Wolfskinder. Klaus Melcher

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Wolfskinder - Klaus Melcher

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      „Bei Ihnen?“, beantwortete Dr. Meier selbst seine Frage.

      „Ja“, sagte er jetzt, als die Frage langsam zu ihm durchgedrungen war, „bei mir.“

      Erstaunt sah Frau Mehwald ihm nach, als er an ihr vorüberging, ohne zu grüßen, ohne eine nette Bemerkung.

      Wie in Trance öffnete er die Tür und schloss sie wieder.

      Sie wollte ihm noch etwas nachrufen, aber da war er schon weg.

      „Komisch“, murmelte sie, „so kenne ich ihn doch gar nicht.“

      Am liebsten wäre sie zu ihrem Chef gegangen und hätte ihn ausgehorcht, aber sie war lange genug seine Sekretärin, um zu wissen, dass sie keinen Erfolg damit haben würde. Nur er würde entscheiden, wann und ob und wie viel er etwas offenbaren würde.

       Sie würde sich auf den Kopf stellen können!

      Kapitel 21

      Der Schreibtisch war fertig: ein Rollcontainer links und rechts, darüber eine breite Holzplatte, die sicher viele Jahre überstehen würde, zwei PCs und zwei Bildschirme mit Tastatur, zwei Mousepads, Bücherstützen, ein Telefon.

      Jose war zufrieden.

      Gleich nach dem Besuch bei seinem Chef war er in einen kleinen Computerladen gegangen und hatte einen gebrauchten PC mit allem nötigen Zubehör gekauft. Es sollte keinen Streit geben, wer nun gerade am PC arbeiten durfte, und er nahm an, dass Carmen, wenn sie sich erst einmal daran gewöhnt hätte, ihn häufig nutzen würde.

      Die Rollcontainer und die Tischplatte hatte er preiswert im Baumarkt gekauft, der Aufbau war einfach und ging schnell.

      Das Bücherregal hatte er zur Hälfte frei geräumt und umgestellt. Jetzt stand es an der Wand neben Carmens Arbeitsplatz, direkt angrenzend an ihren Nachttisch. Sie sollte nicht immer aufstehen müssen, wenn sie sich ein Buch herausnehmen wollte. Die Rollen ihres Schreibtischsessels erlaubten ihr, sich sitzend in die richtige Position zu bewegen. Heiko hatte es ein paar Mal ausprobiert. Es war schon sehr komfortabel.

      Er sah nach der Uhr. Zwei Stunden, rechnete er, dann würde sie kommen.

      Eigentlich hätte er sie früher erwartet, nur um sich anzumelden, einige Formalitäten zu erledigen und vielleicht eine oder zwei Stunden in den Unterricht hineinzuschnuppern, dafür brauchte man nicht mehr als den halben Tag, aber was wusste er, wie sie diesen ersten Tag gestalten würde.

      Er wusch sich gründlich die Hände und band sich die Schürze um. Dann nahm er sein Arbeitsgerät aus dem Schrank, Brett, Messer, Pfanne, eine Schüssel, und begann mit den Vorbereitungen. Er hatte zwei herrliche Doraden bekommen, deren Augen so klar waren wie – einen Augenblick zögerte er, es zu denken – ja, wie Carmens.

      Er sortierte das Gemüse, betrachtete die sanft schimmernde Haut der Aubergine.

       Reiß dich zusammen!

      Obgleich seine Gedanken immer wieder abschweiften, gelang es ihm, seine Vorbereitungen abzuschließen, gerade noch rechtzeitig, bevor die Wohnungstür aufgeschlossen wurde und Carmen herein stürmte.

      Sie warf die Tüte mit den Büchern auf das Sofa und flog Jose um den Hals. Es störte sie nicht, dass er Fischfinger hatte, dass das Gemüse auf dem Herd schmorte und anzubrennen drohte, es störte sie auch nicht, dass sie beide kaum noch Luft bekamen, weil jeder Atemzug vergeudete Zeit bedeutete.

       Sie hätte platzen können vor Glück!

      „Ich habe es geschafft!“, rief sie immer wieder.

      Und dann sprudelte es aus ihr heraus, ohne Unterbrechung, wie ein Wasserfall.

      Von der Anmeldung erzählte sie, wie nett der Direktor gewesen war, auch die Frau Rowisch und die anderen Lehrer, die sie am Vormittag noch gehabt hätte, wie die Mitschüler sie aufgenommen hätte, dass einige erst sehr zurückhaltend, fast aggressiv gewesen wären, dass es dann aber auf einmal mucksmäuschenstill geworden wäre. All das erzählte sie und fiel wieder und wieder Jose um den Hals.

      „Und was hast du gemacht?“, fragte sie plötzlich.

      „Och“, antworte Jose wie beiläufig, „erst war ich im Amt, dann habe ich ein bisschen eingekauft, na, und dann gekocht, bis du mich von der Arbeit abgehalten hast.“

      Wie das Gespräch im Amt gewesen wäre, ob Jose von ihr erzählt hätte, wie viel er erzählt hätte, was sein Chef gesagt hätte, wie er die Chancen für eine Heiratserlaubnis einschätzte, wollte sie wissen.

      „Nun sag doch! Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“

      Ungeduldig zappelte Carmen herum, boxte übermütig Jose, umarmte ihn und ließ ihn gleich wieder los, nur um ihn erneut zu boxen.

      Es hatte keinen Zweck. Jose ergab sich. Er stellte das Essen vom Herd, nahm eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank, zog sie auf und setzte sich mit Carmen auf den Balkon.

      „Du gibst ja doch keine Ruhe“, lachte er, „aber pass auf, trink nicht so viel, sonst bist du gleich beschwipst.“

      „Und meint er, wir schaffen das bis Weihnachten?“, fragte sie, als er Bericht erstattet hatte.

      Natürlich wollte auch Jose, dass sie noch vor Weihnachten heirateten, aber er wusste, dass die Chancen dafür schlecht standen.

      „Wäre es sehr schlimm, wenn es nicht mehr in diesem Jahr klappt?“

      „Natürlich nicht“, behauptete sie, aber sie fühlte sich elend bei diesem Gedanken.

       Alles würde sie dafür tun! Sie würde arbeiten wie ein Pferd. Sie würde, sie würde, ach, sie wüsste nicht, was sie alles dafür tun würde!

      Sie wollte ganz tapfer sein, und konnte doch nicht verhindern, dass sich ihre Augen wieder füllten.

      Jose zog sie an sich, nahm sie in den Arm, streichelte ihr Haar.

      „Carmencita“, sagte er leise, „meine Carmencita.“

      Und dann brach es los. Ihr kleiner Körper wurde geschüttelt, konnte sich nicht beruhigen. Die Tränen wollten nicht enden.

      Jose war ratlos.

      „Was ist, Carmencita? Was ist?“

      „Ich habe solche Angst“, schluchzte sie.

      Dann, ganz plötzlich, stand sie auf, ging in die Küche und kam mit einer Rolle Küchenpapier zurück, riss einigen Blätter ab und schnäuzte sich laut und lange die Nase.

      „Jetzt ist alles wieder gut. Sei mir nicht böse“, bat sie.

      Sie kuschelte sich an ihn, wurde richtig klein an seiner Brust, und er hielt sie in seinen Armen, wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war und das er vorsichtig zu wärmen versuchte.

      Beruhigend strich er ihr über das Haar.

      

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