Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

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Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt

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ich ihr entgegenschleudern können. Aber meine Antwort ist von demselben Wert wie der ganze Lügenkatalog, der dein Leben ausmacht.

      »Ich habe ihm von seiner erstaunlichen Belesenheit in Kunstgeschichte berichtet«, sprang Karola ein. »Professor Balt ist ein großer Liebhaber der Malerei. Er sammelt Kunst. Viele bedeutende Physiker haben ein starkes Empfinden für Malerei.«

      Diese Auskunft verwandelte das Gesicht meiner Mutter augenblicklich in eine verständnisvolle Grimasse. Obwohl farbbeschmierte Leinwände für sie eigentlich eher in die Kategorie Umweltverschmutzung gehörten. Na ja, wenn es der Karriere ihres Sprösslings nutzte?

      Die Toilettentür flog auf, und Oberindianer Herzbaum stand erleichtert in der Öffnung. Zum erstenmal seit Wochen, so schien es mir, war der schwache grüngraue Glanz, den sein widerspenstiger Stuhlgang verursachte, von seinem Gesicht gewichen.

      »Nun aber ab ins Bett«, sagte er ungewohnt heiter. »Es ist schon weit nach Mitternacht.«

      8

      Zu den Merkwürdigkeiten meiner Begegnung mit Alexander Montag gehört eine kleine Anekdote, die sich etwa einer Woche nach meinem ersten Besuch in seiner Wohnung zutrug. Harald Piper Müller sah uns beide in einer Gemäldehandlung, als wir gerade den Rahmen für ein Blatt von Dürer aussuchten, das Montag mir geschenkt hatte.

      Er stürzte sofort mit jenem hämischen Grinsen auf mich zu, das wieder eines seiner teuflischen Spielchen verhieß, und hob eben zu einem beleidigenden Kommentar an – wahrscheinlich einem neuen Zitat aus meinem Tagebuch, das er noch nicht erprobt hatte –, als sich Montag langsam nach ihm umwandte.

      Und wie der Bullterrier, der auf Montag zugelaufen und zwei Meter vor ihm mit gesenktem Kopf und eingezogenem Stummelschwanz abgedreht war, schluckte Piper seine abfällige Bemerkung hinunter, als er Montags Blick sah. Er spuckte nur vor mir aus und sagte:

      »Wir sprechen uns noch, Herzbaum. Deine schweinischen Bemerkungen über meine Schwester werden nicht ohne Nachspiel bleiben …«

      Ich wollte Montag erklären, wer der Bursche sei. Doch er wehrte nur mit einer Handbewegung ab, die jeden Kommentar überflüssig machte. »Es ist einer von den Kranken«, sagte er. »Das erkennt man an seinem Blick.«

      »Sie glauben, Piper sei krank?«

      »Die gefährlichsten Geisteskranken werden nicht in den Anstalten festgehalten, sondern befinden sich in Freiheit. Wir haben uns nur so an ihre Geistesstörungen gewöhnt, dass wir ihr Verhalten für normal halten.«

      »Aber wie haben Sie Piper in die Flucht geschlagen? Das hat noch keiner geschafft. Er terrorisiert mich, er versucht mich fertigzumachen …«

      »Begegne ihm einfach mit Mitleid und Freundlichkeit wie einem ernstlich Kranken. Er ist zu bedauern, denn er hat noch ein schweres Leben vor sich, eine Bürde aus Angst und Aggressivität und vielen Fehlschlägen. Er ist nicht zu beneiden um sein bisschen Wut und Spott.«

      »Aber wie haben Sie das bloß gemacht, Montag?«

      »Er hat für einen Moment sein eigenes Gegenteil gesehen, sein mentales Spiegelbild.«

      Er hatte es in Montags Augen gesehen. Es ist diese erstaunliche Ausstrahlung und Kraft mancher Menschen, die mich auch heute noch – nachdem ich so viele klinische Untersuchungen über höhere Bewusstseinszustände durchgeführt habe – voller Demut eingestehen lässt, dass die Natur ein paar schwer durchschaubare Überraschungen für uns bereithält.

      Aber ich greife vor, und das sollte bei jemandem, der sich daran macht, einige für das Überleben der Menschheit bemerkenswerte Dinge mitzuteilen, durchaus mehr als nur ein rhetorischer Fehler sein.

      Am Tag nach meinem Besuch saß Montag wieder mit geschlossenen Augen auf seinem Platz an der Wand, dem Narrenschiff von Hieronymus Bosch gegenüber. Diesmal nahm ich einfach einen Stuhl und setzte mich neben ihn. Durch den Eingang zum nächsten Saal konnte ich einen der anderen vier Museumswächter sehen. Er war etwas kleiner als Montag und trug ein schmales Menjoubärtchen über der Oberlippe. Seine großen Ohren standen soweit ab, dass er einem dieser kleinen, aufmerksamen Coyotenjunde ähnelte, die ich im Zoo gesehen hatte.

      Immer wenn ich das Museum betrat, verfolgte er mich wie einen potentiellen Dieb. Er konnte sich wohl nur schwer vorstellen, dass jemand der Kunst soviel Interesse entgegenbrachte. Verließ ich das Gebäude, war er prompt zur Stelle, um mit argwöhnischen Blicken zu prüfen, ob ich nicht vielleicht einen aus dem Rahmen geschnittenen alten Meister unter meiner Jacke trug.

      Ein müßiges Unterfangen: laut Beschreibung im Ausstellungskatalog war das Museum, was seine Sicherungsanlagen anbelangte, auf dem neuesten technischen Stand.

      Die Oberfläche einer Leinwand auch nur mit den Fingerspitzen zu berühren, hätte augenblicklich einen schrillen Alarm im Gebäude und auf der zuständigen Polizeiwache ausgelöst. Dann schlossen sich die Gitter an den Fenstern und der Eingangspforte über ein Zeitschloss.

      Es gab keine Möglichkeit, diesen Stromkreislauf abzuschalten. Er arbeitete mit Infrarotsensoren und war dreifach gesichert: über das öffentliche Stromnetz, den hauseigenen Generator und Akkumulatoren in Tresorraum des Kellers. Hätte irgendein Schlaumeier von Einbrecher die stromführenden Leitungen durchknipsen wollen, so wäre er augenblicklich durch denselben Mechanismus im Museum gefangen gewesen.

      Der Bau sei besser gesichert als die amerikanischen Staatsgefängnisse für Todeskandidaten, pflegte Montag zu sagen. Eigentlich wären die fünf Wächter im Museum nur noch ein verschwenderisches Relikt aus alten Zeiten, eine Konzession an die Versicherungsgesellschaften.

      »Und sind Sie schon zu einem Schluss gekommen?«, fragte ich, als er keine Anstalten machte, seine Augen zu öffnen.

      »Zu welchem Schluss?«

      »Sie wollten doch prüfen, ob ich für Ihre ‘Reise’ geeignet sei?«

      »Anscheinend ist es dir wirklich ernst damit?«

      »Was Sie sagen, macht mich wirklich neugierig.«

      »Gut, gut … Neugier ist ein guter Anfang«, erklärte er lächelnd. »Aber erst ein Anfang. Die Reise, von der ich rede, wird nicht leicht sein. Sie ist über lange Strecken sogar recht beschwerlich. Oft gehen wir dabei drei Schritte vor und fünf zurück. Da die meisten Menschen mit vierzehn Jahren aufgehört haben zu denken, ist es manchmal schwierig, die richtigen Schlüsse aus dieser Erfahrung zu ziehen.«

      »Und wie sieht Ihre Prüfung aus?«

      »Es ist ein kleiner Test. Wir benutzen eines der Gemälde dafür, Boschs Garten der Lüste. An deiner Interpretation des Bildes kann ich erkennen, ob deine Fähigkeit zur Introspektion schon weit genug ausgebildet ist. Erinnerst du dich noch, was ich gestern über die Urteilsfähigkeit gesagt habe?«

      »Der Garten der Lüste ist eines meiner Lieblingsbilder.«

      »Um so aussagekräftiger wird deine Interpretation sein.«

      Wir gingen in die benachbarte Halle, wo Boschs Triptychon hing. Schreiber, der Bursche mit dem Menjoubärtchen, erhob sich überrascht von seinem Stuhl, als er uns kommen sah. Ich hatte Alexander Montag noch nie mit einem seiner Kollegen reden sehen. Jetzt, als er ihm zunickte, glaubte ich fast so etwas wie Unterwürfigkeit im Blick des anderen zu erkennen. Er verdrückte sich sofort in den hinteren Teil der Halle wie

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