Töchter aus Elysium. Werner Siegert

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Töchter aus Elysium - Werner Siegert

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schwarze Labrador stand hechelnd neben Elsterhorst, der ihn streichelnd zu beruhigen versuchte. Schüsse, Silvesterknallereien und ähnliche Geräusche ließen ihn immer noch schmerzlich aufheulen. Das hatte man ihm in der Hunde-Polizeischule nicht abgewöhnen können. Judith hatte schnell die Leine aus dem Auto geholt. Kaum war Rinaldo angeleint, zog er auch schon kräftig ziehend in eine bestimmte Richtung. So weit, bis er an einer Grabstätte halt machte und jaulend und schnüffelnd die Steinplatte umrundete.

      Elsterhorst fiel auf, dass im Unterschied zu den Nachbargräbern, die total vermoost und mit Efeu umrankt waren, an dieser Grabumrandung erst kürzlich jemand Spuren hinterlassen hatte. Das Moos war zum Teil zur Seite gescharrt, Efeuranken waren abgerissen und hinter den Grabstein geworfen worden.

      Aus dem Sanatorium war inzwischen die Direktorin samt einem größeren Schwarm von Bediensteten herangerauscht und herrschten Elsterhorst und Judith an, sie mögen bitte sofort das Gelände verlassen, weil man sonst die Polizei benachrichtigen würde wegen Hausfriedensbruchs und Störung der Totenruhe.

      „Die Polizei brauchen Sie nicht zu rufen. Die ist schon da!“ Auch der Direktorin hielt Judith den Dienstausweis vor die Nase, die ihn jedoch kaum eines Blickes würdigte.

      Judith zog Rinaldo wieder von der Grabstätte weg und hakte Elsterhorst unter. Sie tuschelten kurz mit einander. Dann mimte Elsterhorst einen Herzinfarkt. Jedenfalls brach er kurz vor dem Haus zusammen.

      Sofort eilten mehrere Schwestern und Pfleger zusammen. Man holte eine Bahre und trug ihn in eine Art Ambulanz. Judith ließ Rinaldo wieder ins Auto springen, ließ nur einen schmalen Spalt an den hinteren Fenstern offen und drückte die Kindersicherung runter, so dass er sich nicht wieder selbst befreien konnte. Dann trug sie Elsterhorsts Gepäck in die Halle. Gegenüber der Direktorin, die sich inzwischen mit ziemlicher Drohgebärde als Frau Dr. Frost-Heimbusch Judith gegenüber aufgebaut hatte, gab sie sich als jene Frau zu erkennen, die erst kürzlich mit ihr die überaus einladenden Gespräche wegen ihres Kollegen Elsterhorst geführt hätte. Einladend sei aber bisher nichts gewesen. Sie sei sehr besorgt, dass ihr Kollege nicht die liebevolle Betreuung und Ruhe finden würde, die ihr wortreich zugesichert worden war.

      Frau Dr. Eleonor Frost-Heimbusch ließ Judith noch nicht einmal in die Ambulanz, um sich von Elsterhorst zu verabschieden, da sie nicht mit ihm verwandt sei. Und nun solle sie sich schleunigst samt ihrem teuflischen Hund auf den Heimweg begeben.

      Judith baute sich mit einem zynischen Lächeln vor der Direktorin auf und raunte ihr zu: „Ich vermute, diese Art der Begrüßung und Behandlung von Gästen und Patienten wird noch ein Nachspiel haben. Ihr Prospekt und Ihre werbend freundlichen Sprüche am Telefon weichen offenbar krass von der Realität ab. Das kann man auch in Facebook posten. Der Hausarzt von Kriminal-Hauptkommissar Elsterhorst wird sich in aller Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen! Ich bin in großer Sorge um den Patienten. Auf Wiedersehen!

      Kurz nachdem sie das Sanatoriumsgelände verlassen hatte, rief Judith Kriminal-Hauptkommissar Lothar Velmond und Elsterhorsts Hausarzt an und informierte beide über die eigenartigen Vorkommnisse im sogenannten Elysium.

      2. Höllenqualen

      Maurice Elsterhorst erwachte, weil jemand mit zarter Hand liebevoll seine Haare von der Stirn zurückstrich. Dieses Gefühl verwirrte ihn. Es war ihm fremd; erinnerte ihn allenfalls an seine Mutter, wenn er morgens zur Schule aufbrach und sie ihm, den bitteren Abschied versüßend, einen Kuss auf die Stirn gab. Doch - so bitter war dieser Abschied für ihn gar nicht, wartete doch ein paar Ecken weiter die hübsche kleine Judith mit ihren langen, dunkelblonden Zöpfen. Gleich verwandelte sich das eben noch umsorgte Söhnchen in einen Jungsiegfried, in einen Helden, bereit, Judith gegen alle Feinde zu schützen - und ihr die Hälfte seines Butterbrotes zuzustecken.

      Elsterhorst blinzelte. Da war ein Fenster an einer ungewohnten Stelle. Dahinter bewegten sich hohe Bäume. Der Vorhang neben dem Fenster - mit einem völlig fremden Muster, in völlig fremden Farben. Das Bett ungewohnt, direkt neben einer Wand? Wo war er?

      „Guten Tag, Herr Elsterhorst! Wachen wir jetzt allmählich auf?“ Welch’ angenehme Stimme? Wer wachte da mit ihm zusammen auf?

      „Ich bin Schwester Angela! Ich bin Ihnen zugeteilt! Ich werde mich in den nächsten Tagen um Ihr Wohlergehen kümmern! Aber erst müssen wir einmal gaaanz aufwachen!“

      Wieder sagte die Stimme „wir“. Wir müssen aufwachen? Warum?

      „Wir haben lange, lange geschlafen, Herr Elsterhorst. Wir haben Sie in einen Heilschlaf versetzen müssen, damit Sie sich beruhigen und Abstand gewinnen!“

      „Wo bin ich?“ flüsterte er mit zittriger Stimme.

      „In Ihrem Zimmer! Im Elysium! In Ihrem kleinen Reich, in dem Sie in den nächsten Wochen wieder zu vollen Kräften kommen werden!“

      Elsterhorst versuchte sich aufzurichten. Eine kräftige Hand unterstützte ihn dabei. Dabei blickte er zum ersten Mal bewusst in das freundlich lächelnde Gesicht seiner behutsamen Helferin und wünschte ihr einen Guten Morgen.

      „Lieber Herr Elsterhorst, wir haben schon Nachmittag. Wir haben sehr lange und sehr tief geschlafen, und das hat uns ganz bestimmt sehr gut getan.“

      Das Klinik-Wir! Ja, natürlich! Wir haben lange und sehr tief geschlafen - mit dieser jungen Frau? Verständlicherweise konnte er dieser erotischen Gaukelei in keiner Weise folgen.

      Nun begann er, seine Umgebung schärfer wahrzunehmen: einen Schrank, einen Tisch, darüber ein fast leeres Bücherbord, eine Garderobe, an der sein Mantel hing. Alles sehr schlicht. Zwei Bilder an den Wänden, Blumenstillleben, Mohnblumen. Billigstkopien.

      „Jetzt müssen wir aber erst einmal was trinken!“ Schwester Angela reichte ihm eine gelbe Schnabeltasse. Das auch noch! Gelbes Plastik! Er hätte sich fast an dem süßlichen Orangendrink verschluckt; denn er hatte Wasser erwartet, kühles, klares Wasser. Aber nicht so ein Zeug!

      „Das ist Astronautennahrung, Herr Elsterhorst, damit Sie schnell wieder in die normale Umlaufbahn gelangen! Und wir müssen gleich noch mal eine solche Tasse voll langsam austrinken. Heute abend gibt es dann was Leckeres zu essen!“

      Elsterhorst blickte sich weiter um und erspähte voller Entsetzen seinen aufgeklappten Koffer.

      „Ich habe mir erlaubt, Ihre Sachen, Ihre Wäsche, alles eben in den Schrank einzuräumen. Auch ins Bad. Wenn Sie gleich wieder ein bisschen besser auf den Beinen sind, sollten wir duschen, möglichst kalt, damit der Kreislauf auf Touren kommt!“

      „Der Koffer war verschlossen ....“

      „Ja, aber man weiß natürlich, wo die Schlüssel sein können. Ich hatte ja nichts zu tun als nur zu warten, bis Sie aufwachen. Und mir können Sie grenzenlos vertrauen! Mir schon!“

      Diese beiden nachgeschobenen Wörter irritierten den allmählich auch wieder erwachenden Hauptkommissar.

      „Das klingt, als könne man hier nicht allen vertrauen?“

      „Davon haben Sie ja schon eine kleine Kostprobe bekommen - oder? Vielleicht ist es Ihnen in Ihrem Zustand nicht aufgefallen. Es gibt hier solche und solche. Dürfte ich Ihnen sicher gar nicht sagen; aber ich tue es halt. Und damit Sie erkennen, dass ich es ehrlich mit Ihnen meine, leihe ich Ihnen gerade mal schnell mein Handy. Ihres hat man Ihnen entgegen der Weisung von Ihrer Frau abgenommen. Vielleicht wollen Sie gerade mal Ihre Frau anrufen? Ganz schnell und ganz kurz, ehe wir erwischt

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