Zwischen Anfang und Ende. Helmut Lauschke

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Zwischen Anfang und Ende - Helmut Lauschke

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einst groß, fein und tiefgründig aus dem deutschen Boden kam, wird es dann nicht mehr geben. Das einst so tief empfundene Deutschtum wird nicht mehr wieder zu erkennen sein; es wird für immer vergangen sein. Das waren schon Sätze, die jeden berührten. Keiner hatte es erwartet, dass ein SS-Obersturmführer so etwas sprechen konnte.

      Eckhard Hieronymus drückte seinen Schmerz aus, dass die Einsicht, die deutsche Kultur auf ihrer Höhe zu erhalten, nicht früher gekommen sei. Er sagte: „Man muss der Staatsführung den Vorwurf der Bildungslosigkeit machen, dass sie die großen Kulturgüter von Anfang an in Gefahr brachte, sie in den niederen Machtgeifereien schlichtweg aufs Spiel setzte. Wäre etwas Bildung da gewesen, dann hätte es auch Anstand und Respekt vor dem Menschen und seiner Leistung gegeben, die das Deutschtum zu jener Höhe gebracht hatte. Stattdessen wurden Völker überrannt, Kriege angezettelt und hinter den Fronten gefoltert und ermordet. Es sind Dinge abgelaufen, die der Achtung der deutschen Kultur schweren Schaden zugefügt haben, da deutsche Köpfe fürchterliche Dinge ausgedacht und deutsche Hände fürchterliche Dinge getan haben, die gegen alle Grundregeln der Zivilisation gerichtet waren. Nun komme die deutsche Einsicht zu spät, weil zu den deutschen Gräueltaten viel zu lange deutsch geschwiegen wurde. Das lässt sich nun nicht mehr ungeschehen machen.

      Der Krieg ist für uns verloren. Die deutsche Kultur haben wir der Bildungslosigkeit geopfert. Nun kommen die andern, und sie werden uns den Spiegel unserer Taten vorhalten. Da klafft das Defizit zwischen Größe und Gemeinheit, zwischen deutscher Empfindsamkeit und deutscher Brutalität, zwischen deutschem Soll und deutschem Haben, das sich in einfachen Worten weder erklären noch erfühlen lässt. Und ich wage zu sagen, würden die Deutschen die Sieger sein, sie würden weiter zu den deutschen Gräueltaten, die an Männern, Frauen und Kindern begangen wurden, schweigen. Sie würden totschweigen, was sie begangen haben, würden dasselbe aber brandmarken, wenn es die anderen begangen hätten. Das ist die jüngste deutsche Geschichte mit der deutschen Gewissenlosigkeit, mit der der Moloch aus dem Defizit steigt, dem millionenfach der Opportunismus nachlief, der blind für die Gequälten und taub für all die Folter- und Kinderschreie war. Wie gesagt, die Einsicht in die Dimensionen der großen deutschen Kultur wurde verbrüllt und verjagt, als die Staatsführung auf die Bildungslosigkeit setzte. Nun kommt die Einsicht, wenn sie noch eine ist, zu spät. Der Krug ist zerbrochen, Breslau wird fallen, und die großen Städte sind zerbombt. Was soll da noch zu retten sein?“

      Die Reaktion war die Stille der tiefsten Betroffenheit. Auch Eckhard Hieronymus schwieg. Bäuerin Dorfbrunner goss den Kaffee nach. „Nun will ich euch etwas Lustiges erzählen“, sagte der Namensvetter, „es ist lustig, weil es paradox erscheint. Als ich in der Oberprima war, wollte ich entweder Medizin oder Theologie studieren. Jetzt mögt ihr lachen [was keiner tat], weil das zu meiner Uniform überhaupt nicht passt. Auch ich hatte mir vorgenommen, mein Leben für die Menschen einzusetzen, den Notleidenden zu helfen und den Beruf dafür zu wählen. Das Abitur in Grimma hatte ich als Drittbester passabel abgelegt. Ich konnte den Beruf nach meiner Neigung und Begabung wählen. Zur Wahl hatten mir meine Eltern die freie Hand gelassen. Die Theologie habe ich dann doch nicht gewählt, weil mir die Sache mit dem lieben Gott zu riskant schien, ich meine die Tatsache, dass sich die meisten Menschen für ihn nicht mehr interessierten. Ich begann das Studium der Medizin und belegte in den ersten Semestern im Rahmen des Studium generale auch geisteswissenschaftliche Fächer wie Mathematik und Philosophie. Hier aber erkannte ich bald, dass mir die abstrakten Denkwissenschaften doch nicht auf den Leib geschrieben waren, wenn sie mich anfangs auch faszinierten. Mit der Medizin hielt ich bis zum Physikum durch, wo ich die Prüfung in physiologischer Chemie zu wiederholen hatte. Das Heilfach habe ich dann gegen den Rat meines Vaters, der ein Geschäft zur Herstellung von Arm- und Beinprothese führte, auch an den Nagel gehängt, als die Weimarer Republik mangels Volk eingegangen beziehungsweise untergegangen war und die Ära mit dem Heilsgruß ins zweite Jahr ging.

      Es waren zwei Dinge, dass ich aus freien Stücken der Waffen-SS beigetreten war; erstens: es sollte eine vorbildliche Kampftruppe von hoher Moral und Disziplin sein, das schien mir bei dem politischen Fiasko und Durcheinander nach dem ersten, verlorenen Weltkrieg eine Herausforderung zu sein, deren Notwendigkeit zur Herstellung von Recht und Ordnung mich damals überzeugte, heute nicht mehr; zweitens: ich wollte die Sprossen der Offizierslaufbahn bis zur Leitermitte steigen, aber nicht bis obenhin, da es ganz oben zu politisch wurde und ich das absolute Gehör der Hörigkeit und die Spürnase für die analen Abgase des Höchsten nicht hatte und auch nicht entwickeln wollte. In der Leitermitte dagegen war Platz für mich, wo ich mich für die Umsetzung der Moral und Disziplin bei der Truppe in die Praxis einsetzen konnte und auch einsetzte. Ich darf sagen, dass diese Tugenden in meiner Kampftruppe bis auf den Tag den hohen Stellenwert behalten haben. Bis auf einen hat sich keiner meiner Leute an wehrlosen Menschen vergangen. Stattdessen haben sie alten und gebrechlichen Menschen und Müttern mit ihren Kindern geholfen. Einer war da das schwarze Schaf; er hatte sich an einem Mädchen vergriffen, bekam dafür eine Woche Bunker und zwei Jahre Strafbataillon bei den schweren Pionieren, zuletzt vor Stalingrad. Bei der Heilsarmee hätte ich es, wenn ich es rückblickend bedenke, wahrscheinlich weiter gebracht. Aber die war zu jener Zeit in Auflösung begriffen.“ Diese Bemerkung löste ein Schmunzeln aus.

      „Dann warst du, wenn ich dich richtig verstanden habe“, kommentierte Eckhard Hieronymus, „das weiße Lamm im schwarzen Wolfspelz.“ „Nicht ganz“, erwiderte der Namensvetter, denn eine blütenweiße Weste habe ich nicht. Auch ich habe zu Dingen geschwiegen, zu denen ich nicht hätte schweigen sollen. Ich werfe mir vor, einen Untersturmführer einer anderen Einheit nicht erschossen zu haben, der ein Massaker an wehrlosen Menschen, an Männern, Frauen und Kindern in einem Dorf, nicht weit von Kiew, befehligt und inszeniert hatte. Diese Schuld muss ich neben kleineren Schulden mit in mein Grab nehmen.“

      Beim Abschied sagte der Namensvetter in SS-Uniform: „Meldet euch, wenn ihr etwas braucht. Ihr wisst, dass ein Dorfbrunner hilft, wenn ein anderer Dorfbrunner die Hilfe braucht. Macht’s gut!“ So jovial, wie er bei der Ankunft die Hand gegeben hatte, gab er sie zum Abschied. Er setzte sich in die Limousine und winkte den Herumstehenden mit lockerer Hand. Dabei kniepte er mit dem rechten Auge Anna Friederike zu.

      Eckart schob die Flügel des Einfahrtstores zu und hängte die Eisenstange quer ein. Dann eilte er mit den anderen zum Holzhäuschen, um Klaus und Heinz aus dem Verschlag zu befreien. Nachdem er die Nägel aus den Brettern gezogen hatte, die quer über der Tür eingenagelt waren, drückten Klaus und Heinz die Tür von innen auf. Sie waren erleichtert, den Blitzbesuch unbemerkt überstanden zu haben und die andern in gelockerter Stimmung anzutreffen. Sie gingen in die warme Küche zurück, aus der ein köstlicher Duft entgegenkam. Bäuerin Dorfbrunner setzte den Wasserkessel über das Feuer und brühte zur Freude aller noch einmal einen richtigen Bohnenkaffee auf. „Man muss die Beziehungen haben, dann gibt es richtigen Kaffee, den es auf Marken nicht gibt“, sagte sie und bereitete das Abendbrot vor.

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