Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

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Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt

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      »Das würde mir nicht im Traum einfallen.«

      »Mein Bruder behauptet, ich müsse mich vor dir in acht nehmen?«

      »Dein Bruder ist ein Scheusal. Warum bildest du dir nicht dein eigenes Urteil über mich?«

      »Weshalb sollte ich?«

      »Weil wir zusammengehören. Was hältst du davon, nach der Schule mit mir Eis zu essen?«

      »Jetzt, im Winter?«

      »Dann trinken wir eben einen Cappuccino.«

      »Einen gemeinsam oder zwei?«, fragte sie und blickte mich auf diese freche oder spitzbübische Weise an, die ich damals noch nicht recht zu deuten verstand.

      In diesem Moment vergaß ich völlig Montags Ratschlag. Die silberne Spange, die ihr Stirnband hielt, öffnete sich durch die vereinnahmende Kraft meines Blicks und fiel zu Boden. Ich hob das Band auf und berührte mit der Schulter wie unabsichtlich ihren Arm, als ich mich aufrichtete.

      »Soviel du willst …«

      »Einverstanden«, sagte sie zu meiner Überraschung und band sich mit beiden Händen – himmlischen schlanken Händen voller winziger blasser Sommersprossen – ihr rotes Haar zusammen, während sie die Spange zwischen ihren makellosen weißen Zähnen hielt. »Wo?«

      »Hinter dem Block ist ein italienische Café.«

      »Gut, sagen wir um zwei?«

      Ich sah ihr ungläubig nach, wie sie ihren schönen jungen Körper einer schwebenden Göttin gleich über den Schulhof bewegte. Unter den sehnsüchtigen Blicken einiger pubertierender Knilche, die es nicht mal im Traum gewagt hätten, sie das Gleiche zu fragen wie ich!

      Was war passiert? War sie meinem Silberblick verfallen? Wirkte Montags Gefühlsbetrachtung vielleicht wie ein Zauber? Wieso fand ich plötzlich den Mut, sie einzuladen?

      Piper und seine Schwester wohnten mit ihrem Onkel in einem Haus auf den Hügeln der Stadt. In der Klasse nannte man es nur das Hitchcock-Haus, weil es so düster und unheimlich aussah, obwohl Pipers Vater, ein ehemaliger Handelsvertreter, seine Frau und die anderen Kinder gar nicht in diesem Haus, sondern in dem weißgestrichenen Gartenhaus etwa dreißig Meter nördlich davon erschlagen hatte.

      Manchmal glaubte ich das ängstliche Flackern in Anne-Maries Blick bei dem Gedanken zu erkennen, dass sie seinem Anschlag nur knapp entronnen war. Man sagte, er sei kurz vor der »Vollendung seines Werkes« zusammengebrochen, er hatte in der geschlossenen Anstalt Selbstmord begangen.

      Als ich Anne-Marie nach dem Café nach Hause begleitete, war ihr Bruder gerade Schlittschuhlaufen – ich hoffte, er versank dabei für immer im Eis –, und ihr Onkel Martin befand sich auf einer Studienreise in Italien. Sie hatte ein reizendes rosagestrichenes Zimmerchen im Hitchcock-Turm, das nach Jasmin duftete.

      Es gab kein einziges Plakat von Schauspielern oder Sängern an den Wänden – keinen einzigen dieser schwülstig dreinblickenden Burschen in hautengen Lederhosen. Das fand ich beruhigend.

      »Magst du Spaghetti?«, fragte sie. »Meine Spaghetti sind überall berühmt.«

      »Ich bin der größte Liebhaber von Nudelgerichten außerhalb Italiens«, log ich, um ihr eine Freude zu machen. In Wirklichkeit verabscheute ich Spaghettis, weil die rote Soße beim Essen unweigerlich auf meinem Hemd landete.

      Es sah ganz reizend aus, wie sie in der Küche mit einem schwarzen Lederschürzchen hantierte, das nur knapp ihre weißen Oberschenkel bedeckte. Die Spaghetti wurden dampfend in ein Sieb geschüttet. Lediglich die vielen schwarzen Gegenstände im Haus – dazu gehörte auch ihre schwarze Lederschürze – machten mich etwas stutzig. Im Wohnzimmer an der Wand hing eine schwarze Reitpeitsche; nun gut.

      Die Aschenbecher, die Untersetzer, selbst die Kerzen waren schwarz, die Tischplatte bestand aus schwarzem Marmor.

      Der Korridor war schwarz tapeziert. Auf den schwarzen Bodenfliesen lagen schwarze Kelims mit blassen Indianermustern. Nur der Kolben des Jagdgewehrs an der Wand über der Flurtreppe war aus dunkelbraunem Holz.

      »Wann denkst du, werden wir heiraten?«, erkundigte sie sich, während wir eine Flasche Chianti zu den Spaghettis leerten.

      Ich war so perplex bei dieser Frage, als hätte ich eine Marienerscheinung.

      »Du glaubst doch wohl nicht, dass wir gleich miteinander ins Bett gehen, ohne später zu heiraten, Herzbaum? Das mag sich altmodisch anhören, aber ich bin nun mal keine Nutte.«

      »Wer sagt denn, dass wir gleich miteinander ins Bett gehen?«

      »Ist es denn nicht das, was ein Junge und ein Mädchen tun, wenn sie eine Flasche Chianti getrunken haben?«

      »Schon – aber deswegen gleich heiraten?«

      »Heißt das etwa, du liebst mich gar nicht?«

      »Ich bin sogar rasend verliebt in dich«, widersprach ich, als ich das gefährliche Flackern in ihrem Blick sah. Das gleiche Flackern, nahm ich an, wie bei ihrem Vater, diesem verrückt gewordenen Handelsvertreter, als er mit dem Beil vor seinen Kindern gestanden hatte.

      »Dann lass es uns jetzt tun …«

      »Mit oder ohne Heiratsversprechen?«

      »Mit natürlich. Ich bin noch Jungfrau. Es ist das größte Geschenk, das ein Mädchen einem Jungen machen kann. Oder bist du tatsächlich impotent, wie in der Schule behauptet wird?«

      Damit sprach sie meinen empfindlichsten Punkt an.

      »Wer sagt das?«

      »Du selbst in deinem Tagebuch, oder?«

      Sie ging achselzuckend an die Schublade der Kommode und nahm mein Notizheft heraus. Es roch nach Jasmin wie ihr Zimmer im Turm, als sie es vor mir aufschlug und ihr himmlisch gebogener Zeigefinger suchend über die Zeilen rutschte. Ich las peinlich berührt, welchen Unsinn ich in meinem damaligen Zustand zu Papier gebracht hatte. Ich hatte den genauen Wortlaut schon vergessen.

      »Da steht nur, dass ich Schwierigkeiten mit meiner Nachhilfelehrerin wegen zu großer Präservative hatte«, widersprach ich.

      »Waren die Gummis zu groß oder dein Schwanz zu klein, Herzbaum?«

      Danach trug ich sie wie einer dieser großen starken Löwen in den Spielfilmen zu ihrem rosafarbenen Bett. Irgend etwas war bei ihren Worten von meiner Schädeldecke zur Zimmerdecke aufgestiegen und hatte sich im Äther verflüchtigt; ein Fluidum, der Geist der Zurückhaltung, vielleicht der letzte Rest meiner Skrupel und Hemmungen …

      In ihrem Zimmer gab es keinen einzigen schwarzen Gegenstand. Er schien eine Art Gegenwelt zu bilden, wie die Antimaterie im Universum. Die vorherrschenden Farben waren Beige, Weiß und Rosa. Es erleichterte mich ungemein, das zu sehen. Ich fand auch keinen Beweis dafür, dass sie wirklich noch unberührt war, weder den berüchtigten Blutfleck auf der Bettdecke noch irgend etwas anderes. Das passte zum Rest des Bildes, wie ich später erfuhr. Anne-Marie war mit der Größe meiner Schwellkörper durchaus zufrieden.

      Und mir fiel ein Stein von der Seele wegen meines Missgeschicks mit Karola. Ich war völlig gefangen

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