Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

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Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani

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Die Moslems ihrerseits haben die Kathedrale von Nikosia mit Minaretten für alle sichtbar in eine Moschee verwandelt. In Java war der Übergang gleitend gewesen. Die unzähligen Buddhas und Bodhisattwas des Mahayana Buddhismus und die farbenfrohe Vielfalt des hinduistischen Pantheons waren an den Wänden von Borobodur und Prambanan kaum unterscheidbar. Einen größeren Gegensatz zum Islam konnte man sich kaum vorstellen.

      Am Ende blieb dem Prambanan das Schicksal aller javanischen Tempel nicht erspart. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er überwuchert und durch Vulkanausbrüche beschädigt. Nach dem Sieg des Islams in Java diente die verfallene Anlage zeitweise als Steinbruch. Erst im 19. Jahrhundert, als überall in der Welt die vormodernen Tempel dem Vergessen entrissen wurden, hatte man damit begonnen, den Prambanan ebenso wie den Borobodur mit enormem Arbeitsaufwand wiederzustellen. Seit 1953, dem Abschluss der Renovierungsarbeiten, erhob sich die prachtvolle Anlage wieder im alten Glanz – in ihrer Harmonie von Natur und Kunst auch in dieser Hinsicht dem Borobodur vergleichbar.

      Tod auf Java

      Kleiner Versuch über das Heimweh

      Am Nachmittag kam Rike ins Guesthouse zurück und heulte. Der Flug nach Jakarta war gecancelt worden, was bedeutete, dass sie auch ihren Langflug von Jakarta nach Frankfurt verpassen würde. Die mit Freude im Herzen erwartete Heimkehr nach Europa würde sich auf unbestimmte Zeit verschieben. Dabei hatte sie sich doch so gefreut, ihren kleinen Bruder wiederzusehen. Den ganzen Nachmittag weinte sie in ihrem Zimmer, dann rief sie über ihr Handy zuhause an und jammerte weiter, bis ihr Guthaben aufgebraucht war. Sie hatte einen regelrechten Heimwehkoller und beruhigte sich erst wieder, als ihr Sam aus seinen Whiskeyvorräten einen kräftigen Schluck einschenkte.

      Heimweh unter Travellern ist nichts, worüber man spricht, auch wenn es jeder kennt. Während man mit seinem Fernweh hausieren geht, kehrt man seine Heimwehanfälle gerne unter den Teppich. Heimweh ist etwas für Looser, Luschen, Weicheier, jedenfalls nichts, mit dem man durch Asien reisen sollte. Und wenn es einen denn erwischt, dann soll man die Klappe halten und weiterreisen. Ortsveränderung ist gut gegen Heimweh, wer wüsste das nicht.

      Heimwehkranke habe ich auf Reisen schon oft getroffen, auch wenn die Äußerungsformen unterschiedlich waren. Bei einem jungen Inder, den ich an den Quellen des Ganges kennenlernte, zeigte sich das Heimweh in extremen Einsamkeitsgefühlen. Er lief mir den ganzen Tag hinterher, weil er es nicht ertragen konnte, alleine zu sein. Auf den Reisfeldern in Nordluzzon war mir ein Schwede begegnet, der mir stundenlang von seiner Freundin erzählte. Sein Heimweh besaß die Gestalt des Liebeskummers und äußerte sich in aufdringlichem Mitteilungsdrang.

      Allen Erscheinungsformen des Heimwehs gemeinsam ist die Sehnsucht nach Rückkehr in die vertraute Umgebung, nach den Menschen, Orten, Speisen und den Gewohnheiten, mit denen man aufgewachsen ist – kurz: nach der „Heimat“ Diese Befindlichkeit macht sich ähnlich wie Angst bemerkbar: sie ist beklemmend und quälend und hat wie jeder Schmerz die Eigenschaft, die Zeit ins Unendliche zu dehnen.

      Heimweh als Begriff ist übrigens gar nicht so alt, wie man meinen könnte. Im 17. Jahrhundert wurde der Sachverhalt zum ersten Mal erwähnt und als „Schweizer Krankheit“ beschrieben“, weil man an den schweizer Landsknechten, die über Jahre hinweg im Dienst des Papstes in Rom standen, ein Übermaß an Melancholie und Traurigkeit festgestellt hatte. Diese Beschwerden verschwanden, sobald die Landsknechte in ihre Heimat zurückkehrten. Der Schweizer Arzt Johannes Hofer prägte für diese Sehnsucht nach Heimat im Jahre 1688 den Begriff „Nostalgie“ („Rückkehrschmerz“). Später wurde der Begriff wortgleich ins Italienische und Spanische übernommen beziehungsweise übersetzt: als „Heimweh“ im Deutschen, „homesickness“ im Englischen oder „mal du pays“ im Französischen“.

      Nach meiner Erfahrung ist das Heimweh jedoch auch eine hochgradig variable Empfindung, das heißt, Menschen unterscheiden sich ganz erheblich darin, wie anfällig sie für Heimweh sind. Ob die Heimwehanfälligkeit als Persönlichkeitsvariable die Form einer Gaus´schen Normalverteilung hat, weiß ich nicht, mir erscheint es eher so, als gäbe es im Hinblick auf das Heimweh drei deutlich unterscheidbare Gruppen: die Heimweh-Resistenten, die Heimweh-Normalos und die Heimweh-Anfälligen. Ein typischer Heimweh-Resistenter, jedenfalls soweit man das erkennen konnte, war Sam. Er war schon seit Jahren in Asien auf Achse, und nichts deutete darauf hin, dass ihm irgendetwas fehlen würde. Von seiner Sorte hatte ich Dutzende in Indien getroffen, selbstgenügsame menschliche Monaden, die wie Fettaugen auf der Suppe des Lebens schwammen und meist zufrieden damit waren, wohin sie der Zufall trieb. Ehrlich gesagt, waren mir diese Gestalten immer ein Rätsel geblieben. Vielleicht fehlte ihnen ein Gen, vergleichbar einem Farbenblinden, der auch bestimmte Farbnuancen nicht erkennen kann.

      Ich selbst betrachte mich eher als „Heiweh-Normalo“. Mein Bedürfnis nach Fremdheit ist groß, aber nicht unendlich, und wenn es gestillt ist, entsteht in mir eine zunächst kaum wahrnehmbare, dann immer deutlichere Sehnsucht nach Zuhause. Wahrscheinlich wirkt das Neue und das Fremde bei den meisten Menschen zunächst mitreißend, dann interessant und schließlich, wenn man nur lange genug unterwegs gewesen war, nur noch anästhesierend gegenüber einem immer drängender hervortretenden Wunsch nach Heimkehr – bis auch diese Wirkung nachlässt und man sich um das Rückflugticket bemüht.

      Rike war zweifellos eine typische „Heimweh-Anfällige“. Man konnte an ihr einen paradoxen Zug beobachten, der mir an Heimweh-Anfälligen schon oft aufgefallen war: ein demonstrativ vor sich hergetragenes Fernweh, das wie eine Beweis dafür benutzt wurde, dass man in Wahrheit mit Heimweh überhaupt nichts am Hut hat. Die Reisen dieser Heimweh-Anfälligen besitzen also eine kompensatorische Motivation, sie gleichen der Weltexplorierung von Kleinkindern, die mit klopfenden Herzen Wohnung und Garten erkunden, ohne die Mutter jemals aus den Augen zu verlieren. Wenn solche Personen dann aber wirklich einmal in Situationen geraten, in denen ihnen die Erlösung vom Heimweh, die Heimkehr, verwehrt wird, reagieren sie hilflos. Wie Max Dauthendey, der bekannteste Heimweh-Anfällige der weltweiten Reiseliteratur, der in Java an Heimweh elend zugrunde ging.

      ***

      Max Dauthendey (1867-1918) war ein extravertierter naturalistisch-impressionistisch veranlagter Autor der Belle Epoche, der kurz nach der Jahrhundertwende Theaterstücke, Novellen und Romane mit einem gewissen Erfolg veröffentlichte. Seine Gedichte wurden von Stefan George gelobt, seine Novellensammlungen „Lingam“ und “Die acht Gesichter vom Biwasee“ werden noch heute gelesen. Trotzdem kämpfte er Zeit seines Lebens mit finanziellen Schwierigkeiten, vor allem, nachdem er das väterliche Erbe durchgebracht hatte (unter anderem durch den Plan einer Kommunegründung in Mexiko, der sofort nach der Ankunft fallengelassen worden war). Wie viele Künstler seiner Zeit war er der Meinung, dass es die vornehmste Pflicht seiner Mitbürger sei, ihn und seinesgleichen materiell so hinreichend zu versorgen, dass sie, die Künstler, ihren Dienst an der Menschheit unbeeinträchtigt weiterführen konnten.

      Das ungefähr war der Hintergrund von Max Dauthendeys zweiter Südseereise, von der er sich neue Anregungen für seine literarische Produktion versprach. Für die Kosten dieser Weltreise kamen sein Verlag und die Reederei auf, eine bescheidene frei verfügbare Reisekasse hatte sich Dauthendey vorher zusammengeliehen.

      Ende April 1914 reiste Dauthendey von Würzburg zum Mittelmeer und schiffte sich in Genua auf dem Dampfer „Goeben“ ein. Erfreut lauschte Dauthendey dem Kapitän, der enthusiastisch die Schönheiten der Südsee lobte. „Man sei abwechselnd in die Steinzeit, gerade in die Urwelt versetzt und dann wieder in der Kultur. Es ist gerade das, was ich so sehnsüchtig suche, ein wenig paradiesische Urwelt ohne Kultur“ berichtete Dauthendey am 30.4.1914 in einem Brief an seine Frau Annie Dauthendey.

      Schon am Ende der ersten Maiwoche durchquerte die „Goeben“ den Suezkanal, am 14. Mai beschrieb Dauthendey seiner Frau die Reiseeindrücke aus Colombo („schwüle, dunstige , schwere Luft aus den laubreichen großen Bäumen.“). Dann erreichte die Goeben in der letzten Maiwoche die große

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