich ein Haselnussbaum, den ein Nachbar vor ewigen Zeiten dort gepflanzt hatte, weil er keinen Platz mehr in seinem Reihenhausgarten für ihn fand.

      Dieser Baum zog vor allem Eichhörnchen magisch an und so manches Braune lag zur Flunder mutiert auf dem Mittelstreifen der Fahrbahn.

      Das befürchtete auch Rudolf für sein kleines Findelkind. Sein sonst so üppiger Nachtschlaf wollte ihn vor lauter Sorge nicht mehr beehren. Normalerweise brauchte er nur ins Bett zu klettern, ein „Gute Nacht“ zu brummeln, falls ihm das noch gelang, bevor Morpheus ihn in seine Arme nahm.

      Er sann darüber nach, was er tun könnte, um die Kleine, wie er sie voller Zärtlichkeit nannte, vor diesem Unheil, vor dem sie anscheinend noch nicht einmal bewahrt sein wollte, zu retten.

      Er zog ringsum mit viel Mühe und viel Geld, was ihn besonders schmerzte, einen Zaun hoch, einen, mit einem Überhang, wie er es bei den Affen im Zoo gesehen hatte. Das Tier würde es kaum schaffen, das Hindernis zu überbrücken.

      Denkste! Schon nach wenigen Minuten war die liebe kleine Henry, die eigentlich eine Henriette war, verschwunden. Rudolf hatte beim ersten

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