Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

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Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani

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konnte. Einige javanische Dolche – sogenannte Kris – waren hinter Glas zu besichtigen. Unter Kris verstand man eine kostbare und aufwändig hergestellte Schmuckwaffe, auf die der Javaner außerordentlichen Wert legt, weil der Kris nach allgemeiner Überzeugung die Ehre der Familie und die Integrität der Person repräsentiert. Manfred erwies sich als kulturgeschichtlich gut vorbereittet und erklärte, dass es bei dem Javaner, der etwas auf sich hielt, immer drei Kris sein mussten, die er sein Eigen nannte. Zunächst besaß er seinen eigenen Kris, auf den er nichts kommen ließ. Den zweiten Kris erhielt er von seinem Vater, und wenn es ganz gut lief, dann konnte er auf einen dritten Kris zählen, den er von dem Vater seiner Frau bekam.

      Während unseres Rundgangs durch den Kraton von Yogjakarta waren kaum Touristen unterwegs. Dafür saßen erstaunlich viele männliche Javaner im traditionellen Sarong mit Schnurbart und Kopftuch in den Räumen herum. Sie trugen zwar keinen Kris, glichen aber mit ihrem strengen Blick den Sultanen auf den Gemälden auf eine so frappante Art, dass ich einen Moment fantasierte, die Herrscher seien aus ihren Rahmen herabgestiegen, um sich leibhaftig die Besucher anzuschauen, die es in ihren Palast verschlagen hatte. In Wahrheit handelte es sich um die Tempelwächter, von denen es in ganz Yogjakarta über fünfzehnhundert geben soll und deren herausragendes Berufsmerkmal darin bestand, praktisch nichts zu tun zu haben. Trotzdem war ihrem Mienenspiel deutlich zu entnehmen, dass sie nicht belästigt werden wollten, was auch ganz sinnlos gewesen wäre, weil sie kein Wort Englisch verstanden.

      Erheblich interessanter als der Besuch des Kratons war der anschließende Spaziergang durch die engen Gassen der umgebenden Viertel. Solche Stadtviertel oder Dörfer, in denen jeder jeden kannte, wurden als Kampungs bezeichnet. Innerhalb dieser Kampungs gab es Ortsvorsteher, die auf Recht und Ordnung achteten und auf alle Unbekannten ein wachsames Auge hatten. Früher soll es üblich gewesen sein, dass jeder Fremde, der einen Kampung betrat, laut seinen Namen, seine Herkunft und seine Begehr ausrief, damit jeder wusste, woran er war. Davon war während unserer Spaziergänge durch die Kampungs von Yogjakarta allerdings nichts zu bemerken. Die einzigen, die herumbrüllten, waren die Rikschafahrer und die Batikverkäufer. Etwas ruhiger war es in den Warungs, den indonesischen Garküchen, in denen für erstaunlich wenig Geld schmackhaftes und ausreichendes Essen serviert wurde. Die einheimischen Kunden waren kleine, flinke Personen, die ganz im Unterschied zum Ruf der asiatischer Ruhe ihr Essen verputzten, als säßen ihnen die Dämonen im Nacken. Manche hielten dabei die Reisschale vor den geöffneten Mund wie vor eine Garageneinfahrt und schaufelten den Reis mit dem Essstäbchen klumpenweise in den Schlund. Aufnehmen, reinschieben, schlucken, dann war der Reis verputzt, und die Verdauung begann. Lange herumzusitzen, die Beine unter den Tischen ausgestreckt, den Rücken halb auf der Stuhllehne abgestützt und lässig in der Gegend herumglotzen, war dagegen das Privileg der Backpacker. Hätten sie nicht ohnehin anders ausgesehen, hätte man sie an ihrer Haltung erkennen können.

      ***

      Über neunzig Prozent der Einwohner von Yogjakarta waren Moslems, doch im Unterschied zu anderen moslemischen Ländern war dieser Umstand keineswegs augenfällig. War er deswegen weniger wichtig? Keineswegs. Es handelte sich nur um einen anderen Islam, als man ihn im Westen kannte. Wollte man seine Besonderheit in einer Allegorie beschreiben, so glich die javanische Kultur einer Person, die im Laufe ihrer Biografie ihre Religion gewechselt hatte, es aber nicht übers Herz brachte, ihre farbenfrohe Erscheinung den strengeren Vorschriften des neuen Glaubens vollständig anzupassen. Man trug zwar nun ein anderes Kleid, aber das Unterfutter der alten Religion war erhalten geblieben. Bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen erinnerten mich die Javaner in dieser Hinsicht an die Brasilianer. Hier wie dort hatten sich alte Riten und Glaubenssätze in die Lehren des offiziellen Monotheismus hineingeschmuggelt. In Salavdor de Bahia verehren die Brasilianer den heiligen Antonius und den westafrikanischen Gott Ogun in Personalunion. In Java hatten Ahnenverehrung und Totenkulte als Bestandteile des Volksislams überlebt. Abgesehen vom streng islamischen Banda Aceh in Nordsumatra war der indonesische Islam ein religiöses System, das seinen Ursprung in der indischen Kultur nicht verleugnen konnte.

      Was aber bedeutet das im Einzelnen? Beim Kris, dem Schmuckdolch, der als soziales Symbol den Wechsel vom Hinduismus zum Islam überdauert hatte, waren der Dolch und seine Scheide in den althinduistischen Zeiten gerne mit Tierköpfen und fantastischen Figuren verziert worden. Im Islam aber war die figürliche Darstellung verboten. Der fromme Moslem, der auf seinen Kris nicht verzichten wollte, reagierte flexibel. Er behielt den Dolch, achtete aber darauf, dass auf Knauf und Scheide nur noch abstrakte Motive zu sehen waren. Die animistische Bedeutung aber war gleichgeblieben.

      Ein ähnliches Problem ergab sich beim Wayang, dem uralten indonesischen Puppenspiel. Eigentlich war die Darstellung des Menschen, und sei es auch nur durch Puppen, Allah alleine vorbehalten, weswegen im Prinzip das Puppenspiel verboten werden müsste. Pragmatisch wie der Javaner ist, fand er im Wayang Kulit die Lösung: Der Puppenspieler, der Dalang, hantiert mit seinen Puppen vor einer Lichtquelle, und die Zuschauer sehen nur, wie die Schatten der Puppen an einer weißen Wand sich bewegen.

      Ein weiteres Beispiel für die Symbiose von Hinduismus und Volksislam stellte das Ramayana dar. Seit über anderthalbtausend Jahren gehörte das indische Ramayana-Epos zum indonesischen Kulturbestand. Die Geschichte vom Prinzen Rama und seiner Gattin Sita, der Raub der Sita durch den bösen Ravana und die Befreiung Sitas durch Rama, der dazu nach Sri Lanka, auf die Insel der Lotosblüte, übersetzte, verbreitete sich im ersten Jahrtausend der Zeitrechnung von Indien aus über ganz Südostasien. Inzwischen hatte sich das Ramayana als das Epos Asiens sich längst über die Grenzen der Religionen erhoben. Es wurde im buddhistischen Thailand ebenso gespielt wie im muslimischen Indonesien – und dass trotz aller Verbote der Figurendarstellung.

      Unweit vom Hotel war die Aufführung eines Ramayana-Ballets abgekündigt. Schon seit zwei Tagen konnte kein Gast mehr unbehindert am Pool sitzen, ohne dass ihm Herr Woto nicht eine Karte angeboten hätte. Die Vorführung fand im Garten eines Nachbarhotels statt. Es war stockdunkel, als das Gamelan Orchester erklang. Es wurde mit Glöckchen gebimmelt, mit Hämmerchen geschlagen, getrommelt und getutet, was das Ohr ertrug, dann erschienen die Hauptdarsteller, prachtvoll aufgeputzt, mit ihren Sarongs, Umhängen und Goldkronen. Der größte und bunteste der Darsteller musste Rama sein. Er schwang seinen Dolch, den Kris, hin und her, und wer sich ihm in den Weg stellte, wurde verstümmelt, abgemurkst, erstochen oder enthauptet. Immer mehr Gestalten füllten die Bühne, sie bewegten sich wie Marionetten, eckig, mit abrupten Bewegungen, als seien ihnen die Knochen eingerostet nach einem streng reglementierten Drehbuch. Zum Finale starb der Bösewicht, Rama riss die Arme in die Luft, während seine Sita streng rituell mit winzigen Tippelschritten von dannen schwebte.

      ***

      Manfred war Tierliebhaber und konnte keinen Zoo passieren, ohne nicht hineinzugehen. Auch ich mochte Tiere, kannte mich mit ihnen aber nicht so gut aus, so dass ich froh war, Manfred dabeizuhaben, als wir den Vogelmarkt besuchten. In kleinen Holzkäfigen saß ein ganzer Querschnitt der indonesischen Vogelwelt und blickte uns trübsinnig an. Ich ließe einen Uhu tanzen, indem ich ihn durch die kleine Öffnung unter dem Käfig an seinen Krallen kitzelte. Ein Vogel mit einem Federkleid in Pink und einer Frisur wie ein Irokese fixierte mich feindselig, dann sprang er mit seinen Krallen an das Käfiggitter und stieß spitze Schreie aus. Ein Adler saß mit geschlossenen Augen still und unglücklich auf einem Holzstab, durch zwei kleine Ketten seiner Freiheit beraubt.

      Einmal im Reich der Tiere angekommen, zog es Manfred gleich weiter in den Zoo von Yogjakarta. Der Zoo von Yogjakarta war berühmt dafür war, dass er Tiere aus zwei zoologischen Großregionen der Welt beherbergte: aus Sumatra, Java und Borneo, sprich: aus Südostasien – und aus den Inseln östlich von Bali, die schon zur australischen Fauna gezählt wurden. Tatsächlich begegneten mir im Zoo von Yogjakarta Lebewesen, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Ein so genanntes Emu mit kräftigen Beinen stand unbeweglich in seinem Gehege, als wäre er ausgestopft. Wer diesem Vogel zu nahe kommt, erhält einen Tritt, der sich gewaschen hat, erklärte Manfred. Gleich nebenan trottete ein unglaublich hässliches, schweinsartiges Wesen durch den Käfig. Es handelte sich um einen Barbirusa, auch Hirsch-Eber genannt, den

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