Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

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Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt

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gewesen. In diesem Stadium des Bewusstseins sind wir immer Opfer unserer Gedanken.

      Dornenvogel hatte meinem Vater nach dem ersten finanziellen Desaster den Vorschlag gemacht, die Produktion von Betongerippen auf eine kostengünstigere Herstellung umzustellen. Er stehe in Verbindung mit einer kleineren thailändischen Firma, die Bauelemente für den asiatischen Markt produziere. Ihre Maschinen stammten aus der Volksrepublik China. Der Bruder des Fabrikanten arbeite als Baudezernent im Ministerium. Er rechnete ihm vor, dass sich die Kosten dabei um fünfundzwanzig Prozent senken ließen. Und mein Vater, dieser Oberhäuptling der Idioten, murmelte tatsächlich: »Hört sich gut an, klingt plausibel.«

      Er hatte einen hundsgemeinen Respekt vor Dornenvogels Steuertricks. Also nahm er in falschem Umkehrschluss an, sein Kompagnon sei auch ein guter Kaufmann.

      Oft saßen sie ganze Nächte lang in der Dachetage des Hochhauses, und Dornenvogel demonstrierte ihm an langen Ausdrucken, die Bleistiftspitze auf den Zahlenkolonnen, wo das Geschäft lag. Es war immer unsichtbar, es existierte nur in ihrem Geiste.

      Man musste es erst durch lange Rechen- und Gedankenoperationen ermitteln, so wie die alten Philosophen die Existenz Gottes aus Begriffen erschlossen hatten. Dornenvogels leidender Gesichtsausdruck erinnerte mich an Ludwig Wittgenstein. Aber er besaß eine ordentliche Verdauung, und das belegte in den Augen meines Vaters, dass sein Körper und seine Seele intakt waren.

      Von der vierzehnten Etage aus konnten sie die Stadt und das umliegende Land überblicken. Das schwache blaue Licht der beiden Lampen auf ihren großen Palisanderholzschreibtischen gab ihren nächtlichen Sitzungen einen verschwörerischen Anstrich. Völlig klar, dass das Leben von dieser Warte aus wie eine unendliche Baustelle wirkte, ein unermessliches Feld, um Bauelemente aus Betongerippen aufzutürmen und der Welt ein neues Dach über dem Kopf zu geben.

      Anja studierte unterdessen nach Vorlesungsschluss moderne Tänze bei ihrem Professor, einem jungen Musikwissenschaftler. Van der Held war früher Europameister in Leichtathletik gewesen und betrieb eine Art Gymnastik oder Taekwon-Do, das nicht im normalen Lehrplan vertreten war – »eine revolutionäre neue Art des Tanzes«, wie er es nannte – , und dabei traf er sie mit seinen Tritten oft am Schlüsselbein und unter der Brust.

      Eine verklemmte Form der Annäherung, nahm ich an. Ich hatte ihn einmal mit ihr im Café gesehen, da turtelten sie wie die Tauben auf dem Markusplatz. Meiner Meinung nach war er furchtbar verknallt in sie. Immerhin schien Anja nach diesem schweißtreibenden Studium völlig die Lust an ihren wimmernden Schnulzen aus Michael Jacksons elektronischen Musiklabors verloren zu haben. Es wurde totenstill im Haus.

      »Sag mal?«, erkundigte sich meine Mutter. »Was ist eigentlich los mit euch beiden?«

      »Mit uns? Mit mir ist alles in Ordnung, was mit deinen anderen Kindern los ist, weiß ich nicht.«

      »Du läufst durch die Gegend wie in Trance, als hättest du was an den Augen? Und Anja ist plötzlich so still geworden?«

      »Oh, das sind wahrscheinlich nur die gewöhnlichen Entwicklungsschübe bei uns Pubertierenden.«

      »Wie klappt’s denn mit den Nachhilfestunden?«

      »Ausgezeichnet. Wir behandeln gerade die Fresnelsche Zonenkonstruktion, die auf dem Huygensschen Prinzip beruht.«

      »Die Fresnelsche … aha.«

      Dank Karolas Hilfe verdrückte ich mich nach solchen Kontrollgesprächen problemlos ins Museum. Meine Erzeugerin – dieses altmodisch taktvolle Wesen – hätte niemals die Aufdringlichkeit besessen, sich an Ort und Stelle von meinen Fortschritten in der Theorie der Fresnelschen Zonenkonstruktion zu überzeugen.

      Was Karola in ihrer unfreiwilligen Freizeit trieb?

      Ich war irgendwann in ihr Zimmer geplatzt, und da lag sie auf ihrem Bett, einen Stapel uralter Modezeitschriften mit aufgefalteten Schnittmusterbogen neben sich, die meine Mutter seit ihrem vierzehnten Lebensjahr sammelte …

      Mir klangen Montags Fragen noch deutlich im Ohr, als ich das Nationalmuseum betrat. Seitdem ich mit neuneinhalb Jahren die Welt des Geistes entdeckt hatte – das war eine Taschenbuchschwarte über Leibniz’ Monadologie gewesen, von der ich so gut wie nichts verstand –, hat mich die Magie der Begriffe nie wieder losgelassen.

      Auch heute noch, als Arzt und Lehrer, finde ich es immer wieder überraschend, welche andere Realität hinter den ordinären Erscheinungen verborgen liegt, wie tief das Instrument des Geistes reichen kann, wenn wir uns seiner nur mit dem nötigen Scharfsinn bedienen und uns nicht im Dickicht der Begriffe und falschen Schlussfolgerungen verheddern.

      An diesem Tag war die Gemäldegalerie ein Tohuwabohu aus durcheinanderwirbelnden Schülern der dritten Klasse. Die Museumswächter hatten eine geschlossene Kordelabsperrung um sie gebildet, die sie in den Händen hielten, um sie wie eine Herde ungestümer junger Schafe von den Bildern fernzuhalten und gleichzeitig von einem Raum zum anderen zu treiben.

      Ich musste eine volle halbe Stunde warten, bis der Spuk vorüber war. Doch auf Montags Gesicht zeigte sich nicht die geringste Spur von Ungeduld oder Erschöpfung.

      »Du hast über meine Fragen nachgedacht, Marc?«

      »Es scheint so, als wenn die Gefühle den Dingen eine Art – na, ja … eine Art Wertprofil verleihen?«

      »Hm, was lässt dich bei der Antwort zögern?«

      »Wenn sie den Wert der Dinge ausmachen – und was sollte ihn eigentlich sonst ausmachen? –, dann scheint im Leben alles von den Gefühlen abzuhängen?«

      »Ja, ausgezeichnet. Die Gefühle haben also die Funktion, den Dingen ihren Wert zu verleihen? Und weiter?«

      »Mit den beiden Hauptkategorien meinen Sie vermutlich, dass sie positiv oder negativ sind?«

      »Sie sind sogar die einzigen Qualitäten im uns bekannten Universum, denen diese besondere Eigenschaft zukommt, das wichtigste Faktum nach Materie, Energie und Bewusstsein. Man glaubt vielleicht, dass auch Dinge – ein Hammer als Werkzeug, ein Gesetz, das uns vor Verbrechern schützen soll, ein Fahrzeug, das uns ins Krankenhaus befördert, eine Operation, die unser Leben rettet – positive Qualitäten haben könnten.

      Aber solche positiven Qualitäten – als Mittel – sind immer nur abgeleitet. Am Ende der Kette muss die positive Gefühlsauszeichnung stehen, das, was sich in der Attraktivität des Gefühls zeigt. Ohne sie wären die Mittel nichts oder nur eingebildet.«

      »Und warum ist das wichtig?«, fragte ich.

      »Weil es viel mehr Folgen hat, als man auf den ersten Blick übersieht. Du wirst deine Reise nach innen nie erfolgreich antreten können, wenn dir diese fundamentale Einsicht fehlt.«

      Ich dachte, dass er mir nun erläutern würde, welche Bewandtnis es damit hatte. Aber Montag schwieg, offenbar in der Annahme, dass ich schon die richtigen Fragen stellte, und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.

      Seine Hände spielten mit einer der getrockneten Blumen, die in der Vase auf dem Boden neben ihm standen. Diese Blumen – ein großer Strauß bunter Feldblumen – hatten irgendeinen Zweck, sie waren mir schon früher aufgefallen. Manchmal zerkrümelte er die Blüten mit den Fingerspitzen, dann bedeckte der feine Staub seine Hosenbeine und den Boden um ihn her, und seine bewegungslose Gestalt bekam ein wenig vom Aussehen eines Buddhas, den die Gläubigen mit mitgebrachten Blüten bestreut hatten.

      »Ich

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