Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

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Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani

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Küken gelang, ans Licht der Welt zu schlüpfen. Ein Nandu stand unbeweglich in seinem Käfig. Was war an ihm bemerkenswerter? Sein Kopfputz oder seine kräftigen Beine mit denen er beachtliche Tritte austeilen konnte? Ich sah es mit Interesse, vergaß aber die Vogelnamen sofort wieder. Ich kann mir nur Götternamen merken, bei Vögeln versagt mein Gedächtnis.

      So vergingen die Tage, und langsam gewann ich ein Gefühl für die Stadt, für Ihre Größe, ihren Verkehr, für die besten Tageszeiten, um bestimmte Orte zu besuchen oder es besser bleiben zu lassen – und für ihren Ehrgeiz, eine Metropole wie Singapur, Hongkong oder Tokyo zu werden, die nicht nur als Etappe, sondern um ihrer selbst willen besucht werden. Die großen Einkaufsmalls im Süden der Stadt und die neue Schnellstraße zwischen Innenstadt und Flughafen verdeutlichten schon heute den Anspruch, eine Weltstadt zu sein – die Gassen von Sunda Kelapa oder Glodok erinnerten aber noch immer eher an Kalkutta oder Manila.

      Weltstädtisch wirkte Jakarta am ehesten vom Aussichtspunkt des Unabhängigkeitsmonumentes. Einhundertelf Meter über dem Merdekaplatz erschien mir die Stadt wie ein Ozean aus Stein. Ein Kranz aus Hochhäusern hatte sich wie ein lückenloser Ring um das Stadtzentrum gelegt, dahinter verschwanden die endlosen Häuserflächen im diesigen Dunst des Tages. Wie groß war diese Stadt? In den offiziellen Stadtgrenzen waren es zehn Millionen. Da die Stadt aber immer weiter ins Umland hinein wuchs und mit den Nachbarstädten Bogor, Depol, Tangerang und Bekasi zunehmend verschmolz, war eine Metropolregion mit etwa 30 Millionen Menschen entstanden. Dieses neue Gebilde, das man bereits auf den Kunstnamen Jabodetabek getauft hatte, war damit nach Tokyo der zweitgrößte urbane Ballungsraum der Erde.

      Drei Dolche müssen es schon sein

      Lazy days in Yogjakarta

      In einem Akt unbedachter Selbstkasteiung hatte ich mir ein Ticket für den Nachtzug nach Yogjakarta besorgt. Ich hätte auch fliegen oder mit einem Touristenbus fahren können, aber ich wählte den Zug, denn ich wollte möglichst „authentisch“, das heißt, volksnah, reisen, was immer das auch bedeuten mochte. Inzwischen hege ich an diesem Konzept meine Zweifel, aber damals glaubte ich noch daran, und so nahm das Unheil seinen Lauf.

      Am Eingang des Hauptbahnhofs hätte ich noch umkehren können, doch ich blieb verstockt. Ganz unjavanisch nervös, hektisch, mit Tunnelblick und unwirschen Gesten liefen die Leute hin und her. Es roch nach Curry, Schweiß und Öl. Kleine Kinder lagen neben ihren Müttern auf einer Decke und schrien. Sehnsüchtig dachte ich an die Disziplin, wie ich sie einmal auf dem großen Bahnhof von Xian in China erlebt hatte. Dort hatten sich die Passagiere in Zweierreihen aufstellen müssen, ehe sie, von strengen Aufseherinnen geführt, den Bahnsteig betreten durften.

      Aber Jakarta war nicht Xian, und so brach, kaum dass der Zug hielt, ein mittleres Chaos aus. Alle malaiische Höflichkeit war verschwunden, als sich die Massen durch die Eingänge quetschten. Mein Rucksack war Hindernis und Hilfe zugleich – mit ihm kam ich zwar nur mit Mühe durch den Eingang, konnte aber durch geschicktes Schwenken den Zugang zu dem Platz abwehren, den ich schließlich besetzte. Am Ende fand ich einen Platz in einem offenen Abteil neben einem halben Dutzend Javaner von Gottseidank schlanker Statur.

      Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Quietsch und stopp, ein krrr, krrr und ein zögerliches Taggertagtagg setzte ein. Ein intensiver Geruch nach Hühnerkäfig zog durch den Waggon, als hätte er sich in dem Moment von den Wänden gelöst, als der Zug ruckhaft gestartet war. Taggertaggertagertagg. Langsam erreichte der Zug die Geschwindigkeit einer Fahrradrikscha, dann wurde er noch schneller, und wie eine Erlösung zog ein kühlender Wind durch die geöffneten Fenster. Eine Unendlichkeit von Hinterhöfen, Müllhalden und Ausfallstraßen zog am Fenster vorüber, schließlich wurde es dunkel, und die Aussichten verschwanden im gnädigen Dunkel einer javanischen Nacht. Dann ein plötzlicher Stopp, der erste von unzähligen, die mich in dieser Nacht noch quälen würden. Der Zug stand ohne ersichtlichen Grund eine halbe Stunde auf dem Gleis, dann ging es weiter. Taggertaggtagg. Die Ventilatoren an der Decke bewegten sich nicht, dafür blieb das Licht die ganze Nacht an. Es wurde von funzeligen 20 Watt Birnen an der Decke erzeugt, die wie die Augen böser Geister über uns hingen. Bei dieser Beleuchtung wirkt jeder wie sein eigener Wiedergänger, und für einen Augenblick fantasierte ich, ich befände mich mit einer Horde von Untoten auf dem Weg ins Nirgendwo. Aber es waren keine Untoten sondern hart arbeitende Menschen, die mich auf der Reise durch die Nacht begleiteten, lauter Männer und Frauen, die wahrscheinlich einen langen Tag hinter sich hatten und sich nun bemühten, ihr Ziel so kräftesparend wie möglich zu erreichen. Südlich des Äquators war Reisen keine Lust, sondern Last, und den meisten meiner Sitznachbarn wäre es widersinnig vorgekommen, sich freiwillig einer solchen Tortur auszusetzen. Ihre Kleidung zeigte Spuren von Abnutzung, war aber erkennbar um Sauberkeit bemüht. Viele der Reisenden hatten die Augen geschlossen, andere waren in einer Art Wachkoma versunken, das mir in Indonesien noch oft begegnen sollte. Das Ehepaar mir gegenüber saß mit offenem Mund und glasigen Augen auf der Bank, nur ihre Köpfe konnte ich sehen, weil das Gepäck auf ihrem Schoß sie fast völlig verdeckte. Nach einigem Hin- und Herrücken legte ich mich einfach auf den schmutzigen Boden des Abteils, streckte die Füße aus und vertraute darauf, dass die Passagiere einfach darübersteigen würden. Vorher hatte ich die Schlaufen meines Rucksacks und meiner Fototasche mit meinem Gürtel verknotet.

      Kurz vor Morgengrauen wachte ich auf. Die Menschen um mich herum lagen verdreht und verknotet auf ihren Sitzen, ihre Gesichter zeigten Züge maskenhafter Erschöpfung. Ich selbst fühlte mich, als hätte ich einige Monate in einem Schützengraben verbracht. Langsam rollte der Zug in den Bahnhof von Yogjakarta ein.

      ***

      Auf dem Bahnhof von Yogjakarta war es bei weitem nicht so hektisch wie in Jakarta. Es existierte sogar ein kleiner Kaffeeausschank in der Eingangshalle, an dem ich mich erst einmal niederließ, um einen starken javanischen Kaffee zu trinken. An diesem Kaffeeausschank lernte ich Manfred kennen, einen schlanken Mathematiker aus Bonn, der mit dem gleichen Zug wie ich aus Jakarta gekommen war. Er war bleich wie eine Kalkwand und hatte große, kugelrunde Augen, was seinem Gesichtsausdruck immer etwas Überraschtes gab. Obwohl er die Reise nach Yogjakarta in der zweiten Klasse mit Sitzreservierung verbracht hatte, standen ihm die Haare zu Berge. Wie ein Traveller sah er nicht aus, eher wie ein Kulturtourist, wie sie in Ikarus- oder Studiosusgruppen durch die Welt reisten.

      Wir hatten uns noch gar nicht richtig bekanntgemacht, da standen schon zwei junge Männer vor uns und brabbelten in einem englischen Kauderwelsch auf uns los. Sie trugen Sarongs, die ihnen bis zu den Sandalen reichten und erzählten, dass es ein wunderbares Hotel in der Stadtmitte gäbe und dass sie bereit wären, uns kostenlos zu dieser Traumunterkunft zu bringen. Eigentlich gehörte es zu den Grundregeln selbstorganisierten Reisens auf solche Angeboten nicht einzugehen. Sie sind fast immer ungünstiger als die Unterkünfte, die man selber finden kann. Doch wir waren so erschöpft, dass wir uns von den beiden jungen Männern zu ihren Rikschas führen ließen, um das besagte Hotel anzusteuern. Wir fuhren durch Straßen mit flachen, bunt angestrichenen Häusern und sahen Frauen hinter Marktständen, denen ihre Kulihüte wie umgedrehte Bratpfannen auf den Köpfen saßen.

      Der Name des Hotels war „Murati“. Von außen sah es gut aus, dreistöckig ohne Fassadenrisse, es besaß sogar einen Palmengarten und einen kleinen Pool. Der Rezeptionist wurde von seiner Couch geschellt und begrüßte die beiden Riksckafahrer wie alte Bekannte. Uns dagegen bot er ein fensterloses Loch in der Tiefparterre an. Erst als wir uns zum Gehen wandte, war war plötzlich ein besseres Zimmer frei, das nur unwesentlich teurer war. An den langen Gesichtern unserer Riksckafahrer sahen wir, dass ihnen unsere Zimmerwechsel die Provision beschneiden würde. Mich blickte der Rezeptionist dagegen treuherzig an, als wolle er sagen: Versuchen konnte ich es ja einmal. Schlitzohr, dein Name ist Javaner. Dass ich mit Manfred das Zimmer teilen würden, hatte sich wie von selbst ergeben. Mir war es recht, wenn er nur nicht schnarchte.

      Nach zwei Stunden nachgeholtem Schlafs kam ich wieder zu Kräften und las ein wenig im „Lonely Planet Guide“.

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