Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani

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Von Jerusalem nach Marrakesch - Ludwig Witzani

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der Wellen gegen die Ufermauern. Ich war so einsam, dass es fast schon wieder ein Erlebnis war.

      Da ich nicht einschlafen konnte, kramte ich meine Stirnlampe aus dem Rucksack und las ein wenig in meinen Reiseführern. Dort wurde Akko als eine der ältesten Städte der Welt dargestellt, als ein Schmerztiegel der Völker, in der sich die antiken Reiche gleichsam die Klinke in die Hand gaben. Ägypter, Phönizier, Syrer und Hethiter, die Israeliten, Assyrer, Perser, Griechen, Römer und Byzantiner hatten nacheinander die Stadt kontrolliert. An die Araber fiel Akko schon im Jahre 636, gerade mal vier Jahre nach dem Tod des Propheten, und ganz gleich, welche Herren später noch kommen sollten - mohammedanisch ist Akko seit dieser Zeit geblieben. In Akko wurden die Schiffe gebaut, mit denen die Araber im achten Jahrhundert Konstantinopel belagerten, Kreta eroberten und die Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer errangen. Akko wuchs und wurde reich, Stadtmauern entstanden und schützen die großen Karawansereien der Stadt. Auch die Epoche der Kreuzzüge vermochte an der moslemischen Prägung der Stadt nichts mehr zu ändern. Akko wurde erobert, ging wieder verloren und wurde neu erobert, doch am Ende fiel die Geschichte wie ein Fallbeil über die Kreuzfahrer nieder – und zwar nirgendwo anders als eben in Akko, das im Jahre 1291 als die letzte Kreuzfahrerfestung der Levante an die Moslems zurückfiel. Zigtausende Christen wurden von den siegreichen ägyptischen Mamluken erschlagen, und wer konnte, floh nach Zypern.

      Als ich am nächsten Morgen durch Akko spazierte, war der Himmel aufgerissen. Die Regenwolken hatten sich verzogen und die Sonne brachte einen Hauch von Frühling in die Stadt. Auch nach der Gründung des Staates Israel war die Bevölkerungsmehrheit Akkos arabisch geblieben. Es handelt sich die Nachkommen jener Araber, die im ersten Nahostkrieg vor den anrückenden arabischen Armeen nicht aus Israel geflohen, sondern im Land geblieben waren und denen der jüdische Staat deswegen die israelische Staatsbürgerschaft verliehen hatte. Doch auch wenn diese „israelischen Araber“ durch eigene Abgeordnete in der Knesset vertreten waren, betrachteten die meisten von ihnen den Staat Israel als Besatzungsregime. Auf der anderen Seite erkannten viele Juden in ihnen nichts weiter als die fünfte Kolonne der arabischen Todfeinde im eigenen Land. Mehrere Terroranschläge die aus den Reihen der israelischen Araber in den letzten Jahren unternommen worden waren, bestärkten sie in dieser Auffassung. Erst vor kurzem hatte ein israelischer Araber in der Straßenbahn von Jerusalem eine junge britische Frau niedergestochen. Einfach so. Aus dem ewigen Hass heraus, der jedem nahöstlichen Unrecht einen schrecklichen Ewigkeitsstatus verleiht.

      Von diesem Hass war bei meinem Rundgang durch Akko nichts zu bemerken. Die Händler und Besucher in den Souks scherzten mit den Touristen, freundlich wurde mir ein Tschai serviert, und als ich Orangen kaufte, erhielt ich als Dreingabe eine Handvoll Datteln geschenkt. Es roch nach Pfeffer, Muskat und Ingwer, und unablässig dampfte der Tee aus den kleinen türkischen Gläsern. Wohin ich auch blickte, das Leben, das mich umgab, war merkwürdig intensiv, die Gesten und Reden waren raumgreifend und laut, und ich hatte das Gefühl, dass der Orientale alles was er tat – Lachen, Schimpfen, Verhandeln oder Teetrinken – immer mit der ganzen Person tat. Dass viele Moslems auch im Kampf und im Hass ganz bei sich selbst waren, gab dem Nahostkonflikt seine bitterste Note.

      Manche Feinheiten des Orients begreift man übrigens erst im Winter. So war es bei Regen im Souk nahezu unmöglich, in der Mitte zwischen den Auslagen zu gehen, weil die Pergolas dafür sorgten, dass einem das Wasser von beiden Seiten in den Kragen lief. Man konnte sich nur links oder rechts in der Nähe der Stände fortbewegen, eine Chance, die sich kein Händler entgehen ließ.

      Die meisten Sehenswürdigkeiten, die es für mich an diesem Tag in Akko zu besichtigen gab, entstammten der Türkenzeit, genauer gesagt, der Epoche des bosnischen Paschas Ahmed, der um 1800 in Akko als Stellvertreter des türkischen Sultans residierte und dem die Einwohner den wenig schmeichelhaften Namen „El Jezzar“, der Schlächter, gegeben hatten. So blutig der Schlächter in Akko auch regiert haben mochte, in der nach ihm benannten Moschee Ahmed-el-Jezzar herrschte eine weltabgewandte Ruhe. Unter zwei kleinen Apfelsinenbäumchen im Vorgarten stand der Reinigungsbrunnen, an dem die Gläubigen sich säubern mussten, ehe sie das marmorweiße Gotteshaus mit seinen grünen Ziegeln betreten durften. Im Innern der Moschee bewunderte ich die Schönheit der Ornamente, die Ausgewogenheit der Linienführung und die Verhaltenheit der Farben. Ich dachte an die überbordende Plastik hinduistischer Tempel und erkannte, dass Schönheit immer auch durch Beschränkung entstand. Insofern war das Verbot der Figurendarstellung im Islam auch ein Geschenk an die Kunst.

      Nur unter der Erde fand man noch Spuren der Kreuzfahrerzeit. Kalt und düster wirkte die Krypta des heiligen Johannes, einem der großen Versammlungsräume des Johanniter Ritterordens. An der Decke der Krypta befand sich übrigens eines frühesten Beispiele gotischer Spitzbogengewölbe, eine bauliche Innovation, die in diesem Weltteil nicht mehr zur Entfaltung kommen konnte. Stieg man die Kreufahrerkrypta empor, führten nur wenige Schritte den Besucher gleich einige Jahrhunderte weiter in Richtung Gegenwart. Ich erreichte die Zitadelle und die Stadtmauer und erblickte die gigantische Befestigungsanlage, die selbst Napoleon auf seiner Orientexpedition von 1799 nicht hatte erstürmen können. Vor den Mauern dieser Festung war die französische Armee elend zugrunde gegangen, während der junge Feldherr zurück nach Frankreich geflohen war. Das war lange her und doch nicht vergessen, wie es mir überhaupt vorkam, als würde wenig vergessen in Akko. Ein jahrtausendealtes urbanes Gefäß, in dem die Geschichte so lebendig geblieben war wie an kaum einem Ort sonst. Keinen Menschen sah ich in der restaurierten Karawanserei Khan-ei-Umdan, und doch war die Stimmung uralter Zeiten übermächtig. Vor meinem inneren Auge sah ich die Händler aus Isfahan, Kairo oder Bagdad, die im ersten Stock untergebracht waren, während man im Innenhof ihre Kamele versorgte.

      Als ich von Akko aus durch die Berge Galiläas nach Zefad fuhr, begann es wie aus Eimern zu regnen. Auf 500 Höhenmetern verwandelte sich der Regen in Schnee und die Straße wurde rutschig. Gottlob herrschte kaum Verkehr, nur hier und da kam uns ein Fahrzeug mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegen.

      Am Ortseingang von Zefad war kein Mensch auf der Straße zu sehen. Nur eine Tankstelle hatte offen, in die ich vor dem Schneeregen flüchtete. Als ich fragte, ob ich meinen Rucksack abstellen dürfte, um mir eine Stunde die Stadt anzuschauen, rief der Tankstellenwart einige Worte nach hinten. Sofort erschienen zwei Männer im Verkaufsraum und verlangten auf der Stelle zu sehen, was sich in meinem Rucksack befand. Erfahrung machte misstrauisch.

      Zefad war neben Jerusalem, Hebron und Tiberias eine der vier heiligen Städte des Judentums und ein Ort, in dem die Erinnerung an Kampf und Vertreibung über die Jahrtausende hinweg in besonderer Weise gegenwärtig geblieben war. Nach der Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land hatte sich in Zefad eine kleine jüdische Gemeinde behauptet, die sich im Laufe der Zeit zu einem Scharnier und Anlaufpunkt der jüdischen Diaspora entwickelte. Eine wirkliche Neubesiedlung Zefads durch die Juden erfolgte jedoch erst, als die katholischen Könige in Spanien 1492 die Ausweisung aller sephardischen Juden aus Spanien verfügt und die osmanischen Sultane eine Ansiedlung der Juden in Zefad gestattet hatten. Im 17. Jahrhundert versorgten jüdische Druckervereine in Zefad, die Glaubensbrüder in aller Welt mit jenen heiligen Texten, die nicht zuletzt die Rückkehr der Juden ins Heilige Land verhießen.

      Diese wechselvolle Geschichte hatte in den Synagogen von Zefad wenig Spuren hinterlassen. Die Synagogen waren kaum größer als Turnhallen, ihre Scheiben waren beschlagen, und nur funzelige Lichtquellen erhellten die holzgetäfelten Räume. Den Mittelpunkt der Synagoge bildete der Thora-Behälter, der sich entweder mitten im Raum befand oder in die Wand eingelassen war. Wenn die Lichtverhältnisse besser gewesen wären, hatte man die Synagoge als ein Gotteshaus zum Schmökern bezeichnen können, denn immerhin existierten bequeme Sitzgelegenheiten und reichlich heilige Texte, die für Studium und Erbauung bereitstanden. So aber befanden sich nur wenige ältere Männer im Raum, die vor den Textrollen saßen, ohne hineinzublicken. Entweder war ihnen das Licht zu schlecht, oder sie kannten die Texte auswendig.

      Gerade mal gut zwei Stunden blieb ich in Zefad, denn ich fand keinen Ort, um meinen Rucksack abzulegen, und als ich mit dem Rucksack die Synagogen besuchen wollte, ging das niemals ohne Kontrollen ab. Das Misstrauen, das mir

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