Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

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Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt

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zu wissen – fest entschlossen, seine Reste in Form von versteinernden Exkrementen bei sich zu behalten.

      »Dass viele Gefühle nicht bewusst, sondern unterbewusst sind, also am Rande des Bewusstseins liegen und uns auf unkontrollierte Weise steuern, kann man sich leicht an einem Vergleich klar machen«, fuhr Alexander Montag fort.

      Wir hatten uns in die oberen Räume der Galerie zurückgezogen, weil wir den Busladungen von Besuchern entgehen wollten, die sich am vorletzten Wochenende zur Wanderausstellung Hieronymus Boschs eingefunden hatten.

      »Stell dir vor, du liegst wach im Bett, Marc. Nach einer gewissen Zeit wirst du dich bewegen und deine Haltung verändern. Vielleicht drehst du dich vom Rücken auf die Seite, oder umgekehrt? Was ist der Grund dafür?«

      »Schwer zu sagen. Eine Art Reflex?«

      »Es ist oft ein feines Unbehagen, das sich eingestellt hat. Meist denken wir nicht bewusst: Jetzt fühle ich mich schlecht, ich sollte mich bewegen, sondern reagieren auf eine unterschwellige Erfahrung. Genau besehen sind wir in diesem Zustand Marionetten: negatives Gefühl – bewegen! Positives Gefühl – liegen bleiben! Auf ähnliche Weise verbindet sich das Gefühl mit den übrigen Wahrnehmungen.«

      »Ist das denn ein Problem?«, fragte ich.

      »Nicht unbedingt. Zur Gewohnheit gewordene Reaktionen nehmen uns viel Arbeit ab. Aber was, wenn dabei Verhaltensweisen erlernt werden, die uns schaden?

      Dann sind wir ein Leben lang in diesem Reaktionsmuster gefangen. Es kann weder verändert noch beseitigt werden. Das ist ein Zustand von Unfreiheit, und Unfreiheit heißt immer Leiden.« Montag machte eine Pause und sah mich erwartungsvoll an. »Was bedeuten alle diese Einsichten für dich, Marc?«

      »Sie meinen, ob ich verstehe, worum es geht?«

      »Nein, was ist es in deinen Augen? Nur ein intellektuelles Spiel? Ein Zeitvertreib? Die Welt ist voller Geschwätz, nicht wahr? Wir füllen riesige Bibliotheken damit.«

      »Es ist kein Spiel, nein …«

      »Hast du begriffen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, diesem allgegenwärtigen Geschwätz zu entgehen? Es kommt nicht auf das an, was wir denken oder glauben, sondern auf die Erfahrung. Lügen, Illusionen, Spekulationen verschwenden nur Zeit und Energie. Dann hat man sein Leben auf Sand gebaut. Das ist eine sehr schmerzliche Erkenntnis.«

      »Aber glaubt denn nicht jeder zu wissen, wo es langgeht?«

      »Deshalb rede ich von der authentischen Erfahrung. Unser Erziehungssystem lehrt uns viele Dinge, doch dabei übersieht man leicht das Wesentliche. Morgen Abend werde ich dir ein Werkzeug, ein Fahrzeug geben, mit dem du dich dieser inneren Wahrheit annähern wirst.«

      »Und warum tun Sie das alles für mich?«, fragte ich.

      »Weil ich dir helfen will, jene Holzwege zu vermeiden, die Menschen in deinem Alter in die Irre führen. Niemand auf der Welt kann voraussagen, was du aus dieser Erfahrung machst. Nutze ihre Möglichkeiten, nutze deine Freiheit! Ich werde zur Stelle sein, um dich auf deinem Weg zu begleiten, falls du das wünschst. Morgen Abend um acht Uhr in meiner Wohnung …«

      11

      In meiner Praxis gehen sie heutzutage ein und aus: all die Irregeleiteten vom Schlage meines Vaters, die festzuhalten versuchen, was man gar nicht festhalten kann, und seien es die eigenen Exkremente; die Blinden, die zwar über ihre Nasenspitze hinausschauen, aber nicht wirklich sehen wollen.

      Viele alte Bekannte sind darunter. Selbst meine Schwester Anja verschmäht es nicht, ihrem berühmten Bruder ihre Aufwartung zu machen, um sich Rat zu holen.

      Manche würden sich nie als Patienten bezeichnen. Ihr Leiden ist es, nichts erkannt und nicht gewählt zu haben. Die ursprüngliche Wirklichkeit wird immer ein Mysterium für sie bleiben. Sie schwimmen wie Fische in ihrem Aquarium, exotisch und bunt, hübsch anzusehen, aber vom Meer getrennt.

      Sie kommen zu mir und sagen: »Heilen Sie mich von meinen Leiden, Doktor! Irgend etwas in meinem Solarplexus, und dann diese Kopfschmerzen. Mir geht’s wieder mal dreckig. Keine Ahnung, woran das liegt.«

      Ich war mit neunundzwanzig Jahren der jüngste Universitätsprofessor in einem Fach, dem die traditionelle Psychologie und Psychiatrie lange Zeit ihre Anerkennung versagte. Doch seitdem häufen sich die Ergebnisse, und sie weisen auf einen viel weitreichenderen Einfluss unserer Gedanken auf das soziale Umfeld und das eigene Schicksal hin, als man zu Zeiten der Hypnose und Freuds Vorstellungen vom Unbewussten glaubte. Nun geben sich sogar Menschen in meiner Praxis die Klinke in die Hand, denen der Gang in die Kirche oder zu einem esoterischen Wunderheiler noch drei Atemzüge vor ihrem Tode zuviel Metaphysik gewesen wäre. Ich rede sowenig vom Jenseits, wie es mein Lehrer Alexander Montag tat. Ich rede weder von Reinkarnation, noch von Spekulationen über höhere Bewusstseinszustände, sondern von der Erfahrung höherer Bewusstseinszustände. Ich rede nicht einmal von Gott. Und trotzdem verlassen die Menschen meine Praxis und mein Institut als Geläuterte. Ich behaupte, dass es niemanden gibt, der nicht von diesem Wissen profitieren kann. Und die Erfahrung gibt mir recht. Es handelt sich weder um Glauben oder Spekulationen noch um irgendeine Art von Ideologie. Es handelt sich nicht einmal um die Hoffnung, an der es uns so oft mangelt …

      Und all das hat mich ein einfacher Museumswächter gelehrt, der viele Tage lang auf seinem Stuhl saß, die Augen geschlossen, wenn es die Situation erlaubte, um sein Inneres zu erforschen, um ein paar einfache Erfahrungen und Tatsachen in ebenso einfache Begriffe zu fassen.

      Doch als ich an jenem Abend Alexander Montags Wohnung betrat, ahnte ich von dieser Wende in meinem Leben noch so wenig wie ein junger Hund, dem man ein neues Dressurstück beibringt. Ich war neugierig und verspielt, ich witterte allenfalls, dass es dort irgend etwas gab, das der Mühe lohnte.

      Montag bedankte sich für die Blumen, die ich ihm mitgebracht hatte und stellte sie in eine handbemalte chinesische Vase. Dann führte er mich in einen Raum, den ich bis dahin noch nicht gesehen hatte. Er war in dezentes, warmes Licht getaucht und roch nach Sandelholz. Anders als in den übrigen Zimmern gab es hier keine vollgestopften Buchregale. Die Wände waren mit einer schlichten Basttapete beklebt. Ich sah keine Bilder oder Fotos, geschweige denn Heiligenfiguren. In der Mitte des Raumes standen drei einfache hölzerne Stühle.

      »Wähle den Platz, der dir am besten zusagt …«

      Da die Stühle gleich aussahen, setzte ich mich so, dass ich das Fenster sehen konnte.

      »Eine gute Wahl. Man hat herausgefunden, dass sich die Richtung nach Osten am besten dafür eignet.«

      »Nach Osten? Hört sich ziemlich mystisch an?«

      »Nein, es ist nicht mystisch. Es ist nur ein einfacher Erfahrungswert.«

      Er hatte mich gebeten, an diesem Abend nichts zu essen, deshalb knurrte mir ein wenig der Magen.

      »Das Fahrzeug, das ich dir geben werde, ist ein Wortklang, ein sogenanntes Mantra«, sagte Montag, während er sich auf den anderen Stuhl setzte. »Im Unterschied zu gewöhnlichen Worten hat ein Mantra keine Bedeutung für uns. Die Technik zu seinem Gebrauch ist – von einigen Vereinfachungen abgesehen – nicht neu und stammt aus den religiösen Traditionen Indiens. Doch im Kern beruht sie weder auf religiösen noch auf weltanschaulichen Vorstellungen. Es ist nicht nötig, an irgend etwas zu glauben, wenn man sie ausübt.

      Genauso

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