Verfangen. Ingrid Neufeld

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Verfangen - Ingrid Neufeld

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viel Geld Paul verspekuliert hatte. Und wenn es nach Paul ging, würde sie auch nie davon erfahren. Nur – wie sollte er die Verluste wieder ausgleichen? Er musste sich was einfallen lassen.

      Gedankenverloren betrachtete er die Aktienkurse. Seufzend klickte er sich aus dem Internet und schloss den Laptop. Irgendetwas würde ihm schon einfallen!

      *

      In seiner Arbeit hatte Paul mit vielen verschiedenen Firmen zu tun, denen sein Arbeitgeber Geld für Dienstleistungen oder Waren schuldete. Er war derjenige, der diese Gelder anzuweisen hatte.

      Seit er wusste, dass die von ihm gekauften Aktien so starke Verluste eingefahren hatten, dachte er pausenlos darüber nach, wie er möglichst schnell zu Geld kommen könnte.

      Seine Misere verschlimmerte sich noch, als Mareike meinte: „Du hast doch mein Geld auf ein Jahr angelegt. Das müsste doch jetzt demnächst fällig werden. Mein Auto gibt in letzter Zeit so komische Geräusche von sich. Wenn ich wieder eine Reparatur habe, trenne ich mich davon. Dann kaufe ich mir ein anderes Auto.“

      Paul schluckte. „Du hängst doch so an deinem Auto. Lass es doch noch mal reparieren.“

      Mareike wirkte gestresst. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Na ja, ich lass es erst mal durchchecken. Aber wenn die in der Werkstatt sagen, dass ich wieder so eine teure Reparatur habe, dann ist endgültig Schluss.“

      „Bestimmt ist es nicht so schlimm. Bring das Auto erst mal in die Werkstatt.“ Paul war froh, noch ein wenig Luft zu haben. Wenn Mareike aber das Geld wirklich haben wollte, müsste er Farbe bekennen. Es sei denn, er hätte einen anderen Einfall. Sein schlechtes Gewissen erdrückte ihn fast.

      Er betete in seiner Not. Paul glaubte an Gott. Seit frühester Kindheit betete er zu ihm. Deshalb engagierte er sich auch im Kirchenvorstand. Für ihn war es ganz einfach: er engagierte sich für Gott, also musste Gott jetzt was für ihn tun.

      Er betete immer wieder dasselbe: „Lass ein Wunder geschehen und meine Aktien steigen.“ Gebetsmühlenhaft, immer wieder leierte er den Satz herunter. Wieder und immer wieder.

      Doch Gott erhörte seine Gebete nicht. Im Gegenteil: Am nächsten Tag brachen die Aktienkurse erneut ein.

      Da setzte sich ein Gedanke in ihm fest. Ein Gedanke, der ihn nicht mehr los ließ. Ein Gedanke ganz anderer Art. Ganz wohl war ihm dabei nicht. Aber hatte er eine Wahl? Gott wollte ihm ja nicht helfen!

      Er könnte doch eine Firma gründen und seinem Arbeitgeber Waren in Rechnung stellen. Niemand würde nachprüfen, ob diese Sachen auch geliefert worden wären. Das müsste doch ganz einfach sein. Er ignorierte die Stimme, die leise in ihm flüsterte, dass das der falsche Weg war.

      Am nächsten Tag ging er zu einer Bank und eröffnete ein Konto für eine Firma namens „Kaufgut“. Mit Hilfe des Computers gestaltete er sich Geschäftspapiere und schon schickte er die erste Rechnung an seinen Arbeitgeber.

      Wenige Tage später wies er diese Rechnung mit etlichen anderen zur Bezahlung an. Es ging ganz einfach. Niemand schöpfte Verdacht.

       Am Existenzminimum

      In einem anderen Teil derselben Stadt wohnte Familie Bachmeyer. Ihr Zuhause war eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem großen Wohnblock aus den späten Siebzigern. Unten gleich neben dem Eingang gab es eine ganze Wand mit Briefkästen, aus denen reihenweise Werbeblätter hingen, die von niemandem entleert wurden. An der gegenüberliegenden Wand stand völlig verblasst, aber dennoch zu lesen: „Fick deine Mutter.“ Die Großbuchstaben waren irgendwann einmal vom Hausmeister überstrichen worden. Vielleicht hatte er eine nicht deckende Farbe benutzt, jedenfalls war der Satz noch immer zu entziffern.

      Der ehemals weiße Anstrich schimmerte gräulich und vermittelte einen trostlosen Eindruck. Neben dem Treppenhaus führte ein Lift hinauf bis in die neunte Etage.

      Familie Bachmeyer wohnte im achten Stockwerk. Der Lift hielt dort mit einem geräuschvollen Blong. Sven Bachmeyer war mitte dreißig, zwei Jahre älter als seine Frau Jasmin. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder, einen vierzehnjährigen Sohn namens Kevin und eine fünfjährige Tochter, namens Anja. Sven war groß, breitschultrig, muskulös mit einem kantigen Gesicht. Die blonden Haare trug er kurz abrasiert. Seine wässrigen blauen Augen hatten einen Rotstich, so als hätte er eine Bindehautentzündung. Er trug ein ärmelloses Top, damit man seine Drachen-Tätowierungen an den Oberarmen gut sehen konnte. Seine Gesamtausstrahlung war die eines gewalttätigen Menschen, eines Mannes, dem man als Frau nicht so gerne im Dunkeln begegnen würde.

      Bis vor kurzem hatte Sven als LKW-Fahrer gearbeitet. Bei einer Zuliefererfirma für die KFZ-Industrie. Doch dann fehlten Aufträge. Seine Firma musste Insolvenz anmelden und Sven verlor seine Arbeit. Seitdem verbrachte er die meiste Zeit zu Hause vor dem Fernseher und tröstete sich mit einem Kasten Bier.

      Frau Bachmeyer war mit 1,58m nicht gerade besonders groß. Sie trug ihre dunklen Haare kurz und stylte sie vom Kopf abstehend, so dass ihr Haar meist aussah, als sei sie direkt in einen Sturm geraten. Ihre Stupsnase zierte ein Piercing, genauso wie ihre Ohren, die beide drei Piercings aufwiesen. Ihren fülligen Körper kleidete sie in Schlabber-T-shirts über bequeme Jeans mit Gummibund.

      Auch der vierzehnjährige Sohn gelte seine dunklen Haare regelmäßig so, dass sie vom Kopf abstanden. Er zog am liebsten Sporthosen an, mit denen er sogar die Schule besuchte. Falls er hinging, denn er fiel immer wieder durch Schulschwänzen auf.

      Die Tochter war schüchtern, in sich gekehrt und redete für ihr Alter recht wenig. Wenn sie dann doch was sagte, neigte sie zum Stottern und zum Verschlucken von Silben. Sie hatte eine Fehlstellung der Augen, weshalb eines der Augen regelmäßig mit einem Pflaster abgeklebt werden musste. Ihre blonden Haare waren zu dünn für eine längere Frisur, deshalb wurden sie regelmäßig geschnitten, und zwar von der Mutter selbst. Denn sie musste das Geld für den Friseur sparen.

      Jasmin Bachmeyer arbeitete als Regalauffüllerin in mehreren Supermärkten. Sie musste meist schon um sechs Uhr aus dem Haus, da lag der Sohn noch ganz gemütlich unter seiner Decke. Ob er später aufstand, entzog sich ihrer Kontrolle. Jetzt war der Vater zu Hause. Aber der kümmerte sich nicht um seinen Sohn. Auch er stand auf, wann er wollte und dann schaute er nicht, ob der Sohn noch im Bett lag, oder in die Schule gegangen war. Seit Sven seine Arbeit verloren hatte, fühlte er sich nutzlos. Er litt unter dem Geldmangel und versuchte sein Versagen im Alkohol zu ertränken. Gerade, dass er es hinkriegte, die Tochter in den Kindergarten zu bringen. Das klappte auch nicht immer. Oft lag der Vater zu lange im Bett. Dann war es zu spät für den Kindergarten und Anja musste den Tag in der Wohnung verbringen.

      Kevin befand sich gerade mitten in der Pubertät. Er stand auf, wann er wollte, zog sich irgendwelche Klamotten aus dem Schrank, ging vielleicht in die Schule, vielleicht auch nicht. Wenn er in die Schule ging, fiel er durch aggressives unangepasstes Verhalten auf. Er flegelte sich auf seinen Stuhl, die Füße auf dem Tisch, die Arme hinterm Kopf verschränkt. Auf manche Lehrer hörte er, auf einige überhaupt nicht. Dann blieb er so sitzen, gab freche, oder gar keine Antworten, spielte mit anderen Karten, oder redete in normaler Lautstärke über das letzte Fußballspiel. Er gab sich keinerlei Mühe, wenigstens so zu tun, als sei ihm die Schule wichtig. Stattdessen ignorierte er den Lehrer und alles, was der erklärte.

      Herr Ruppert, der Englischlehrer teilte die letzte Arbeit aus: „Bachmeyer, das war leider zu wenig. Ich konnte dir keine andere Note geben.“

      Kevin nahm die Arbeit entgegen, ohne auch nur drauf zu schauen. Die „6“ war ihm völlig egal. Er steckte das Blatt

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