Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

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Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani

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nur Autos mit ungeraden Nummernschildern. Eine unerwartete Folge dieser Verordnung bestand darin, dass sich die wohlhabenderen Einwohner Jakartas einen Zweitwagen mit dem passenden Nummernschild anschafften, so dass sich die Zahl der Fahrzeuge nur noch erhöhte. Das neuartige Korridor-Bussystem erleichterte zwar den Bussen die Passage der Innenstadt, verkleinerte aber die Straßenfläche für den Restverkehr, so dass der Stresspegel weiter stieg.

      Dieser ausweglosen Straßenüberfüllung konnten die Taxifahrer nur durch immer riskantere Fahrweisen begegnen, nicht nur, was die Schnelligkeit, sondern auch, was die Abstände zum Nachbarauto betraf. Indianern in den USA sagte man nach, sie seien in erstaunlichem Maße schwindelfrei, so dass man sie gut bei Hochbauarbeiten einsetzen könnte. Wie ich feststellen konnte, besaßen die Taxifahrer von Jakarta eine andere Spezialbegabung, nämlich eine unglaubliche Verlässlichkeit in der Abschätzung auch minimalster Abstände im Straßenverkehr. Wo bei uns ein Verkehrsfluss nur auf zwei parallelen Spuren funktionieren würde, ermöglichte diese Spezialbegabung drei, manchmal auch vier Fahrzeuge nebeneinander. Immer wieder bewunderte ich die Eleganz und den Wagemut, mit der sich die Taxifahrer schlangengleich durch das Verkehrsgewühl wanden, doch weil das alle taten, wurde das Chaos dadurch nicht gemildert, sondern nur auf eine neue Stufe gehoben.

      Unter diesen Umständen grenzte es natürlich an Masochismus einen Nahverkehrsbus zu besteigen. Ein normaler Bus in Jakarta gleicht einem fußkranken Tier, das sich langsam durch enge Straßen schleicht, während es von Tausenden Autos und Motorrädern überholt, behindert und geschnitten wird. Anders verhält es sich allerdings mit den sogenannten Korridor-Bussen, die ich schon kurz erwähnt habe. Um Jakartas ultimativen Verkehrskollaps wenigstens etwas hinauszuzögern, war man auf die Idee verfallen, die existierenden Durchgangsstraßen in der Innenstadt einfach um eine separate Busspur zu beschneiden, auf denen nur die sogenannten „Korridorbusse“ und keine anderen Fahrzeuge fahren durften. Wohlgemerkt, es wurden keine neuen Straßen gebaut, sondern bestehende Straßen wurden einfach verkleinert und die Ein- und Ausstiegsstationen für diese neuen Buslinien als abenteuerliche Konstruktionen oberhalb der Straßen hinzugefügt. Tatsächlich war es nun den Einwohnern Jakartas möglich, die Innenstadt mit den diversen Korridor-Bussen auf den freigehaltenen Straßen relativ zügig zu durchqueren. Das Nachsehen hatten die normalen Autofahrer, die sich auf den reduzierten Reststraßenflächen mit noch mehr Staus herumschlagen mussten. Das nahm man in Kauf und empfahl den Gelackmeierten ganz einfach, den Bus zu nehmen – ungeachtet der Tatsache, dass ja nur ein winziger Teil des Großraums von Jakarta durch Korridorbusse erschlossen war.

      Soweit, so semi-positiv. Auch meine Erfahrungen mit dem neuen Bus-System waren durchwachsen. Mein erster Versuch, einen Korridorbus in der Nähe von Alt-Batavia zu besteigen, misslang, denn der Bus war voll. Eine fröhliche Horde indonesischer Pfadfinder und eine Soldateneinheit auf Stadtexkursion hatten den Bus belegt. Doch da kam schon der nächste Bus. Er war herrlich leer, aber hinein kam ich trotzdem nicht, denn er war nur für Frauen reserviert. Die Hälfte der begehrten Sitzplätze war frei, auf der anderen Hälfte saßen junge und alte Damen und nickten mir aufmunternd zu, als wollten sie sagen: Warte nur, der nächste Bus voller Kerle ist nicht weit. So war es auch, der nächste Bus kam, und ich stieg ein. Doch nirgendwo konnte ich eine Fahrkarte kaufen, so dass ich an der nächsten Haltestelle wieder aussteigen musste, um ein Ticket an einem Automaten zu ziehen. Allerdings konnte man diese Tickets nur im Dutzend kaufen, auch wenn man nur zwei oder drei davon benötigte. Kein Wunder, dass sich in mir der Outlaw regte und ich allen Ernstes an Schwarzfahren dachte. Wer allerdings in Jakarta ohne einen gültigen Fahrschein erwischt wurde, hatte nichts zu lachen. Da die Scharia für solche Verfehlungen keinerlei Vorgaben machte, war schwer abzuschätzen, was mit einem westlichen Schwarzfahrer geschehen würde. Von der sofortigen Verhaftung bis zur schulterklopfenden Aushändigung eines kostenlosen Fahrscheins war bei der Breite des sundanesischen Wesens alles möglich. Deswegen ließ ich es und kaufte die Tickets im Dutzend.

      „Merdeka“ bedeutet Freiheit. Was lag da näher, als nach der Ausrufung der indonesischen Unabhängigkeit einen Freiheitsplatz mitten in Jakarta zu errichten? So jedenfalls dachte Präsident Sukarno und befahl im Jahre 1961 die Anlage eines weiträumigen quadratischen Parks genau im Zentrum von Jakarta. Bei der Anlage dieses Merdekaplatzes wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, denn der Präsident wollte, dass sich das Volk an seiner neugewonnenen Freiheit auch hinreichend ergötze. Mitten im Park, im Fluchtpunkt von vier großen Zufahrtswegen, entstand deswegen das Monas, das indonesische Unabhängigkeitsdenkmal, ein riesiger Obelisk, der sich von seinem Sockel aus nicht weniger als 132 Meter hoch in den Himmel erhob. Der sich nach oben verjüngende Obelisk wurde nicht nur mit einer Aussichtsplattform auf 111 Metern Höhe, sondern auf seiner Spitze mit einer stilisierten vergoldeten Flamme versehen. So prachtvoll gebärdete sich die Freiheit nach ihrem Sieg.

      In Wahrheit hatte sich die Begeisterung der Bevölkerung von Anfang an in Grenzen gehalten. Zu unindonesisch, zu bombastisch, zu erratisch erschien das Monument, das bald hinter vorgehaltener Hand als „Sukarnos letzte Erektion“ verspottet wurde. Um zu verhindern, dass Bettler und Herumtreiber die Gloriole von Park und Monument beeinträchtigten, hatte man schon bald das ganze Gelände mit einem Zaun gesichert und nur einen schmalen Zugang gelassen, der von der Armee kontrolliert wurde. Auch die Freiheit benötigte schließlich einen Sicherheitsabstand zum einfachen Volk.

      Ich passierte den Eingang des Merdekaplatzes, und setzte mich in den Schatten einer Palme. In hinreichender Entfernung vom Nationalmonument erschloss sich mir das klassische Jakarta Foto: in der Mitte des Bildes das Nationalmonument vor einem leeren Himmel, dann am unteren Bildrand auf der Höhe seiner Basis viel kleiner und entfernter die Skyline der Hochhäuser, die den Merdekaplatz umgaben. Unmittelbar vor mir erhob sich auf einem meterhohen Sockel eine überlebensgroße Reiterskulptur in extrem dramatischer Pose. Fatahilla, der sagenhafte Gründer Jakartas, zügelte sein sich spektakulär aufbäumendes Ross. Wer aber war Fatahillah? Glaubte man der geschichtlichen Überlieferung, dann handelte es sich um einen moslemischen Prinzen, der im Jahre 1527 den Hafen Sunda Kelapa erobert und an seiner Stelle die Stadt „Jayakarta“, die „Stadt des großen Sieges“, gegründet hatte. Die Nachricht dieses Monumentes war klar: Jakarta besaß einen moslemischen Ursprung und sah seinem 500. Stadtgeburtstag entgegen.

      Soweit das offizielle Geschichtsbild. In Wahrheit hatte die Geschichte Jakartas als einer nationalen Metropole erst mit der Ankunft der Holländer begonnen. Sie hatten sich am Anfang des 17. Jahrhunderts in Westjava festgesetzt und im Jahre 1619 die Kolonialstadt Batavia gegründet. Der Ort war schlecht gewählt, denn die zahlreichen Kanäle, die die Stadt durchflossen, verwandelten sich schnell in Brutstätten der Malaria. Unzählige holländische Amtsträger samt ihrer Familien fanden auf diese Weise den Tod in den Tropen. Doch Batavia gedieh trotzdem, wuchs über die Hafengegend hinaus bis hin zum heutigen Stadtzentrum, an dem sich der Merdekaplatz ausbreitete.

      Was war von Batavia geblieben? In der Hauptsache nur der Name und ein einziger restaurierter Platz im Norden der Stadt, der auch noch den Namen „Fatahillah Square“ trug. Dieser Platz war ein Kuriosum, ein blankgeputztes Holland in den Tropen, denn er bestand aus nichts weiter als aus einem guten Dutzend weißer Kolonialhäuser mit einer großen Kanone in der Mitte, eben jener Kanone, die die Holländer nach der Eroberung Malakkas im Jahre 1641 als Siegestrophäe nach Batavia gebracht hatten. Das auffälligste Gebäude des Fatahilla Squares war der Palast des Gouverneurs, ein weißes Gebäude mit rotem Ziegeldach und Kuppelturm, das man sich problemlos auch in den Niederlanden hätte vorstellen können. Die touristische Finesse dieses Platzes bestand im Angebot von mietbaren Hollandrädern, auf denen Touristinnen aus Korea und Japan, drapiert mit Damenhüten im Stil der Kolonialzeit, jauchzend herumfuhren. Auch im Café Batavia an der Nordseite des Platzes, wurden die alten Zeiten beschworen. Die Wände waren mit eingerahmten Schwarzweißfotografien bedeckt, auf denen lauter Kolonialbeamte mit ihren Familien zu sehen waren, wie sie von ergeben dreinblickenden Eingeborenen bedient wurden. An den Decken drehten sich die Ventilatoren, an den Tischen saßen die jugendlichen Nachfahren der europäischen Kolonisatoren und tranken Batavia-Punsch zum Klang verhaltener Jazzmusik. Alles war in ein trübes, nostalgisches Dämmerlicht getaucht, farbliche Akzente setzten nur die zierlichen Kellnerinnen, die wie kleine Püppchen zwischen

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