Präludien zu Hegel. Rita Kuczynski

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Präludien zu Hegel - Rita Kuczynski

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»Unsinnscollegium«. Das würden ihre Professoren begreifen und nicht verdächtig finden, zunächst. Das entsprach den Denkschablonen ihrer Lehrer, denn mehr als Unsinn trauten die meisten Professoren und Repetenten den Studenten ja doch nicht zu. Warum die Erwartungen der Stiftsleitung also unnütz übersteigen? Warum die Repetenten überfordern?

      Sich mit der alten Wirklichkeit nicht ganz entzweien. Klug handeln, sich anpassen, sich im Anpassen nicht anpassen, das war die Strategie der Stipendiaten. Verharmlosen, was eigentlich nicht harmlos ist. Öffentlich machen, was die Öffentlichkeit nicht erfahren soll, indem man die Nuancen etwas verdreht. Soll doch erst jemand kommen und beweisen, daß in diesem Klub nicht auch Unsinn getrieben wurde. Die Denkstrukturen der Vorgesetzten benutzen, um im Schein von Nichtigkeiten Wichtigeres zu vollbringen. Und so wußten dann nicht einmal die Repetenten – die unmittelbaren Aufseher der Studenten – etwas Wesentliches von diesem Klub, obwohl ihnen bekannt war, das da »eine Gesellschaft« existiere, »welche wöchentlich ein oder ein paarmal auf der Krankenstube oder einer Senioratsstube in der Abendrekreation mit allerlei lustigen Einfällen, u. Vorlesung komischer Gedichte u. prosaischer Aufsätze sich u. andere (die ums Geld den Zutritt hatten) die Zeit vertrieb. Man nannte diese Versammlung das Unsinnscollegium.« So wußten die Repetenten zwar von dem Klub, »denn man sprach ganz unverholen davon, vermutheten aber nichts anstössiges dabei, u. hielten (sich) nicht für berechtigt, eine unschuldig scheinende Freude der Stipendiaten, die nicht gerade mit Tumult verbunden war, zu stöhren«.10

      Das Maß an Gutgläubigkeit, das diese Repetenten aufbrachten, besaßen andere nicht. Und so kam es, wie es letztlich zu erwarten war in einer Stadt, in der es pflichtbewußte Bürger gab, die um der Ordnung willen alles hörten, alles sahen, in einem Ort, in dem der Herzog natürlich auch seine Spitzel hielt – die nun mal existieren, solange Regierungen sich fürchten vor ihrem Volk; es kam, wie es wohl kommen mußte, es kam heraus.

      Nach einigen Monaten erhielt das Konsistorium Privatbriefe, in denen es hieß: im Stipendium werden »Comoedien gespielt, welche irreligieusen und höchstprofanen Inhalts wären. Es existire ein Clubb, in welchem über Religion gespottet, u. verdiente Männer lächerlich gemacht werden. An öffentlichen Orten, in Wirtshäusern, werden von Stipendiaten Lästerungen über die Religion ausgestossen, Christus ein Betrüger genannt, mit Mahomed in eine Classe gesezt p.«11

      Sie hatten sich geschworen, ihr Geheimnis zu wahren. Sie hatten versucht, leise zu sprechen, und zeitweise gelang ihnen dies auch, vor allem im Stipendium, wo die Repetenten und Lehrer ständig in ihrer Nähe waren. Da schwiegen sie und zeigten ein fast zu argloses Gesicht. Aber das änderte sich, sobald sie draußen waren, außerhalb des Stifts, wo sie glaubten, lauter sprechen zu können über ihr Geheimnis. Lange konnten die Studenten ihr Denken und Tun also nicht geheimhalten. Dafür bedrängte es sie zu sehr; war ihr Zusammenschluß in diesem Klub doch ihr erster gemeinsamer Versuch, sich etwas einzumischen, um mitwirken zu können an der Gestaltung der Zeitgeschichte, die sich vor den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation als Weltgeschichte abzeichnete. Ihr Unterfangen überstieg ja bereits erheblich das Normalverhalten der deutschen Intellektuellen, indem hier Begeisterung umschlug in politisch organisiertes Handeln. Der Aufruhr im Tübinger Stift war die erste gemeinsame Rebellion der Studenten, ihre erste größere Empörung gegen eine Rolle, die ihnen aufgedrängt werden sollte: die Rolle der Zuschauer, der reflektierenden Beobachter in einer welthistorisch entscheidenden Situation. Denn es stimmt ja nicht, es ist ja nicht wahr, anzunehmen, daß es Menschen gäbe, die geboren werden als Zuschauer, als Beobachter, als Philosophen. Sie werden es, werden es vornehmlich dann, wenn die historischen Umstände eingreifendes Handeln nicht erlauben, objektiv, unabhängig vom Wollen der Einzelnen nicht erlauben. Die Bildung des Klubs war ja keinesfalls nur Ausdruck jugendlichen Tatendrangs, sie war doch vor allem Protest, eben weil die Studenten nicht gewillt waren, die Rolle der Zuschauer, der reflektierenden Beobachter widerspruchslos anzunehmen. Und weil es ihre erste gemeinsame Rebellion gegen die historischen Grenzen war, an die sich die Studenten noch nicht mit aller Notwendigkeit gebunden sahen, war sie dementsprechend naiv, ja angesichts anderer Versuche, zum Beispiel der Gründung der Mainzer Republik, im Grunde harmlos. Man studierte vor allem in diesem Klub, studierte die Theorien der Französischen Revolution, die nach Ansicht der Studenten das entscheidende Faktum für die revolutionären Veränderungen jenseits des Rheins waren, eine Illusion, die sie mit dem größeren Teil der bürgerlichen Intelligenz in Deutschland gemeinsam hatten.

      Was nach Bekanntwerdung der »revolutionären Umtriebe« im Tübinger Stift folgte, war abzusehen. Zunächst gab es neue, immer neue Briefe, die nun von Übertreibungen lebten, Übertreibungen frühzeitig durch die Umstände gealterter Bürger, die ihren Verhältnissen Spannung verliehen, indem sie das Leben anderer mitlebten, die mitmischten, sich einmischten, anonym natürlich, namenlos entsprechend ihrem eigenen Dasein. Es kamen Briefe mit Verdächtigungen und Denunziationen von Leuten, die erschrocken waren über ihre eigene Phantasie, über ihre eigenen Gedankengänge erschrocken und, um nicht selbst verdächtigt zu werden, andere verdächtigten. So gab man vor, »von sicherer Hand« zu wissen, »daß die Stimmung des Stipend. äusserst demokratisch sei, daß der Königsmord u. die Anarchie in Frankreich öffentl. gebilligt werden.«12 Peinliche Untersuchungen im Stift blieben nicht aus. Sie verliefen nach den bekannten Schemen: zunächst freundlich, mit jenem unverbindlichen Lächeln von Professoren und Erziehern, das Verständnis für die Studenten auszudrücken pflegt. Dann folgten Verhöre, in denen einzelne Stipendiaten und Repetenten »vertraulich, und mit aller Klugheit … ausgefragt« wurden.13 Auf diese Vertraulichkeiten folgten Repressalien und die Einführung der schon lange diskutierten Statuten für das Stift, denn der Herzog, dem das Tübinger Kloster in allem unterstand, legte nun mal »großen Werth auf strenge Ordnung und Gesetzlichkeit«, und »Autorität hielt er für das sicherste Mittel, sie zu bewirken.14 An Ordnung, wissenschaftlichem Ernst und Sittlichkeit fehlte es im Stipendium nach Ansicht des Konsistoriums schon lange, ehe die revolutionären Umtriebe der Stipendiaten bekannt wurden. »Eckel vor dem soliden, mühsamen Studio, oberflächliche Kenntnisse, Journalengelehrsamkeit, Verachtung der Theologie, Hang mit heterodoxen Meinungen zu prahlen, ohne sie geprüft zu haben … Erschlaffung und Trägheit, Hang zu Frivolität und Wohlleben, Geringschätzung der Gesetze, Unbotmäßigkeit, falscher Freiheitssinn, Mangel an praktischer Lebensklugheit, wenig Lebensart, entweder Blödigkeit oder Dreistigkeit, Abneigung gegen den geistlichen Stand, Wunsch, das nicht zu sein und zu scheinen, was man ist und sein sollte«, so hieß es in einem Gutachten über den Zustand im Stift schon zur Zeit, als Hegel sein Studium gerade begann.15

      Was die Studenten von den neuen Statuten zu erwarten hatten, artikulierte Hölderlin in einem Brief an seine Schwester: »… widersinnische, zwecklose Gesetze«, unter denen die »besten Kräfte zugrunde gehen« werden.16 Aber die Statuten kamen. Sie waren längst beschlossen. Der Herzog selbst begab sich ins Stipendium, um sie zu verkünden. Auf ihre Einhaltung wurde jetzt nach Bekanntwerden der revolutionären Umtriebe der Studenten mit Nachdruck geachtet, zumal sich die Stiftsleitung besorgter zeigte als der Herzog selbst, daß die neuen Statuten nun schon zu spät kamen, da viele Stipendiaten »von dem Freyheits Schwindel« bereits angesteckt waren.17 Diese Maßnahmen bewirkten zunächst bedrückende Ruhe im Stift. Aber notwendige Entwicklungen lassen sich nicht aufhalten durch Regeln und Verordnungen, das ahnten nicht nur Hegel, Hölderlin und Schelling, sondern auch viele andere Stipendiaten, darauf setzten sie ihr Vertrauen und ihre Zuversicht.

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