Präludien zu Hegel. Rita Kuczynski

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Präludien zu Hegel - Rita Kuczynski

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man abends, allein mit sich, »alle Magisters- und Doktors-Titel, samt hochgelahrt und hochgeboren« zum Teufel wünscht.5

      Was also tun? Auf keinen Fall aufgeben, auf keinen Fall resignieren, sondern nach Wegen suchen, weitersuchen, zumal Frankreich der alten Welt gerade zeigt, daß auch anderes, Neueres möglich ist. Also weitersuchen. Weitergehen und mit Klugheit handeln. Das Maß nicht überschreiten, wodurch den Stiftlern jegliche Möglichkeit des Wirkens genommen würde. Weiterlernen. Sich anpassen. Sich durch Anpassen nicht anpassen. Sich nicht ganz entzweien mit der deutschen Wirklichkeit, um ihre völlige Entzweiung vorzubereiten. Den Anmaßungen dieser Wirklichkeit ausweichen. Im Ausweichen diese Wirklichkeit angreifen. Den Anmaßungen, der Knechtung zuvorkommen, indem man gegen Scheinknechtungen nicht protestiert. Die erste Anmaßung aushalten, nicht protestieren, um der zweiten desto sicherer entgehen zu können. Den Angriffen der Stiftsleitung zuvorkommen, indem man sie durch Pseudoangriffe zwingt, die Reihenfolge ihrer Erziehungsmaßnahmen zu ändern. Geduld üben, indem man sich ungeduldig, ja hastig gibt und damit die Nerven der Professoren für Unwichtiges überreizt, so daß letztlich sie zugeben müssen, ohne Geduld reagiert zu haben. Sie bei Bedarf ablenken, umlenken, sie auf Dinge aufmerksam machen, die nicht wesentlich sind. Auf jeden Fall die Balance halten, sich nicht jede Möglichkeit der tätigen Wirkung nehmen lassen. Also Aufwand und Nutzen gut berechnen. Klug sein, nicht sprechen – so wahr es auch sei – wenn man nicht sicher ist, daß ein Zweck dadurch erreicht wird.6

      Sich mit der alten Wirklichkeit nicht ganz entzweien. Auch dann, wenn diese Wirklichkeit hauptsächlich verachtenswert ist? Auch dann. Denn wem nutzt es, auf Barrikaden zu gehen, hinter denen nichts zu verteidigen ist. Was sollten Revolutionäre revolutionieren in einem Land, in dem keine revolutionäre Situation bestand, in dem das Bürgertum, soweit überhaupt vorhanden, in Kleinstaaten zersplittert, ohne den für die Bürger so notwendigen einheitlichen Markt existierte? Wie sollten sie ihren Willen, ihr Interesse artikulieren, ständig bedrängt und beengt durch die örtliche Fürstenherrschaft, von der sie doch abhängig waren. In Deutschland bestanden die Bürger als einheitliche Klasse noch gar nicht. In Kleinstaaten blieben ihre Möglichkeiten zur Entfaltung gering.

      Aber die Studenten erwarteten etwas, und zwar mit wesentlich größerer Ungeduld als die Bürger in Deutschland. Sie hofften, daß die gewaltigen Veränderungen in Frankreich nicht ohne Auswirkungen auf Deutschland bleiben würden, daß alles nur eine Frage der Zeit sein werde. In ihrer Hoffnung wurden sie bestärkt durch den Verlauf des ersten Koalitionskrieges, vor allem durch den ersten Sieg der Franzosen bei Valmy über die Preußen. Denn soviel verstanden die Stipendiaten des Herzogs schon von Politik, daß sie wußten: Gewännen die Österreicher und Preußen diesen Krieg, würden schlimme Zeiten bevorstehen. »Der Mißbrauch fürstlicher Gewalt wird schröcklich werden … bete(t) für die Franzosen, die Verfechter der menschlichen Rechte.«7 Und nun hatten die Franzosen gegenüber den Preußen zunächst gesiegt, auch wenn sie Preußen noch nicht besiegt hatten – und das sicherlich nicht so sehr durch Gebete als vielmehr durch kluge militärische Strategie.

      Doch für die Studenten war dieser erste Sieg Anlass zur Freude. Sie fanden sich in ihren Hoffnungen auf eine baldige Veränderung bestärkt. Ihr Glaube an die Franzosen, ihr Glaube an eine nicht ferne bessere Zukunft bekam neue Impulse, zumal sich in der Entwicklung der Französischen Revolution selbst eine neue Etappe abzuzeichnen begann: Die Herrschaft der Konstituante wurde abgelöst durch den Konvent, durch die Herrschaft der republikanischen Gironde-Bourgeoisie, die in weltbürgerlich-revolutionärem Idealismus glaubte, Frankreich die Rolle eines Erlösers aller feudal unterdrückten Völker aufdrängen zu müssen. Und das Resultat dieses missionarischen Strebens: der Zusammenschluß einer gewaltigen europäischen Koalition gegen die revolutionäre Nation. Aber das war zu Beginn dieser neuen Etappe nicht abzusehen, schon gar nicht von den Studenten im Tübinger Stift. Für die Studenten war die weitere Entwicklung der französischen Ereignisse Anlaß genug zu glauben, daß die ersehnten Veränderungen unmittelbar bevorstehen. In dieser Annahme wurden sie noch bestärkt, weil sie aufgrund der deutschen Rückständigkeit den sozialen und politischen Charakter der Kämpfe in Frankreich gar nicht wahrnehmen konnten. Ganz im Sinne der deutschen Aufklärung nahmen sie nur den abstrakten Ausdruck dieser Kämpfe auf. Und losgelöst von dem wirklichen politischen Geschehen, bekamen Worte wie Freiheit, Gleichheit, … einen anderen, einen durch die Denkweise von Theologie und Philosophiestudenten bestimmten Sinn, wodurch sie dann auch meinen konnten, die Neubestimmung von Begriffen wie Tugend, Moralität oder Gott sei für die kommende Veränderung in Deutschland bereits ein enormer Gewinn.

      Der Glaube an die Zukunft schloß die Studenten zusammen. Er ließ sie hoffen, daß bald etwas geschieht, ein zu langes Abwarten sich nicht mehr riet. Also besser, sich doch schon erheben, um an den Grenzen der Wirklichkeit sich in die kommende Zeit hineinzuweben? Unter den alten Verhältnissen die neuen vorbereiten? Der Zukunft etwas nachhelfen? Also doch schon etwas tun für den Anbruch des Neuen. Schließlich muß man vorbereitet sein auf bessere Zeiten. Immer nur abwarten, abwägen, sich zaghaft zeigen? Dann doch besser etwas tun für die Menschheit, für ihre bessere Zukunft. Schließlich braucht diese neue Zeit auch neue Intellektuelle, Kühnere, Maßlosere, die »dem Vaterland und der Welt ein Beispiel geben, daß wir nicht geschaffen sind, um mit uns nach Willkür spielen zu lassen?«8 So entstand unter den Studenten der Plan, einen Klub zu gründen. Nicht öffentlich, nein, nach Regeln der Konspiration.

      Hegel kamen die Überlegungen seiner Freunde recht. Zum einen war sein politisches Interesse in der Zeit des Stifts merklich größer als sein theologisches und philosophisches, oder präziser, Theologie und Philosophie interessierten Hegel in diesen Jahren vornehmlich unter politischen Gesichtspunkten, so daß er nicht nur im Stift in viele Auseinandersetzungen verwickelt war, sondern auch mit dem Vater die heftigsten Debatten hatte, der in Fragen der Französischen Revolution ein entschiedener Aristokrat war. Zum anderen war der Gedanke, sich an der ganzen Menschheit zu orientieren, Hegel genehm. Denn der Glaube an eine bessere Zeit ist ein recht verläßlicher. Das bewies ihm seine gerade gescheiterte Liebe zu Fräulein Hegelmeier. Die Zukunft, wenn man sie nur weit genug ausdehnt, bietet weniger Möglichkeiten für Enttäuschungen. Und schließlich tat man in Frankreich bereits Entscheidendes für sie. Da kann ein politisch denkender Stipendiat nicht untätig bleiben; da muß man vorbereitet sein.

      Hegel wurde also aktives Mitglied und ein begeisterter Redner in diesem Klub, den die Studenten gründeten in jenen Tagen, in denen sie zu hoffen und zu träumen wagten, weit über die Grenzen hinaus, die ihren Lehrern denkbar waren. Nicht etwa aus Verlegenheit oder aus dem Verlangen, sich abzulenken, entstand Hegels Engagement in diesen Jahren, sondern aus politischem Interesse, das Hegel seit Beginn der Französischen Revolution ergriffen hatte, und zwar entscheidend. In diesem Klub wurden Hegel, Hölderlin und Schelling Freunde und sollten es bleiben vorerst. Hier diskutierte man die tagespolitischen Ereignisse, die auch für Deutschland Zukunft versprachen. Hier lehnten sich die Studenten auf gegen die Willkür und das Ungefähre im Denken und diskutierten die Probleme der Vorlesungen zeitnah. Im Klub lasen sie Klopstocks Oden, Schillers »Räuber« und Schubarts Gedichte. Sie versuchten, Kants »Kritiken« zu begreifen und sie von transzendenten Mächten, die noch trennten, zu befreien. Sie studierten wieder Rousseaus »Gesellschaftsvertrag«, seinen »Emil« und suchten in seinen »Bekenntnissen« nach Gleichnissen. Sie schworen sich, sich nicht verbrauchen zu lassen im Kampf für Erbärmlichkeiten – in Kämpfen, die für denkende Menschen nur Beleidigungen darstellten. Sie wollten grundsätzliche Kämpfe austragen, Kämpfe, die die entscheidende, die wesentliche Veränderung bringen sollten, Kämpfe, in deren Resultat Enge, Beschränktheit, Despotismus flieht, fliehen muß, ohne Frist. Sie schworen sich, stets die Größe zu besitzen, das Alte aufzugeben, wenn es sich als nicht mehr notwendig erwies.

      »Gegen die Tyrannen!« – »Tod dem Gesindel!« – »Tod der schrecklichen Politik, die die absolute Macht über die Herzen beansprucht!« – »Es lebe die Freiheit!« – »Es lebe Jean-Jaques Rousseau!« – »Vaterland und Freiheit!« – »Gäbe es ein. Volk von Engeln, würde es sich demokratisch regieren!« wurde zu dieser Zeit in Hegels Stammbuch geschrieben.9

      Berechtigterweise mußten

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