Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

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Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt

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mechanisch. Es geht nur darum, den Boden vorzubereiten.«

      »Sie reden von Meditation, oder?«

      »Meditation allein würde nicht ausreichen. Man hat zu allen Zeiten mentale Techniken gelehrt, aber der Erfolg war oft begrenzt. Die meisten dieser Methoden sind konzentrativ. Viele Lehrer – ganz zu schweigen von ihren Schülern – wissen gar nicht, dass es auch Techniken gibt, die keine Konzentration erfordern. Konzentrative Techniken wollen mit Gewalt erreichen, was natürlich fließen sollte.

      Aber selbst die wirksamste Meditationstechnik ist lediglich vorbereitend und schafft eine gewisse mentale Verfassung, um unser Alltagsbewusstsein zu verwandeln. Auch wenn du zu den wenigen Glücklichen gehörst, die durch die kontinuierlich werdende Wahrnehmung des Selbst, das sich von der Handlung und den übrigen Wahrnehmungen als getrennt erfährt, mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit eine andere Bewusstseinsebene erreichen, sollte möglichst bald eine Periode des Erkennens, vor allem der Hauptprinzipien des Lebens und des Bewusstseins einsetzen, um Automatismen und negativen Einstellungen zu erkennen und das bisher Gewonnene durch Begriffe zu festigen.

      Danach folgt die Wahl, das Setzen jener positiven Entscheidungen, die dein künftiges Leben bestimmen.«

      »Sie meinen, durch Suggestion oder Hypnose?«

      »Nein, das wären Taschenspielertricks. Wir gaukeln uns nicht vor, wir seien Könige, wenn wir Bettler sind. Alles, was geschieht, ist deine freie Entscheidung. So, wie du dich auch in allen anderen Bereichen frei entscheidest, falls die Möglichkeit dazu besteht.«

      Montag erhob sich von seinem Stuhl und schloss das winzige Fenster zum Innenhof, obwohl von draußen kaum Geräusche zu hören waren. Nur das einförmige, sehr leise Klappern eines weit entfernten Kühlaggregats.

      »Ich werde dir jetzt dein Mantra und dann die Regeln zu seinem Gebrauch geben«, sagte er, als er sich wieder gesetzt hatte. »Es ist sehr wichtig, dass du diese Anweisungen genau befolgst. Bitte sprich mir halblaut nach: Shi-ring ...«

      Ich wiederholte das Wort.

      »Ja, sehr gut. Die Betonung liegt auf der zweiten Silbe, hm? Man wiederholt das Mantra zweimal täglich eine Viertelstunde lang in Gedanken und mit geschlossenen Augen. Bevor du anfängst, nimmst du eine bequeme Sitzposition ein, am besten in einem ruhigen, abgedunkelten Raum.

      Du lässt dir etwa zwei Minuten Zeit, ehe du mit der Wiederholung beginnst. Während dieser Phase, wie auch die ganze Meditation über, ist es sehr wichtig, den Gedanken und Gefühlen völlig freien Lauf zu lassen, gleichgültig, ob sie angenehm oder unangenehm sind. Das ist eine der beiden Hauptregeln. Gedanken und Gefühle kommen und gehen. Sie werden nicht ernst genommen, nicht analysiert, sondern einfach stehengelassen. Nach der Vorbereitungsphase beginnst du in Gedanken das Mantra zu wiederholen.

      Und nun kommt das Wichtigste, die zweite Hauptregel: Dem Mantra wird keinerlei Gewalt angetan, es wird ihm keine bestimmte Form und kein bestimmter Rhythmus aufgezwungen. Jede Form – ich wiederhole: jede –, in der das Mantra erscheint, wird zugelassen, ob deutlich oder undeutlich, fein oder grob. Wir versuchen nicht, das Mantra deutlich zu denken.

      Dein Verstand gibt gewissermaßen nur den Impuls zum Entstehen des Wortklangs – als drehe man einen Zündschlüssel im Schloss, und der Motor beginnt zu laufen –, lässt aber der Form genauso freien Lauf wie den übrigen Gefühlen und Gedanken.

      Es mag sein, dass deine Aufmerksamkeit vom Mantra abschweift und sich anderen Objekten zuwendet.

      Das ist kein Fehler, sondern ein natürlich Prozess, bei dem Energien, of negative Energien, gelöst werden. Wir tadeln uns nicht dafür, sondern kehren einfach wieder zum Mantra zurück.«

      Er schwieg und sah mich aufmerksam an.

      »Man konzentriert sich also auf das Mantra?«, fragte ich. »Und wozu?«

      »Nein, Konzentration hieße Anstrengung, um beim Mantra zu bleiben. Man würde dem Wort eine Form aufzwingen oder es in einem bestimmten Rhythmus wiederholen, beispielsweise an den Atem gebunden.

      Die Folge wären innere Spannungen. Der Prozess, den ich beschreibe, ist das genaue Gegenteil davon. Wir lassen jeden Gedanken zu und kehren auf leichte und natürliche Weise zum Mantra zurück, sobald wir eine Ablenkung bemerken. Die Betonung liegt auf leicht und natürlich

      »Ich glaube, ich verstehe. Hat es irgend etwas mit der freien Assoziation in der Psychoanalyse zu tun?«

      »Wir halten uns nicht mit der Analyse von Gedanken auf. Es genügt, allen Wahrnehmungen freien Lauf zu lassen. Gedanken sind oft mit Emotionen oder Gefühlen besetzt. Eine der vielen Wirkungen dieser Technik – allerdings nur eine – ist ein tiefgreifender Prozess der Desensibilisierung oder Desensitivierung. Desensibilisierungstechniken werden in der modernen Psychologie eingesetzt, um Patienten von Phobien zu befreien.

      Aber Desensibilisierung kann viel weiter gehen. Im gewöhnlichen Bewusstsein bist du die Angst, das negative Gefühl, der bindende Gedanke. In dem Bewusstsein, das sich durch Meditation entwickelt, wird auf leichte, natürliche Weise eine Trennung, eine Absonderung des Selbst vorgenommen.

      Was bedeutet hier Trennung? Es ist kein Verlust, sondern so etwas wie eine Gegenüberstellung, keine Flucht, sondern das Gegenteil von Verdrängung. Wo sonst nur eines war, sind jetzt zwei.

      Da du das Mantra in der Meditation nicht nur einfach wiederholst, sondern ihm auch seine jeweils eigene Form zubilligst, entsteht eine Distanzierung zum Objekt deiner Aufmerksamkeit – so wie sich dann im Alltag ein Heraustreten aus dem Gefühl und Gedanken entwickelt, denn die Struktur ist dieselbe.

      Die winzige Kontrollinstanz, die zulässt, was passiert, schafft eine neue Qualität! Sie organisiert das Bewusstsein um und gelangt in immer feinere Bereiche des Fühlens und Denkens. Du versinkst nicht im Mantra, löst dich nicht in ihm auf, um zu ‘vergessen’. Das wäre ein Missverständnis. Denn versinkst du nur in ihm, wirst du eins mit ihm, kann sich das Selbst als Gegenüber nicht herausbilden.

      Weil dieses Gegenüber von Subjekt, also dem Selbst, und Objekt, dem Mantra – oder auch Gedanken und Gefühlen wie zum Beispiel einer Angst oder einem beliebigen anderen Problem –, angenehm ist, versucht das Bewusstsein nach und nach, den beglückenderen Zustand der Distanzierung und Befreiung in den Alltag zu übertragen, und zwar auf natürliche Weise, ohne Vorsatz und Anstrengung. Genauso, wie wir auch in der Meditation nichts anstreben, außer ein paar einfache mentale Regeln zu praktizieren. Nämlich das Loslassen, das Zulassen, die unkonzentrative Zuwendung zu einem geeigneten Objekt.

      Wir streben also keine bestimmte Verfassung des Bewusstseins an, wie sie durch diese Erklärungen beschrieben wird. Wir wissen von ihr, mag sein, aber wir messen das Ergebnis unseres Meditationsprozesses nicht daran.

      Und das Bewusstsein entdeckt dabei, dass dieser Zustand nicht nur angenehmer, sondern auch intelligenter, erfolgreicher und kreativer ist. Er ist friedlicher, weniger gewalttätig, toleranter, mitfühlender.

      Es ist wichtig, die ungeheure Kraft des Prozesses zu verstehen.

      Wenn wir kein intellektuelles Verständnis dieser Entwicklung oder keine Erinnerung mehr daran besitzen, wird unsere Entdeckung wieder verloren gehen. Desensibilisierung ist nicht nur, wie manche Psychologen glauben, eine Gewöhnung an immer größere Portionen von Angst oder eine Koppelung von Entspannung und Problem, sondern es gelingt uns, dieses Gegenüber von Selbst und Angst, ja von jeder Art negativer Emotion, zuzulassen, wann immer es erforderlich ist – das Kennzeichen eines hochentwickelten Bewusstseins!«

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