Zwielicht Classic 13. Michael Schmidt

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Zwielicht Classic 13 - Michael Schmidt

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tauchten, um Perlen zu sammeln für diese unerträglich kostbare Ewigkeit, die nur geträumt war. Marcello freute das.

      „Liebt ihn“, sagte er ihnen. „Er ist nicht vollkommen. Dann kommt mit mir. Wir machen ihm seine Kinder.“

      Marcellos Leiche wurde in der Garderobe seines Sohnes aufgefunden, nachdem Maris ein letztes Mal auf der Bühne gestanden hatte. Die Hose war bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, die Hoden fehlten, der Unterleib schwamm im Blut. „Grauenhaft, ganz grauenhaft“, schrien sie und glotzten fassungslos. Der Vater lag dort mit zerfetzter Kehle und staunenden Blickes aus toten Augen auf dem Frisiertisch, und am Abend in der Theaterschenke schwor man bei allen Heiligen, dass seine Stimmbänder herausgerissen waren. Ein schlanker, dunkelgekleideter Mann sei kurz vor dem Schlussapplaus für Marius aus dessen Umkleide gekommen, nein, gejagt. Geflüchtet. Panisch, oh doch. Der hatte vermutlich … doch warum?

      Nach dem Mord trat Maris nie wieder auf. Kurz darauf verschwand er im Nichts. Man munkelte, er und kein geheimnisvoller Fremder hätte Marcello umgebracht und sich aus dem Staub gemacht, vielleicht auch selbst getötet, irgendwo, wo man nicht nachgesehen hatte. Man sagte, der Vater hätte ihn verprügelt und überhaupt schlecht behandelt, ihn, den Kastrierten, die Kehle, die Geldquelle. Man wusste es aber nicht und blieb ratlos zurück. Es blieb nur das Grau, es heulten die Wölfe. Sie heulten schrill.

      Wenn es dunkel wird, erzählt man sich die wahre Geschichte. Einige sitzen am Feuer und nicken, weil sie den Grund längst kennen. Andere lauschen immer, auch den versteckten Lügen. Und verbreiten alles, ohne zu unterscheiden. Freilich war es so zu jener Zeit geschehen, dass Knaben von den Straßen verschwanden, nach denen vergeblich gesucht wurde. Viel Mühe machte man sich nicht. Sie waren eben fort, weggelaufen vielleicht. Verschleppt. Getötet gar. Man schüttelte sich fassungslos, blickte angewidert und ging seiner Wege. Es waren ungewaschene Kinder ohne ein ordentliches Zuhause. Unwichtig für die Nacht, in der man sie nicht sah, unwichtig für den Tag, der sinnvoll sein sollte. Irgendwie. In jener Zeit, in der Maris sich auf dem Höhepunkt seiner so großartigen, so kurzen Karriere befand, verliebte er sich in einen jungen Arzt namens Sergio. Es war eine leidenschaftliche, kompromisslose Beziehung, in die Maris sich stürzte, begierig und bereit, alles zu tun, um diese Liebe zu halten. Natürlich war sie verboten. Natürlich durfte niemand von ihr erfahren. Maris war der Erzengel. Die Frauen bebten, stöhnten, ihre Rufe trommelten: „Maris. Gabriel. Maris. Gabriel.“

      Sergio war ein Mörder, der über seine besondere Lust lachte. Er lockte kleine Jungs, spielte mit ihnen und schnitt die zarten Kehlen durch. Das Blut trank er aus geschliffenem Glas, das Fleisch zerlegte, kochte oder briet er, dann aß er es an fein gedeckter Tafel. Danach lutschte er Trauben und hörte Maris zu. Der überwand seinen anfänglichen Ekel zum eigenen Erstaunen schnell, zumal Sergio so leichtfüßig mit allem umging. Das gefiel ihm. Und er hatte die Knaben gern. Sie erinnerten ihn. Er setzte sich zu Sergio an den Tisch, griff beherzt zu, bedauerte insgeheim, bei der liebevollen Zubereitung nicht geholfen zu haben.

      „Es ist perfekt, es soll so sein“, sagte Sergio. „Es hält gesund und jung.“

      Und Maris ergänzte: „Schön. Es hält so schön. Nicht wahr? Nicht wahr?“ Zärtlich streichelte er die glatte, weiche Haut seines Freundes, berührte dann sich selbst, leicht nur, fast ehrfurchtsvoll, seufzte, lächelte. „So schön. So wundervoll. Mach uns unsterblich.“

      Sergio küsste seinen Mund.

      „Das bist du schon. Mein süßer Kastrat. Blutrot die Lippen, blutrot das Lied.“

      „Ich werde nur die Hoden verspeisen. Und die Zungen. Was meinst du?“ Maris sah ihn erwartungsvoll an. Blaue Augen. Goldgesprenkelt. So groß. Ein dichter Wimpernkranz.

      Sergio umarmte ihn.

      „Wenn es einem gebührt, dann dir. Ich werde mehr von ihnen holen.“

      Maris klatschte begeistert in die Hände.

      „Ich werde dich begleiten. Ich liebe sie. Sie sind so zauberhaft in der Dunkelheit. Ich bade sie, ich parfümiere sie, ich füttere sie mit Süßigkeiten. Wir lieben sie. Ich werde ihre Hoden essen. Meine Stimme … oh, mein Herz.“

      Sergio nickte.

      „Deine Stimme soll satt werden, Prinz.“

      Und wahrhaftig, immer kraftvoller, höher, schallender soll Maris gesungen haben, so überirdisch hallend, dass sie alle von ihren Sitzen sprangen und jubelten.

      „Er wird immer besser. Man kann nicht ewig noch besser werden. Die Engel haben ihn geküsst. Es sind ihre Weisen.“

      Als Marcello von Sergio erfuhr, tobte er. Maris. Ein schwuler Krüppel. Nicht mehr als das. Wie erbärmlich. Und wie tröstlich für ihn, dass er niemals von den irritierenden Mahlzeiten erfuhr. Er starb in der Garderobe seines Sohnes als wütender Mann. Da war nichts anderes.

      Wer ihn getötet und verstümmelt hatte, kam nie heraus. Vermutlich Sergio. Maris? Mag sein. Er bekundete seine Trauer um den Vater öffentlich nie. Nachdem er verschwunden war, gingen die Lichter aus. Und irgendwann wieder an. So einfach war es letztendlich doch. Das Ende verstummte. Und nur der Wind sang noch irgendwas, das klang wie Blutrot die Lippen, blutrot das Lied...

      Regina Schleheck – Dölfchens wunderbarer Waschsalon (2013) 11

      Dölfchens wunderbarer Waschsalon

      Regina Schleheck

      Edmund hatte ausgelitten, und Mutter wollte nicht aufhören zu weinen. Da schlug der Vater ihr mitten ins Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen und nicht damit gerechnet. Ihr Kopf flog so heftig nach hinten, dass sie das Gleichgewicht verlor und mit einem Schrei vom Stuhl kippte. Er trat zu, bis sie nur noch leise wimmerte. Es tat weh, sie so zu sehen. Nicht wegen des Kummers und der Schmerzen. Es tat weh zu sehen, wie sie sich fallen ließ. Wie ein Tier. Als Vater in der Woche davor den Hund verprügelte, hatte der sich ihm genauso zu Füßen geworfen, die Läufe vorgestreckt, und dann hatte er tatsächlich uriniert, was Vater zur Nilpferdledernen greifen ließ. Er hörte nicht auf, bis die Lache, in der der Hund lag, sich dunkelrosa färbte.

      Mir konnte er nichts mehr tun. Ich hatte zu viel Karl May gelesen. Vorher war ich jeden Abend verprügelt worden. Weil ich immer zu spät nach Hause kam. „Warum tust du das, Dölfchen?“, fragte Angela. Ich zuckte die Schultern: „Ich kriege sowieso eine Tracht, egal, was ich mache. Wenn ich pünktlich komme, habe ich eine Stunde weniger. Wenn ich wegbleibe, kann ich eine Stunde länger spielen. Die Prügel dauern nur fünf Minuten.“

      Karl May hat mich gelehrt, dass man seinen Schmerz nicht zeigen soll. Das hab ich gemacht. Ich hab laut mitgezählt. Zweiunddreißig Peitschenhiebe. Meine Mutter stand vor der Tür mit dem Ohr am Holz. Sie kann es bestätigen. Ich hab bis zweiunddreißig gezählt und kein bisschen geschrien. Als er im Wirtshaus war, kam sie ins Zimmer und hat mich gesalbt und getröstet. Sie versteht nicht, dass Härte das einzige ist, was hilft. Die Menschen sind heute alle verweichlicht. Drei Kinder hatten meine Eltern schon verloren. Bei Edmund waren es die Masern. Auch die Indianer sind an Masern gestorben. Im Überleben zeigt sich, wer aus dem richtigen Holz ist. Es war das letzte Mal, dass Vater mich mit der Peitsche verprügelt hat.

      Angela ist meine Halbschwester. Sie und Alois sind schon fast erwachsen. Als Vater zum ersten Mal mit der Peitsche ausholte, war ich drei. Ich hätte es mir sicherlich nicht merken können, wenn sich mir Angelas Bild nicht so eingebrannt hätte. Sie ist sechs Jahre älter, trug lange blonde Zöpfe. Von hinten an der Hose hat sie meinen Vater gepackt und von mir wegzuzerren versucht. Alois, der Ältere, hat sich nur weggeduckt. Aber sie hat gekämpft. An den Zöpfen hat er sie gerissen und in die Ecke geschleudert.

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