Completely - Gesamtausgabe. Mej Dark
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Meine Gesichtszüge entgleisten und ich schrie unwillkürlich so etwas wie: „Oh nein, harr …“
„Was machst du da?“, fragte die Kleine mich erstaunt musternd. Ob sie auch mich erkannte?
Angesichts der eindeutigen Situation war das natürlich eine sehr dumme Frage.
„Ich wollte dir eigentlich nur Platz machen!“, erklärte ich meine unangenehme Position trotzdem.
Meine Antwort verblüffte das Provinzmädchen scheinbar. So viel Höflichkeit war sie in diesem Nest nicht gewohnt.
„Du bist nicht von hier! Bei meiner Mutter, du bist doch der, der mir den Ring geschenkt hat?“, stellte sie mein Gesicht betrachtend fest. Ihre Kulleraugen wurden noch größer, musterten mich neugierig und ihr Gesicht bekam geradezu einen schwärmerisch verträumten Ausdruck. Dann erklärte sie: „Wir halten uns einfach aneinander fest und drehen uns umeinander!“ Sie machte das auch gleich zur Demonstration auf dem Brett vor, wie eine Ballerina. Dabei entblößte sie zwei Reihen perlweißer Zähne und beobachtete mich ungeniert. Ganz langsam versank ich immer tiefer.
Durch die Strampelbewegungen verschlechterte sich meine Situation mehr und mehr. Bei dem Versuch, einen Fuß herauszuziehen, knickten meine Beine vor den Augen des Mädchens nach hinten um und ich ruderte kurz darauf hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken in der klebrigen Masse. Ich bekam sogar Furcht, ganz zu versinken und dabei den Tod zu finden. Meine Kleidung saugte sich mit Nässe voll.
Mir war die Situation besonders vor der hübschen Kleinen peinlich und ich schämte mich sogar, während das Mädchen herzhaft zu lachen begann. Nachdem die Lachwellen verebbten, sah sie sich um. Ihr Blick fiel auf meine Waffe, die ebenfalls in dem Sumpf steckte. Sie beugte sich vor und ergriff das obere Ende meines Speeres.
„Halt dich an der anderen Seite fest!“, schlug sie vor.
Auf diese Weise gelang es ihr tatsächlich, mich langsam zu befreien. Wie durch ein Wunder fiel sie nicht auch noch mit hinein. Einer meiner Stiefel steckte noch fest und lief mit dem Erdbrei voll. Es kostete uns einige Mühe, auch diesen mit Hilfe des Spießes zu befreien.
Nach der geglückten Rettung setzte ich mich wortlos auf das Brett und wickelte meine schmutzig nassen Fußlappen auf, um sie etwas zu reinigen. Meine gesamte Kleidung war von oben bis unten beschmiert und teilweise nass.
Das junge Ding lächelte herzlich. Sie hatte offenbar einen netten Charakter und ihre Fröhlichkeit wirkte ansteckend. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich irgendwie mochte und uns etwas verband. Nun ja, man bekommt ja auch nicht alle Tage einen Ring geschenkt.
„Woher kommst du eigentlich?“, fragte sie direkt und schabte mit dem Spieß etwas Dreckschlamm von meinem Pelzmantel.
„Vom Urgroßvater im Wald!“ Ich wies ungefähr in die Richtung, auf das Meer aus Fichten und anderen Nadelbäumen.
„Dem Medizinmann?“ Sie wirkte etwas erstaunt. „Der Einsiedler hat einen Urenkel? Das wird ja immer verrückter.“
Da die Menschen hier abergläubisch waren, wusste ich nicht so recht, ob ich die Wahrheit antworten sollte, und druckste herum: „Wie kommst du darauf, dass er es ist, den du meinst?“
„Ihm gehört dieser Speer“, erwiderte die Hübsche offenherzig. „Ich treffe ihn manchmal. Jeder hier kennt ihn zudem. Er hat vor Kurzem meiner Tante mit seiner Medizin das Leben gerettet.“ Dabei machte sie ein verschwörerisches Gesicht. „Ich wollte aber wissen, woher du wirklich kommst.“
„Aus New York, Manhattan.“
Vor Staunen ließ das Mädchen den Mund einen Spalt offen. Das sah süß aus. Sie wirkte ohnehin äußerst anziehend auf mich. Wäre sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte sie mich vielleicht noch mehr beeindruckt. Aber ich suchte ja die Allervollkommenste und keine kesse Teenagerin.
„Du bist ein echter Großstädter? Nimmst du mich dorthin mit?“, fragte sie unverblümt. Dabei sah sie mich bittend mit ihren Schokoladenplätzchenaugen an.
Jetzt schaute wiederum ich wie einer dieser geräucherten Stockfische. Die Kleine hatte seltsame Vorstellungen. Da würde Mama aber staunen, wenn ich mit so einer blutjungen Ureinwohnerin daherkäme. Ein Spaß wäre das schon.
„Wir kennen uns doch gar nicht“, warf ich abwimmelnd ein. „Was werden deine Eltern denken, wenn du mit einem fremden Mann mitgehst, den du gar nicht kennst?“
„Erstens bist du kein richtiger Mann und zweitens sind meine Eltern bereits tot“, protestierte sie altklug. „Ich wohne abwechselnd bei meiner Tante und bei meiner Oma – und ich bin schon sehr selbstständig.“
Sie plusterte sich auf, als wäre sie einige Jahre älter. Das wirkte dadurch jedoch noch kindischer. Irgendetwas hatte es aber. Die Kleine gefiel mir auf eine nicht verständliche Weise. Ich fand sie sogar recht lustig. Hatte der dumme Ring vielleicht doch besondere Kräfte. Sie trug ihn übrigens, wie ich gesehen hatte. Mir wurde mulmig zumute. Begann nun auch ich an mystischen Schwachsinn zu glauben? Die Umgebung beeinflusst eben doch das eigene Denken.
Die beiden grobschlächtigen Männer tauchten wieder auf und spuckten in Richtung des Mädchens, als sie dieses sahen. Sie reckten ihre Schnapsflaschen meiner Bekanntschaft entgegen wie Flinten, dann lachten sie laut: „Dich und deine Großmutter verbrennen wir auch noch! Hexe! Hexe!“ Das Mädchen wurde rot und wirkte etwas eingeschüchtert. Sie sah mich beschämt an.
„Sieh dich vor denen bloß vor“, warnte sie mich mit einem vielsagenden Blick. „Die Burschen dort sind bekannt dafür, dass sie gern Fremde ausrauben. Sie wohnen im Reservat.“
Der eine machte wie zur Verdeutlichung auch eine Geste, als wollte er mir oder dem Mädchen den Hals durchschneiden. Kurz darauf schickte der andere Säufer dieselbe Geste hinterher. Als Nächstes wieherten die Kerle wie Pferde. Ein Mantel aus aufkommender Furcht umschloss uns. Instinktiv traten wir näher zusammen und sahen uns an. Wirst du mir helfen?, stand in ihren Augen. Vertrau mir!, stand in meinen. Ich war sportlicher, als sie es sicher vermutete und auch im Faustkampf erfahren. Außerdem beruhigte mich der Spieß in meiner Hand. Für Menschen brauchte man ihn hier offenbar noch notwendiger als für Wölfe.
„Ach Percy!“, murmelte sie gerührt, als könnte sie meine Gedanken lesen. Ihre Augenwinkel füllte sich ein ganz wenig mit Feuchtigkeit und die Wangen mit Wärme. Fast schüchtern senkte sie die Augen und sah dann erneut prüfend in die meinen. Sie schien irritiert. Eine bedeutungsvolle Stille stand zwischen uns. Wie schön war diese Kleine doch und wie lächerlich meine geheimen Gedanken. Was war mit mir los?
„Die beiden sind offenbar Lakota-Indianer!“, stellte ich fest.
„Magst du Indianer nicht? Ich bin auch eine Lakota!“
„Das ist mir egal“, erwiderte ich. „Außerdem habe ich auch etwas Lakota-Blut.“
Wenn mein Urgroßvater ein waschechter Lakota war, was meine Familie ja vor mir verborgen hatten, dann war ich zu einem Viertel ja auch ein Indianer. Die Zeiten hatten sich geändert. Man brauchte sich dessen nicht zu schämen.
Sie errötete von dieser Wendung. „Ja, das stimmt.“
„Wo bekomme ich Lebensmittel?“, wechselte ich das Thema. Ich wollte das Gespräch so schnell wie möglich