Completely - Gesamtausgabe. Mej Dark
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„Die Gewerkschaften haben die Arbeiter zu einem Protestmarsch aufgerufen?“, erwiderte der Kutscher. Er war offensichtlich genau im Bilde.
Sein Gesicht wirkte irgendwie zufrieden. Er schien als einfacher Mann mit ihnen heimlich zu sympathisieren.
Unser Fuhrwerk hielt.
„Wir kommen nicht mehr weiter!“ Der Kutscher sprach plötzlich in einem gänzlich anderen Ton, fast aufsässig mit mir. Es war fast so, als würde ihn die kämpferische Stimmung der zur Demonstration strömenden Masse anstecken und plötzlich zu meinem Feind machen. Aus Freunden werden eben schnell Feinde.
Ich warf ihm ein Geldstück zu, öffnete den Verschlag und sprang hinaus.
„Ich gehe zu Fuß!“, teilte ich ihm abschließend mit. Dem Mann war es nur recht. Er hatte sein Geld erhalten und würde schon irgendwie nach Hause kommen.
Eiligen Schrittes bewegte ich mich mit dem Strom schlecht gekleideter und zuweilen übel riechender Zeitgenossen. Wenn ich zügig ging, würde ich vielleicht gerade noch pünktlich ankommen.
Grace empfing mich mit leuchtenden Augen und winkte mir zu.
„Du bist tatsächlich gekommen!“ Sie hatte anscheinend nicht wirklich damit gerechnet.
„Klar, du bist doch meine beste Freundin!“, versuchte ich den Graben zwischen uns zuzuschütten und überreichte ihr den kleinen Strauß als Aufmerksamkeit.
Ich glaubte Tränen der Rührung in ihren Augen zu sehen. Ihre Nase schnupperte begeistert an den Blüten. Mein Herz setzte einen Schlag aus und klopfte dann um so heftiger. Wieso nur wurde mir plötzlich so heiß und mein Mund so trocken? Bedeutete die Kleine mir vielleicht doch mehr als ich mir eingestand? Ich verscheuchte rasch diesen unsinnigen Gedanken, denn ich musste mein Herz frei halten. Es hatte nur Platz für die eine.
„Wir sollten hier schnell verschwinden“, schlug ich vor.
Grace klopfte die Hände zusammen. Ihr Gesicht war gerötet!
„Lass uns noch ein wenig Zeit mit dem einfachen Volk verbringen!“, schlug sie vor und hakte sich bei mir ein. „Wann erleben wir schon eine so aufrührerische Demonstration?“
Sie wies auf Männer am Straßenrand in dunklen Mänteln.
„Sogar die Polizei ist da“, kicherte sie mädchenhaft.
„Wohin gehen die Leute und was ist ihr Ziel?“, fragte ich meine hübsche Begleiterin, um das Gespräch in Gang zu bringen.
„Der Weg ist doch das Ziel“, spottete sie gutgelaunt.
Wir spazierten also ein wenig mit der Arbeiterklasse, obwohl mir das nicht so richtig gefiel und ein ungutes Gefühl mich instinktiv warnte. Die Sonne war inzwischen versunken, dunkle Wolken hatten die Herrschaft übernommen und tauchten die gesamte Umgebung in gespenstische Finsternis. Die wenigen Gaslaternen, deren fahles Licht kaum durchdrang, verstärkten nur diesen Eindruck. Ich bemerkte außerdem erneut böse Blicke, die einige Demonstranten mir zuwarfen und auch lüsterne, die auf Grace gerichtet waren.
„Was wollt ihr denn hier?“, fauchte mich dann sogar ein großer rothaariger Kerl grob direkt an.
„Für die Ziele der Gewerkschaft demonstrieren“, erwiderte Anastasia keck. Das verschlug dem unhöflichen Burschen für einen Moment vollkommen die Sprache. Sein Mund stand verblüfft offen und entblößte unschöne kariöse Zähne.
Ein komischer Singsang erscholl zuerst zögerlich dann immer kräftiger.
„Ist das nicht aufregend?“ Meine Begleiterin hängte sich Nähe suchend in meinen Arm, kuschelte sich dicht an mich. Es war ein gutes Gefühl.
Inzwischen sangen alle um uns herum ein ansteckendes und kämpferisches Lied.
Der freche junge Kerl wollte anscheinend unbedingt Streit suchen. Er hatte sich nun mit einigen weiteren Kumpanen zusammengeschlossen und drängte mit ihnen in unsere Richtung.
„Lass uns doch lieber verschwinden!“, raunte ich Grace zu. „Es könnte gefährlich werden.“
Der Zug der für oder gegen irgendetwas Protestierenden war inzwischen zum Stehen gekommen. Vorn gab es anscheinend ein Hindernis. Vielleicht war es auch geplant.
„Das Kapitalistenpack macht sich über uns lustig und spaziert frech mit!“ Der grobschlächtige Bursche wies in unsere Richtung und hetzte ein paar Gleichaltrige auf. Ich sah sogar, wie er ein kurzes Messer hervorzog und in seinem Mantelärmel versteckte. Als er meinen Blick bemerkte, grinste er boshaft. Es wurde unangenehm bedrohlich. Was sollte ich bei einem direkten Angriff inmitten der Masse tun? Grausige Bilder geisterten durch meinen Kopf. Hier wollte ich keinesfalls sterben.
„Komm!“ Ich zog Grace energisch mit mir zur Seite, weg von dem gefährlichen Kerl.
„He!“, beschwerte sie sich etwas über den unerwarteten Zwang. Das abenteuerlustige Mädchen folgte mir willig und unwillig zugleich. Mein Beschützerinstinkt und das Spiel mit dem Feuer gefielen Grace gleichermaßen. Ihr heimlicher Plan war aufgegangen.
Eine kleine Gruppe folgte uns durch das Gedränge und kam uns gefährlich nahe.
„Dem reichen Schnösel hauen wir eins auf die Schnauze und mal sehen, was wir danach mit seinem frisch gewaschenen Täubchen machen!“, hörte ich ihn die anderen weiter anstacheln. Diese grinsten in gehässiger Vorfreude. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln und zog gleichzeitig meine sich immer noch leicht stäubende Freundin allen Widerstand beiseite drängend mit.
Der hässliche Kerl hatte Grace fast erreicht, die durch ihr künstliche Ziererei unsere Flucht etwas behinderte. Ihr war die große Gefahr anscheinend überhaupt nicht bewusst. Als er nach ihrem Mantel griff, um sie festzuhalten, stieß ich unerwartet stehen bleibend den silbernen Knauf meines Stockes mit aller Wucht in sein Gesicht. Er schrie schmerzhaft auf. Sein Messer klirrte zu Boden.
Ich riss Grace nun mit aller Kraft mit mir. Sie folgte willig. Zum Glück erreichten wir unbehelligt die am Straßenrand stehende zivile Polizei.
„Banditen verfolgen uns!“, stieß ich angstvoll hervor.
Sie musterten uns beide kurz und nickten.
„Verschwinden Sie rasch hinter uns! Wir lassen keinen hier durch. Verlassen sie bitte diesen gefährlichen Ort!“, ermahnte man uns abschließend.
Unsere Retter wiesen auf eine Seitenstraße.
„Gehen Sie dort entlang und dann schnell nach Hause!“Erst jetzt schien der hübschen Grace wirklich das ganze Ausmaß der Gefahr bewusst zu werden. Wie ein artiges Kind trippelte sie mit großen zufriedenen Augen neben mir. Diese Naivität gemischt mit ihrer Abenteuerlust gaben ihr einen ganz besonderen Zauber. Ich mochte sie mehr und mehr. Für einen Moment war ich sogar bereit … Nein, fort mit einem solchen Gedanken! Mein Herz konnte nur einer gehören. Die Versuchungen des gewöhnlichen Lebens waren größer als ich gedacht hatte, gestand ich mir ein.
„Ich wusste gar nicht, dass du so kämpferisch bist“, bewunderte sie mich. „Man unterschätzt dich schnell!“
„Du