Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani

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Von Jerusalem nach Marrakesch - Ludwig Witzani

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vergällte es mir das Interesse an der Stadt, so dass ich lange vor der Zeit zur Bushaltestelle zurückging und meine Reise fortsetzte.

      Als ich mit dem Bus durch die Berge Galiläas weiter zum See Genezareth fuhr, hörte der Regen unvermittelt auf. Der Himmel riss auf und beschien unvermittelt eine gewaltige Erdkerbe, ein ungeheures Loch mitten im Land, das von der Umgebung Zefads aus über tausend Meter in die Tiefe reichte, bis der gut zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel gelegene See Genezareth erreicht war. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich die Klimazone gewechselt und mich umgaben plötzlich eine linde Luft, saftige Wiesen und Palmen an der Uferpromenade von Tiberias. Auch diese Idylle war Israel.

      Aber nicht nur. Auf dem Busbahnhof von Tiberias stieg eine rundliche junge Frau aus dem Bus, den Militärrucksack auf dem Rücken, das Maschinengewehr umgehangen, um sich für eine Falafel an einer Garküche anzustellen. Ein orthodoxer Jude mit langem Kaftan, Bart und Schläfenlocken wechselte die Straßenseite, als ihm einer Gruppe junger Mädchen in kurzen Röcken entgegen kam. In einem kleinen Restaurant in Ufernähe lernte ich Bill kennen, einen amerikanischen Juden aus Brooklyn, der in Israel die Religion seiner Väter suchte. Er habe noch nichts gefunden, sagte er, was aber daran liege, dass er gar nicht wisse, wonach er suchen sollte. Das einzige, was er bisher erkannt habe, sei sein über alle Maßen eingefleischtes Amerikanersein.

      Ich schlief in einer Backpackerherberge in der Nähe des Sees. Es war laut und teuer, und es gab nur ein lausiges Frühstück. Am Morgen beklagte sich ein Franzose, dass ihm der MP3 Player gestohlen worden sei, der Wirt zuckte die Schultern und drehte sich um.

      Es dauerte etwas, bis ich in Tiberias das Grab des Maimonides fand, jenes spanischstämmigen Juden, den die Verfolgungen auf der iberischen Halbinsel zuerst nach Marokko, dann nach Ägypten und schließlich nach Palästina getrieben hatten. Ein orthodoxer Jude kniete vor dem Kenotaph und bewegte seinen Körper im rhythmischen Auf und Ab seiner Lobpreisungen. Neben ihm stand ein Moslem, die Hände in Andacht und Ehrerbietung am Grab des gefaltet. Keiner von beiden blickte den anderen an.

      Am See Genezareth erreichte ich eines der Ursprungsgebiete des christlichen Glaubens. Hier hatte Jesus in Kapernaum seine ersten Jünger gewonnen: Petrus, Andreas und Jakobus. Hier vollbrachte er seine ersten Wunder: er heilte den Besessenen, die Schwiegermutter des Petrus, das todkranke Kind und den Mann mit der verdorrten Hand. In der Synagoge von Kapernaum hielt Jesus seine erste programmatische Rede („Ich bin das Brot der Welt“), von Kapernaum aus ruderte Jesus zum Ostufer des Sees, wo schon fünftausend Menschen warteten, die er mit Brot und Fisch versorgte. Das christliche Wunder im Dienste des Catering.

      Am Nordufer des Sees besuchte ich die Auferstehungskirche, an deren Altar Jesus nach seiner Auferstehung mit seinen Jüngern gespeist haben soll. Hinter der Auferstehungskirche, gleich in der Nähe des Ufers befand sich eine Skulpturengruppe, die den segnenden Jesus zeigte, wie er dem Fischer Petrus seine Kirche übertrug. Weide meine Schafe. Über Taghba, den Berg der Seligpreisungen, ging die Sonne auf, als ich zum Franziskanerhospiz spazierte. Hier las ich auf den acht Kolonnaden die acht Seligpreisungen nach Matthäus.

       „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.“

      Nazareth, die Geburtsstadt Jesu, erreichte ich im strömenden Regen. Über der Grotte, in der der Erzengel Gabriel Maria die Geburt Jesu verkündet haben soll, erhob sich eine fast siebzig Meter hohe Kirche mit einer raketenartigen Spitze und einer über dreißig Meter langen Seitenfront. Um in die vermeintliche Grotte zu gelangen, musste man im Innern der Kirche auf eine etwas niedrigere Plattform herabsteigen, wo Geistliche der verschiedenen christlichen Konfessionen die Besucher mit Argusaugen beobachteten. Vor dem Eingang der Grotte stand ein blumengeschmückter Altar, flankiert von großen Kerzen und unablässig flackernd im Blitzlichtgewitter der Touristengruppen. Es waren Pilger, aus aller Welt, die in der Weihnachtszeit auf ihrer Reise in das Heilige Land die Verkündigungsgrotte besuchten - in manchen Gesichtern erblickte ich Skepsis, in manchen unbedingten Glauben, in vielen aber erkannte ich jene „Begierde der Augen“, von der Augustinus behauptet hatte, dass es die Gier sei, alles zu sehen, ohne wirklich zu verstehen. Hätte ich einen Spiegel zur Hand gehabt, hätte ich mich möglicherweise selbst erkannt.

Titel

      „Buy one Jesus

      and get one Paulus for free“

      Tage in Jerusalem

      Dann flogen die Steine. Zu spät merkte ich, dass es ein Fehler gewesen war, mit der staatlichen israelischen Busgesellschaft Egged auf dem kürzesten Weg nach Jerusalem zu fahren. Denn dieser Weg führte durch das arabische Westjordanland. In der Nähe der Stadt Nablus wurden aus einer Menge von Halbwüchsigen heraus Steine gegen den Bus geschleudert. Rückscheinwerfer und Fenster klirrten. Hasserfüllte Blicke, Fäusteschütteln gegen den israelischen Bus. Zwischen Nablus und Ramallah nahm die israelische Militärpräsenz an allen größeren Kreuzungen zu. Der Busfahrer beklagte sich bei den Soldaten über die Steinwerfer aus Nablus. Die Soldaten hörten ihm mit resignierten Gesichtern zu. Was sollten sie auch tun? Hinter Ramallah wurden wir umgeleitet. Wieder mussten wir warten, weil brennende Reifen den Weg versperrten.

      Kurz vor Jerusalem begann es heftig zu schneien, und ein eiskalter Wind fegte über die Berge. Nässe, Kälte, Dunkelheit auf dem Busbahnhof in einem Vorort von Jerusalem. Nichts zu sehen außer Schneematsch, grauen Häuserfassaden und Passanten, die mit hochgeschlagenen Mantelkragen davoneilten. Ich war noch unschlüssig, wohin ich mich wenden sollte, als plötzlich ein junger Mann vor mir stand, der mit Nachdruck eine Unterkunft in der Neustadt von Jerusalem samt Frühstück anpries. Er selbst hatte an diesem Tag wohl noch kein Frühstück erhalten, denn er sah abgezehrt und heruntergekommen aus. Doch er wies mir den Weg zu einem warmen Bett, nach dem mich jetzt mehr als alles andere verlangte, und so folgte ich ihm.

      Nach einem kilometerlangen Fußmarsch, bei dem mir fast die Füße abfroren, erreichten wir ein Wohnhaus in einer abgelegenen Straße und klingelten an einer Wohnungstüre im zweiten Stock. Alle Zimmer dieser Wohnung, selbst die Flure, waren mit Doppelbetten zugestellt, in denen Gäste aus aller Herren Länder frierend unter dünnen Decken lagen. Eine verhärmte mittelalte Frau verlangte meinen Pass und sofortige Vorkasse, für die sie mir eine dünne Decke und das Ticket für das Frühstück am nächsten Morgen überreichte. Ihr Gehabe war unfreundlich und herrisch, gierig schaute sie auf meine Geldbörse, als ich die Scheine herausholte. Nach längerem Suchen fand ich in einem stockdunklen Zimmer im hinteren Wohnungsteil ein leeres Bett. Die Laken waren zerwühlt und unsauber, doch es war so bitterkalt, dass ich voll angezogen sofort unter die Decke kroch. Ich verknotete die Schlaufe meiner Kamera mit meinem Gürtel und die Trägerriemen meines Rucksacks mit den Bettpfosten. Leider war an Schlafen nicht zu denken, denn ich lag Kopf an Kopf mit einem älteren Mann, der die gesamte Tonleiter herauf- und herunterschnarchte, zuerst röchelnd, dann fiepend und gurgelnd, immer höher in der Tonlage, als schlösse sich seine Luftröhre, bis er schließlich in einem wilden Schnaufen aufwachte und nach Luft schnappte – um kurz darauf wieder von vorne anzufangen. Als ich dann doch einschlief, versank ich in wirren Träumen, aus denen ich herausgerissen wurde, als mir jemand meine Decke wegziehen wollte. Ich fuhr hoch und riss die Decke an mich, während der Deckendieb fluchend von dannen zog.

      Als ich am nächsten Morgen erwachte, erblickte ich im fahlen Licht der Morgendämmerung einen Raum mit sechs Doppelbetten, die alle belegt waren. Krausköpfe, Blondschöpfe,

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