Spannt die Pferde vor den Wagen!. Hermine Stampa-Rabe

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Spannt die Pferde vor den Wagen! - Hermine Stampa-Rabe

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den Flugzeugen, die am dunklen Firmament mit lauten Motorengeräuschen auftauchten, wurden "Weihnachtsbäume" abgeworfen. Überall explodierten die Bomben. Stettin litt unter einem großen Luftangriff.

      Unser Treck hielt mitten auf der Landstraße an. Wir stiegen alle aus dem Pferdewagen und legten uns auf dem Feld in Eis und Schnee nieder. Um uns flogen nur so die Granatsplitter. Einer davon, so groß wie eine Faust, ging neben Mutters Arm nieder. Aber wir hatten Glück im Unglück. Nur holte sich hier leider meine jüngste Schwester Ursula eine starke Erkältung, die später zur Lungenentzündung ausartete.

      Als der Luftangriff vorüber war, bestiegen wir wieder unseren Wagen wie die anderen Treckteilnehmer auch und rasteten in dieser Nacht in einem großen Raum mit vielen Hochbetten. In dem Raum, in dem ich schlief, lagen außer den Kindern nur weibliche Erwachsene.

      In dieser Nacht wachte ich von einem Geräusch auf. Durch die Tür kam ein Mann im langen schwarzen Mantel und ging die Betten suchend ab. Schräg rechts von mir blieb er stehen und weckte die dort oben schlafende junge Frau, die meines Erachtens so ca. zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt war. Er flüsterte mit ihr etwas. Daraufhin kam sie vom Bett herunter, nahm ihre weiteren Sachen - wir schliefen nämlich alle angezogen, weil wir in jeder Nacht mit einem Russenüberfall rechnen mussten - und ging mit ihm aus dem Zimmer. Sie kam nicht wieder. Als wir am anderen Morgen alle aufstanden, wurde sie von den anderen Frauen vermisst. Da meldete ich mich zu Wort und sagte:

      „Heute Nacht kam ein schwarzer Mann und hat sie weggeholt."

      Daraufhin sagte eine Frau: „Na, dann hat er sie sich wohl geholt."

      Seit jener Nacht hatte ich immer sehr große Angst, dass ich auch mal nachts weggeholt werden würde. Ich konnte mir das nicht zusammenreimen. In meiner Phantasie war es der Teufel oder Tod, der sich diese Frau geholt hatte. Nachts hatte ich davon oft Alpträume.

      Unsere Flucht mit dem Treck ging bis Prenzlau. Hier trennten sich unsere Wege. Mutter telefonierte mit Vater in Neubrandenburg, der gleich zu uns kam. Er brachte uns auch Geld mit.

      Frieda Huß fuhr weiter und nahm unseren Wagen und das Pferdchen mit sich mit. Sie fuhren direkt weiter nach Celle.

      Von Prenzlau fuhren wir mit einem Auto bis Pasewalk. Mutter saß mit uns Kindern dort in einem großen Wartesaal, während Vater mit dem ganzen Gepäck draußen auf dem Bahnsteig in der eisigen Kälte stand, darauf aufpasste und auf den richtigen Zug wartete. Der Zug hatte Verspätung. Wir waren alle übermüdet und warteten auf unseren Vater, der uns holen wollte, sobald der Zug draußen einläuft.

      Dieser Wartesaal hatte eine eigenartige Stuhlreihen-Anordnung. Wir saßen alle im Kreis. Die Stuhlreihen waren wie in einem Hörsaal vom Mittelpunkt nach außen immer etwas höher angebracht. Ich weiß noch, dass mir schräg gegenüber zwei Frauen saßen, die sich unterhielten und dabei strickten, ohne auf ihr Strickzeug zu sehen. Das imponierte mir so sehr, dass ich mir vornahm, später auch "blind" stricken zu können.

      Hier muss ich dann doch eingeschlafen sein. Plötzlich wachte ich auf, weil mich jemand wachrüttelte. Ganz verstört schaute ich hoch. Vater war es. Er sagte zu mir: „Mini, komm ganz schnell, sonst schaffen wir den Zug nicht mehr."

      Draußen lag Schnee. Auf der Straße war Glatteis. Wir liefen so schnell es ging auf dem Bahnhof zum Zug, der zum Glück noch stand. Wir wurden schon von Mutter erwartet, die an der offenen Waggontür stand und uns hoch in den Waggon half. Kaum waren wir oben bei den anderen, fuhr der Zug los. Das war aber knapp!

      Wir befanden uns in einem offenen Viehwaggon, der unten mit Stroh ausgelegt worden war. Es herrschte eine grimmige Kälte. Aber wir waren nicht allein. Dicht gedrängt saßen lauter Flüchtlinge mit uns darin. Ich weiß noch, dass wir als Einzige das wichtigste Utensil bei uns hatten, das bald die Runde machte: Eine Mitternachtsvase! Ausgeleert wurde sie über Bord. Anders ging es nicht.

      Hier erzählte mir Vater: „Als wir alles Gepäck und deine Geschwister im Waggon untergebracht hatten, zählte ich alle noch einmal durch. Und da fehlte eins. Sofort sprang ich vom Zug, lief in den Wartesaal und sah dich dort sitzend schlafen."

      Das war mein Glück. Sonst wäre ich wohl gewiss ein Suchkind geworden. Wer weiß, ob ich dann noch gelebt hätte?!

      Unser Zug sollte uns nach Neubrandenburg bringen. Aber die Gleise waren wohl nicht immer bei den Weichen richtig eingestellt worden. So fuhr er laufend hin und her und zurück. Aber er lief dann doch noch in seinem Bestimmungsbahnhof von Neubrandenburg ein. Unter furchtbaren Strapazen kamen wir dort an.

      Zwei Nächte brachte uns Vater erst in seiner dortigen Kaserne unter. Dann bekamen wir das Haus Danziger Straße 3 zugesprochen. Friedemanns vierten Geburtstag feierten wir am 13. Februar 1945 schon in diesem neuen Haus.

      Es hieß immer, dass die Russen nie bis hierher kommen würden. Im Sommer wollten wir in unsere alte Wohnung in der Blücherstraße 12 A in Stargard wieder einziehen. Wir fühlten uns hier auch ganz sicher. Dieses Haus lag abseits von der Stadt. In Friedenszeiten wären wir auch gern hier in dieser Stadt geblieben. Es gab in der Umgebung einen See und Wald.

      Bevor Vater wieder zurück zum Militär musste, schaufelte er hinter dem Haus im Garten ein sehr tiefes Loch und vergrub darin in einer großen Metallkiste unsere Wertsachen. Dieses war für den Fall der Fälle. Dann musste er uns wieder verlassen. Nun waren wir mit Oma Blücher allein. Aber Oma Blücher nahm bald Kontakt mit ihrer Tochter Hilde in Berlin auf und fuhr zu ihr.

      Und plötzlich standen Oma und Opa Lu vor unserer Tür. Auch sie waren geflohen und blieben nun bei uns.

      Das Frühjahr kam rechtzeitig. Wir gingen jeden Tag mit Mutter, Oma und Opa Lu spazieren. Neubrandenburg hatte verhältnismäßig breite Straßen. Hinter unserem Haus befand sich ein Garten, den Opa bald für den Frühling vorbereitete. Außerdem waren noch zwei Hühner im Hühnerstall vorhanden, die nun für uns ihre Eier legten. Das war für uns eine große Freude.

      Auf Opa Lu waren wir sehr stolz. Er war eine stattliche Erscheinung mit einem Kaiser-Wilhelm-Bart. Seinen Handstock konnte er so elegant schwingen, dass wir auch versuchten, es ihm nachzuahmen.

      Damit Opas Bartenden auch am anderen Morgen schön geschwungen nach oben standen, trug er nachts eine Bartbinde, was wir sehr bewunderten.

      Opa Lu war unser großes Vorbild. Er aß leidenschaftlich gern jeden Tag seine Knoblauchpillen, deren Geruch ich noch heute zu riechen mir einbilde.

      Zuerst rauchte er dicke Zigarren. Später, als diese zur Neige gegangen waren, drehte er sich mit Hilfe eines kleinen Apparates Zigaretten. Das war ein fast quadratisches Brettchen mit einer Längsrille darin. Parallel dazu befand sich ein länglicher Schlitz, aus dem ein schmaler Streifen Zigarettenpapier schaute. Mit dem Daumen schob er das Papier über die breite Längsrille, drückte es in der Mitte von oben bis unten etwas hinein, holte sich etwas Tabak aus seinem Tabakbeutel, verteilte ihn schön gleichmäßig darin, drehte die eine Seite des Papiers darüber, leckte die andere Längsseite an und drückte sie gefühlvoll auf das andere Papier. Nun holte er die neue Zigarette hoch, zog den überstehenden Tabak ab und tat ihn wieder zurück in seinen Tabaksbeutel. Die Herstellung seiner Zigaretten ging so geschwind und geschickt vor sich, dass ich es auch übte und später schon ganz gut konnte.

      Opa Lu war hier in Neubrandenburg unser von allen geliebtes und geachtetes Familienoberhaupt. Bei den Mahlzeiten gehörte ihm der Platz an der Stirnseite des Tisches, wo sonst Vater gesessen hätte. Neben ihm saßen wir alle altersmäßig gegliedert mit Mutter und Oma Lu dazwischen um den Tisch herum.

      Einmal passierte ihm ein lautes Malheur. Er wurde daraufhin rot und sagte aber schlagfertig: „Der musste raus. Der hatte keine Miete

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