Verfangen. Ingrid Neufeld
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„Warst du beim Arbeitsamt?“, fragte Jasmin, obwohl sie genau sah, dass er bestimmt nicht direkt vom Amt kam. Vorsichtig atmete sie dabei aus und mit offenem Mund wieder ein.
„Klar, war ich“, behauptete Sven und konnte sich kaum mehr richtig artikulieren. „Sind alles Schweine dort drinnen. Alles Schweine…“
Er plumpste auf den nächsten Stuhl und strich sich mit der Hand übern Kopf. Die Augen fielen ihm zu. Er riss sie gleich darauf wieder auf. „War auf dem Amt“, wiederholte er. „Aber … sind alles Schweine…“
„Was istn los?“, wollte Jasmin wissen.
„Haben keine Arbeit für mich… Sagen sie… Aber… die tun nichts…. Die sitzen dort nur rum…. Kümmern sich gar nicht um einen.“
Jasmin schüttelte den Kopf. „Laber keinen Quatsch. Die können dir nichts vermitteln, wenn keiner einen einstellt.“
Doch Sven war viel zu betrunken, um noch logisch denken zu können. Ganz offensichtlich hatte er nach dem Besuch beim Arbeitsamt noch tüchtig gebechert. Es war doch danach, oder? Jasmin schoss dieser Gedanke wie ein elektrischer Stromstoß durch den Körper. Er wird doch nicht schon besoffen dort aufgetaucht sein? Kein Wunder, dass die dann keine Arbeit hatten. Für einen betrunkenen Fahrer!
„Du bist doch nicht besoffen auf dem Amt gewesen?“ Sie schaute ihren Mann eindringlich an.
„Was ist los?“, lallte der.
Jasmin begriff, dass sie aus dem nichts mehr herausbringen würde. Sie packte ihn und schleppte ihn ins Schlafzimmer. Dort hievte sie ihn samt Klamotten aufs Bett. Sollte er erst mal seinen Rausch ausschlafen.
Die Botschaft
Johannes Wohlleben lebte auf einem stillgelegten Bauernhof, vom nächsten Dorf etwa zwei Kilometer entfernt. Der Witwer bestritt seinen Lebensunterhalt durch die Kunstmalerei. Den früheren Stall hatte er zum lichtdurchfluteten Atelier umgebaut. Die einstige Wohnküche, in der früher Knechte und Mägde gemeinsam mit Bauer und Bäuerin um einen großen Holztisch saßen, diente als Ausstellungsraum.
Johannes Wohlleben sah durchschnittlich aus, hatte zu kleine, eng stehende Augen und eine zu große Nase. Die Haare wollte er schon seit Jahren zu einem Pilzkopf schneiden lassen, so wie die legendären Beatles. Aber nie fand er eine Friseurin, die das hinbekam. Wahrscheinlich waren die Damen alle viel zu jung und kannten die Beatles nicht mehr. Jedenfalls schnitten sie ihm in der Regel zu viel ab. Nie trafen sie die richtige Länge. Die einen behaupteten, sein Haar sei zu voll, die anderen, er hätte zu viele Wirbel. Wie auch immer, jedenfalls trug er sein dunkles Haar nicht ganz so lang wie seinerzeit die Beatles.
Das Haus kaufte der Kunstmaler, als seine Frau und sein Sohn durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen waren. Er zog sich damals aufs Land zurück und lebte seither sehr zurückgezogen.
Für manche war Johannes Wohlleben ein komischer Kauz. Er passte in kein Schema. Er suchte keinen Kontakt zu anderen Menschen und fühlte sich wohl dort in seiner Abgeschiedenheit.
Es war eine schlimme Zeit, als seine Familie durch einen Flugzeugabsturz so jäh aus dem Leben gerissen wurde. Seine Frau Susanne und sein Sohn Alex waren ohne ihn unterwegs gewesen. Lange hatten sie sich schon auf den Urlaub gefreut. Sie hatten geplant und gepackt und der Reise entgegengefiebert. Doch dann wurde dieser Auktionstermin verschoben. Damals handelte er noch mit Kunstgegenständen und er musste auf eine wichtige Auktion, die eigentlich schon eine Woche vorher angesetzt war. Dann wurde sie kurzfristig abgesagt und genau am Abflugtag neu angesetzt. Da die Plätze im Flugzeug schon gebucht waren, schickte er seine Familie vor, ließ nur seinen eigenen Flug umbuchen.
Deshalb saßen Susanne und Alex alleine in dieser Unglücksmaschine. Er wollte mit dem nächsten Flieger nachkommen. Doch die Maschine kam nie an, sie stürzte ab. Es dauerte Wochen bis alle Toten zugeordnet werden konnten. Johannes hatte keine Tränen mehr, als er Susanne und Alex identifizieren musste.
Er fühlte sich sinnentleert, ausgebrannt. Monatelang brauchte er, um neuen Lebensmut zu schöpfen. Dann kaufte er den Bauernhof und fing an zu malen.
Johannes litt sehr unter dem Verlust. Es war für ihn ein absoluter Einschnitt in seiner Seele. Manchmal fühlte er sich wie auseinandergerissen. Damals hatte er durchaus mit Gott gerungen und Gott angeschrien: warum verhinderst du das Leid nicht?
Zuerst kam die Trauer, dann die Einsicht. Ja, die Einsicht, dass es nicht Gott ist, der uns all das Schreckliche, dieses ganze Leid zumutet.
Das Leid ist in seinem Kern, seinem ganzen Ursprung nach nicht Gott gewollt. Als diese Gewissheit in ihm reifte und immer mehr Raum einnahm, ahnte er auch etwas von der Liebe Gottes.
Glaube, das war etwas, das ihn seit seiner frühesten Kindheit begleitete, das ihm Halt gab und seinem Leben Sinn verlieh. Seit er denken konnte, hatte er sich regelmäßig mit der Frage nach Gott auseinandergesetzt. Seine Eltern hatten ihn in den Sonntagsgottesdienst geschleppt. Doch für ihn war es nie Tradition, oder Ritual, es war ihm schon früh ein Bedürfnis, sich selbst mit den tiefsten Dingen seiner menschlichen Existenz auseinanderzusetzen. In allerfrühester Kindheit schon stellte er sein Leben bewusst unter Gottes Herrschaft. Der Tod Jesus Christi berührte ihn bis in das Innerste seines Seins. Er wusste, dass ein Leben auf dieser Welt ohne Güte Gottes nicht möglich war.
Johannes zehrte so sehr von der Barmherzigkeit Gottes, dass sich für ihn die Frage nicht stellte, ob Gott diesen Schicksalsschlag zugelassen hatte.
Seiner Ansicht nach ließ Gott so etwas nicht zu. Denn er glaubte an einen liebenden Gott. Er besaß ein tiefes Wissen in sich selbst, dass diese Welt von den Mächten der Finsternis umschlungen wurde. Warum das so war, wusste er nicht. Er ahnte, dass dieses Geheimnis auf Urzeiten zurückgeht, auf einen Ort, auf eine Zeit, die mit unserer jetzigen Welt nichts mehr zu tun hatte.
Wenn aber in dieser Welt das Böse die Macht hatte, musste sich der Mensch nicht wundern, wenn Leid, Schmerz, Krankheit und Tod sich ereigneten. Vielmehr musste sich der Mensch wundern, wenn all dies nicht geschah. Tiefste Verzweiflungen, Depressionen, Wut und Schmähungen waren leider normale Dinge, die zwangsläufig geschahen.
Liebe und Freude waren das Außergewöhnliche. Sie gehörten zu den Dingen, die Johannes bei sich „Gottes Barmherzigkeitstropfen“ nannte.
Glück in dieser Welt – das war Gnade in seiner Reinform.
Johannes meditierte viel. Da er allein lebte, ergab es sich ganz von selber, dass er den ganzen Tag über mit Gott im Gespräch blieb. Er selbst empfand sein Leben nicht als einsam, sondern als ausgefüllt und bereichernd. Ausgefüllt deshalb, da er als Kunstmaler gut im Geschäft war. Seine Bilder verkauften sich, er hatte sein Auskommen. Aus diesem Grund kamen auch immer wieder Leute zu ihm auf den Hof, die sich seine Kunstwerke anschauen wollten. Dann organisierte er auch hin und wieder eine Ausstellung. Damit war er genug ausgelastet. Mehr wollte er auch gar nicht.
Bereichernd deshalb, weil er ein sehr ausgeglichenes Leben führte. Neben seiner Arbeit blieb ihm sehr viel Zeit für geistliches Leben. Das bestand bei ihm in der Hauptsache aus Gebet und dem Lesen in der Bibel. Sein Glaube wurzelte tief in seinem Herzen. Trotzdem kannte er Zeiten, in denen er sich den Glauben am liebsten ausgerissen hätte. Wo er mit Gott gerungen hatte, wie einst Jakob. Wo er ganz nahe dran war, seinen Glauben wegzuwerfen und wo ihn Gott doch wieder einholte,