Truski - das Römermädchen vom Reitstein. Werner Siegert
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Truski - das Römermädchen vom Reitstein - Werner Siegert страница 4
Hände! Überall Hände! Tote, kalte und warme, schlanke und plumpe, gepflegte und abgearbeitete, auch solche, die er wieder erkannte. Immer schon hatte er auf die Hände von Menschen geachtet, hatte sie bewusst oder unbewusst angesehen: bei Treffen jeder Art, bei Festnahmen und Verhören, im Gerichtssaal und im Gefängnis. Hände sprachen zu ihm, deutlicher als mancher Gesichtsausdruck oder Stimmen. Oft hatte er herauszufinden versucht, zu welcher Art von Person die Hände wohl gehörten. Er hatte sich selten geirrt.
In einem kurzen Traum gelang es ihm, an den beiden Händen, die das einzige Indiz für seine Nachforschungen waren, die Ermordeten zu identifizieren. Denn es waren Hände von zwei verschiedenen Personen. Von einem Mann und von einer Frau!
Es war ....
Dann wechselte die Szene so plötzlich, wie es nur in Träumen geschieht.
Auf einmal befindet er sich weit weg von der Gegenwart. Wieder sieht er Judith vor sich, die Gefährtin seiner Kindheit, mit der er so vieles erlebt hatte, weil sie immer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, mal in London bei der Etrusker-Mafia, mal in der Sonderstrafanstalt, in der er als V-Mann unter falschem Namen und merkwürdiger Verkleidung recherchierte. Sie war wieder das kleine verschüchterte Mädchen, er der große Junge, für den er sich damals hielt.
Er las ihr ein Grimmsches Märchen vor: „Das Mädchen ohne Hände“. Hatte er ihr dieses Märchen wirklich einmal vorgelesen?
Da hatte einer einen Pakt mit dem Teufel geschlossen: Reichtum gegen das, was hinter seinem Haus stand. Dort hatte schon immer ein Apfelbaum gestanden. Heute war es seine Tochter. Als der Teufel sie holen will, weint sie auf ihre Hände, um sich rein zu waschen und der Vater hackt sie ihr ab. Sie hatte so geweint, dass ihr die Tränen durch die Finger liefen, als sie aus Angst mit den Händen die Augen zuhielt.
Ob nur im Traum oder - war es wirklich so gewesen? – Judith schlug vor Angst und Entsetzen die Hände vor das Gesicht und auch ihre Tränen tropften durch die Finger.
Es waren „seine“ Hände. Und Judiths Hände, die er überall wieder erkannt hätte. Elsterhorst schreckte auf. Wie in dem Märchen sah er die Hände in einem Tümpel schwimmen.
Seine Gedanken kehrten zurück zu seinem Fall. Hatte sein Unterbewusstsein ihm eine Spur gezeigt? Ging es vielleicht um einen Ritualmord? Oder um Verstümmelung durch einen Psychopathen? Gab es überhaupt eine Leiche?
Unruhig wälzte er sich hin und her.
Etwas klingelte. Hatte er den Wecker falsch gestellt? Es war 5 Uhr morgens. Rinaldo schlug an.
Der stand hellwach an der Tür des Appartements, dankbar für jede Abwechslung. Elsterhorst zögerte. Sollte er öffnen und riskieren, dass ihm einer einen Arm, eine Hand oder sonst etwas abschnitt? Dann riss er sich zusammen.
„Werde endlich wach!“ rief er sich zu.
Er schlüpfte in seinen Morgenrock und öffnete die Tür. Das Treppenhaus war dunkel. Er schaltete das Licht an. Auf der Fußmatte lag etwas.
War er etwa immer noch in diesem trance-ähnlichen Zustand?
Wohl kaum, denn Rinaldo gab ein klägliches Wimmern von sich und schlich zurück in die Wohnung.
Das, was da lag, war eine schwarze abgetrennte Hundepfote. Sie lag auf einem Blatt Papier, das in einer Plastikhülle steckte, so dass nur ein einziges Wort zu erkennen war:
BEWARE !
Elsterhorst nahm ein Tempotuch, hob beides widerstrebend auf und legte es behutsam auf seinen häuslichen Schreibtisch. Um diese Zeit wollte Elsterhorst nicht auf dem Präsidium erscheinen, schon gar nicht nach diesen nächtlichen Erlebnissen.
Er machte sich Kaffee, setzte sich an seinen Schreibtisch und grübelte. Rinaldo lag mit offenen Augen in seinem Korb.
Beware! Hüte dich! Beware of the Dog! Hüte dich vor dem Hund! Dieses Schild hing in England an jeder zweiten Gartentür.
Es war eine Warnung, vielleicht sollte es sogar eine Drohung sein.
England! Da hatte er sich mit der etruskischen Liga angelegt. Einen Toten hatte es gegeben, und der Drahtzieher der ganzen Angelegenheit war für unbestimmte Zeit ins Gefängnis gekommen. Sollte er etwas mit dem Mord zu tun haben? Oder ging es um die römischen Funde?
Auch damals war ja alles durch ein solches Ereignis ins Rollen gekommen. Dann hatten sie Judith entführt. Und Rinaldo hatte er damals sozusagen als Andenken aus London mitgebracht.
Von dunklen Ahnungen getrieben ging er zum Telefon, wählte Judiths Nummer. Das Telefon läutete ins Leere. Er glaubte diese Leere fast zu spüren. Angsterfüllt. Wie damals.
Was war das eigentlich alles? Ein Albtraum? Ein Deja- vue Erlebnis oder – schreckliche Realität?
Schlag-Zeilen
Als Elsterhorst am nächsten Tag zu Fuß zu seiner Dienststelle ging, glaubte er an einer Sehstörung zu leiden oder in die Schrecken der vergangenen Nacht zurückgekehrt zu sein. Von jedem Kiosk, von jedem Zeitungsständer, wo eine bestimmte Boulevardzeitung verkauft wurde, kam ihm Rinaldo entgegen. Buchstäblich. Denn er war offenbar im Lauf fotografiert worden Und in seiner Schnauze trug er die menschliche Hand.
Grausiges Hundespiel
so die Überschrift. Und der Text musste auf jeden noch grausiger wirken, der nicht Zeuge des Geschehens gewesen war:
„Die Szene, die sich gestern auf dem Südfriedhof in München ereignete, hätte aus einem Hitchcock Film stammen können. Ein Polizeihund apportierte eine menschliche Hand und legte sie einem Polizisten zu Füßen. Zeuge dieses Vorfalls waren eine junge Mutter und ihr achtjähriger Sohn.
Der Polizist entriss dem Kind das Handy und verständigte eine Polizeistreife. Mutter und Kind blieben hilflos zurück, als der Polizist – ohne sich um die beiden zu kümmern, mit dem Dienstwagen davon fuhr. Die Frau erlitt einen Schock. Ob das Kind psychologisch betreut werden muss, ist nicht bekannt.
Elsterhorst ließ sich nur ungern als Polizisten bezeichnen. Nach Schock oder Nervenzusammenbruch hatten die beiden auch nicht ausgesehen.
Wie kamen Bericht und Foto an die Zeitung, fragte er sich, und wieso war er nicht auf dem Bild? Es hätte sich doch gut gemacht, einen hartherzigen Kommissar auf diese Weise vorzuführen.
Oder wollte sich da jemand ihn für eine ganz persönliche Rache aufsparen? Ihn- oder auch den Hund?
Er blickte auf Rinaldo, der auf dem Foto wie ein Höllenhund wirkte.
Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, als ihn ein neuer Schlag traf. Offenbar hatte in der Nacht nicht nur sein Unterbewusstsein gearbeitet. Auch Journalisten und die Presse waren tätig gewesen.
Handfetischist