Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

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Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani

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bestand aus verschmutzen Kanälen, die in den Reiseführern allen Ernstes mit den Grachten Amsterdams verglichen wurden. Sie waren überspannt von baufälligen Steinbrücken und eingezäunt von Baustellen und Gerüsten, die nach Urin stanken. Die Behausungen wirkten verfallen und waren ineinander verschachtelt wie die Hütten eines Flüchtlingscamps. Manche Häuser standen gleich neben den Eisenbahnschienen, die das Gebäudegewirr wie ein Messer durchtrennten. Andere waren am Ufer der stinkenden Kanäle auf Stelzen errichtet worden. Ihre Bewohner saßen auf Emporen, rauchten, schliefen oder und fischten im trüben Gewässer nach ihrem Abendessen. Von den prachtvollen Makassar Schonern, von denen es hieß, sie würden noch immer Holz und Gewürze über die Sunda-See transportieren, habe ich nichts gesehen. Entweder waren sie alle unterwegs oder längst abgeschafft.

      Auf der Rückreise machte ich in dem Chinesenviertel Glodok Station. Hier waren das Gedränge auf den Bürgersteigen und die Staus auf den Durchgangsstraßen noch katastrophaler als in anderen Teilen der Stadt. Was war alt, was neu, in diesem Gewirr aus eingeschlagenen Fenstern, Garküchen, Reisebüros, Wettbuden, Malls und Märkten rechts und links der verstopften Straßen? Die Reklameflächen verdeckten ganze Häuserfassaden, die Bürgersteige waren durch Auslagen oder parkende Fahrzeuge verstopft. Obwohl eine ganze Kohorte Straßenfeger damit beschäftigt war, den Müll einzusammeln, wurde der Abfall nicht weniger. So schnell konnten sich die Müllmänner gar nicht bücken, wie Papier, Essensreste oder Plastik auf die Straße geworfen wurden.

      Obwohl der größte Teil der Chinesen von Glodok keineswegs der reichen chinesischen Oberschicht angehörte, hatten die Plünderungen und Ausschreitungen des Jahres 1998 hier in ganz besonderer Weise gewütet. Über zwölfhundert Menschen sollen bei den Pogromen am 13. und 14. Mai 1998 ums Leben gekommen sein. Die Zahl der Vergewaltigungen war unbekannt. Obwohl ein Teil dieser Ausschreitungen von politischen Akteuren organsiert worden waren, hatte eine strafrechtliche Aufarbeitung bis heute nicht stattgefunden. Zigtausende Chinesen hatten nach den Pogromen das Land verlassen, der Rest, der geblieben war, schwieg. Undenkbar, dass sich die chinesische Minderheit in Indonesien vergleichbar deutlich zu Wort melden würde wie die moslemischen Minderheiten in den europäischen Gesellschaften. Schikanen und Repressalien wären die Folge gewesen. Die traurige Wahrheit aber war: die weit überwiegende Mehrheit der Chinesen war einfach zu tüchtig, um bei der Mehrheit der indonesischen Bevölkerung beliebt zu sein. Dass viele Chinesen zudem als Christen in den Augen der moslemischen Mehrheitsbevölkerung „Ungläubige“ waren, machte die Ressentiments noch giftiger.

      Ich setzte mich in eine Garküche und aß einige Geflügelspieße mit Reis und Erdnussbutter. Obwohl mich ein unbeschreibliches Chaos umgab, waren die Stühle und Tische sauber, der Verschluss der Wasserflasche war intakt und das Essen vorzüglich. Der Inhaber war natürlich ein Chinese, und wie die meisten Chinesen war er schnell, kompetent und nicht besonders freundlich. Als ich ihn über seinem Grill hantieren sah, fragte ich mich, wieviel Pogrome er bereits hinter sich hatte und wie viele noch auf ihn warten würden.

      Unter den strenggläubigen Muslimen in Nordsumatra oder Zentraljava galt Jakarta als eine gottlose Stadt, obwohl auch hier wie im ganzen Land der Muezzin fünfmal am Tag zum Gebet rief und die meisten Frauen Kopftücher trugen. Was die orthodoxen Muslime störte, war zweierlei: die vermeintliche Sittenlosigkeit der nichtmuslimischen Minderheiten und, mehr noch, die „Laxheit“ der eigenen Glaubensbrüder, die es mit den Geboten des Koran nicht so genau nahmen.

      Diese sogenannte Laxheit hatte eine lange Geschichte. Die Anreicherung des indonesischen Islams mit Ahnenkulten und Geisterglauben aus hinduistischen Quellen hatte einen sehr elastischen Alltagsislam entstehen lassen, in dem die unterschiedlichsten Glaubensinhalte rumpelten wie in einer zu vollen Kiste. Religiöse Puristen mochten das beklagen, in Wirklichkeit aber war es gerade diese Vermischung der Werte, die ihnen ihre Schärfe nahm und sie in multireligiösen Gesellschaften alltagskompatibel machte. Die Durchsetzung des indonesischen Volksislams mit Riten und Mythen aus anderen Religionen nahm ihm das Unbedingte und Kompromisslose, das ihn im Nahen Osten oder in den Parallelgesellschaften des Westens so kämpferisch und unverträglich machte.

      Soweit, so abstrakt. Wie aber sah das konkret aus? Der junge Moslem, der während des Frühstücks im Ashley Hotel am Nebentisch sein Rührei aß, besaß nur einen zarten Flaum am Kinn, während seine hübsche Gattin ein locker geschürztes buntes Kopftuch trug. Sie repräsentierten den modischen Standard des indonesischen Alltagsislams. Ein mittelalter Indonesier mit bemerkenswertem Salafistenbart scheppte sich am Buffet tüchtig den Teller voll, sein wuchtiges Weib war bis auf einen Seeschlitz in der Burka schwarz verhüllt. War das die Zukunft? Demgegenüber wirkten der glattrasierte Chinese und seine offenherzig gekleidete Freundin merkwürdig unzüchtig wie Wesen aus einer anderen Galaxie. Alle drei Paare saßen nebeneinander im gleichen Frühstücksraum und repräsentierten ein Ausmaß an Verschiedenheit, das man je nach Standpunkt als Bereicherung oder Gefahr ansehen konnte.

      Die Istiqlal Moschee in der Nähe des Merdekaplatzes war die Hauptmoschee Jakartas, ein riesiger Bau, der mit seinen geraden, vertikalen Pfeilern fast an ein Flughafengebäude erinnerte. Der Innenraum der Istiqlal Moschee gehört zu den größten Gebetshallen der muslimischen Ökumene, er war komplett mit Teppichen ausgelegt und von vier Etagen gesäumt. Ob wirklich 120.000 Menschen in dieser Moschee Platz fanden, konnte ich nicht abschätzen, denn als ich die Moschee besuchte, waren nur einige hundert Menschen anwesend, die sich zudem in den Weiten des Gebäudes verloren. Dutzende lagen auf dem weichen Teppich unter der Kuppel und schliefen, dösten oder meditierten. Auch ich legte mich lang auf den Boden und spürte sofort die wohlige Entspannung, die mich immer überkommt, wenn ich eine Moschee betrete. Nach dem unerträglichen Lärm der Straße erschien mir die Stille unter der großen Kuppel fast wie ein Gottesbeweis.

      Ich war eingeschlafen und erwachte, als eine tiefe, gutturale Stimme zum Gebet rief. Sie füllte die gesamte Moschee, sie war überall, in der Halle, in den Winkeln, in meinem Kopf. Als sei in den Schlafenden ringsum mich herum ein Schalter umgelegt worden, öffneten sie die Augen, erhoben sich und gingen zur Kiblawand. Von überall her, von den Brüstungen, Etagen und Treppen, kamen die Menschen und knieten sich nebeneinander vor die Wand, die in Richtung Mekka wies. Wie beneidete ich in diesem Augenblick diese Menschen um ihre religiöse Geborgenheit und ihre spirituellen Kraftreserven, die sie schützen werden, wenn ihre Stunde kommt. Ich dagegen war ein spirituelles Federgewicht, das nur in den Zeiten des Glücks gedeihen konnte, wie viele meiner Zeitgenossen ein Gutwettergewächs, das sofort einknicken würde, wenn der Sturm kommt.

      Auf Indonesier, die nicht wohlhabend genug waren, die Weiten ihrer Heimat selbst zu erkunden, wartete im Süden Jakartas eine Attraktion der besonderen Art: der „Mini Indonesia Park“, eine weiträumige Anlage mit Grünflächen, Ausstellungshallen und Tiergehegen, in der die Sehenswürdigkeiten des Landes im Legoformat präsentiert wurden. Auch Touristen, die in Jakarta ihre Indonesienreise begannen, hätten im Mini Indonesia-Park einen ersten Eindruck von ihren Zielgebieten gewinnen können – wenn die lange Anfahrt nicht die meisten Besucher abgeschreckt hätte. Auch ich benötigte mit Ojek, Korridorbus und Taxi geschlagene zwei Stunden, bis ich von der Innenstadt aus den Park erreichte. Er war mäßig besucht und hatte seine besten Tage hinter sich. Rasen und Wege waren verunreinigt, eine ganze Reihe von Ausstellungshallen war geschlossen, vom benachbarten Freibad hallte Kindergekreische herüber. Die Hauptattraktion des Parks war ein künstlicher See, in dem sich kleine Inseln befanden, die den Umrisse der indonesischen Geografie nachgebildet waren. Diesen See konnte man in den Gondeln einer Seilbahn überqueren und so auf „Borneo“, „Java“ oder „Bali“ herabblicken. Den größten Zuspruch fanden die Nachbauten altindonesischer Behausungen, die in der Nähe des Sees aufgestellt worden waren. Ein spitzgiebeliges Batakhaus und eine mattengedeckte Papuahütte, dazu die eine oder andere Pappfigur, vermittelten eine Stimmung zwischen Kitsch und Urweltlichkeit.

      Authentischer wurde es im benachbarten Tiergehege des Freizeitparks. Ich sah Adler, Kakadus, Kormorane, Pelikane und bunte Vögeln aller Art, nur der angekündigte Komodo-Waran war gerade erst verstorben. Ich begegnete dem Beppo, dem klassischen Weichverdauer, den die Evolution dazu verurteilt hatte, das ganze Leben lang an Durchfall zu leiden. Dann betrachtete

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