Zwischen Anfang und Ende. Helmut Lauschke

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Zwischen Anfang und Ende - Helmut Lauschke

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fragte Eckhard Hieronymus. Friedrich Joachim berichtete von einer Dreizimmerwohnung im zweiten Stock eines alten Mietshauses in der Münchner Straße 27, die Onkel Alfred nach dem Tod seiner Frau Trude vor fünf Jahren beibehalten hatte. Von den drei Zimmern seien nun zwei zu Schlafzimmern geworden, wobei das größere, das Wohnzimmer ihr Schlafzimmer sei, wo Mutter im dort aufgestellten Bett von Tante Trude und er auf dem Sofa schlafe. „Könnt ihr so leben?“ Eckhard Hieronymus merkte die ungeschickte Frage und nahm es hin, ohne weitere Fragen zu stellen, als Friedrich Joachim ihm antwortete: „Was heißt schon leben können in einer Zeit, in der die Not den Menschen unter den Füßen brennt und es so viele Tote gibt.“ Eckhard Hieronymus sagte nach einer Pause des betroffenen Mitgefühls, dass er, Luise Agnes und Anna Friederike auf dem bäuerlichen Stammhof der Dorfbrunners im Dorf Pommritz seien und ihre erste Nacht auf dem Heuschober der Scheune verbracht hätten. „Dann sind wir bei Onkel Alfred gut dran, weil Mutter hier ein Bett und ich ein Sofa zum Schlafen habe“, meinte Friedrich Joachim, worauf Eckhard Hieronymus sein tiefempfundenes Dankgefühl ausdrückte, dass er mit seiner Familie überhaupt eine Unterkunft gefunden hatte. „Da hast du völlig recht“, bestärkte ihn der Bruder in diesem Gefühl, „wie viele Menschen finden bei der Kälte nichts und müssen in Bahnhöfen, auf ihren Trecks oder neben der Straße im Freien übernachten, und das mit ihren Kindern.“

      Eckhard Hieronymus sprach von der freundlichen Aufnahme durch die Bäuerin Dorfbrunner und ihrem Sohn Eckart, der nach dem Tod seines Vaters vor drei Jahren den Hof führe. „Ist das nicht ein komisches Gefühl, auf dem Bauernhof unserer Vorfahren zu sein und in der Scheune zu schlafen, die die Vorfahren schon mit Heu vollgepackt und vor ihr das Getreide gedroschen haben?“, fragte Friedrich Joachim. „Ja, es ist ein seltsames, ein erhebendes Gefühl, in dem Ehrfurcht vor der unbeugsamen Willensstärke und den fleißigen Händen der frühen Dorfbrunners bei der harten Feldarbeit und den vollbrachten Leistungen mitschwingt“, erklärte Eckhard Hieronymus. Vom Treffen und dem üppigen Mittagessen mit Reinhard Dorfbrunner, dem Obersturmführer der SS im Speiseraum der Standortkommandantur Ost, die in einem mit Luxus ausgestatteten Hotel in der Bautzener Steinstraße untergebracht war, erzählte er dem Bruder nichts. Da wollte er keine falschen Gefühle wecken oder Missverständnisse aufkommen lassen. Stattdessen sagte Eckhard Hieronymus, dass er sich für eine Arbeit umsehen wolle, um ein wenig Geld zum Unterhalt der Familie zu verdienen. „Das wird nicht einfach sein, denn in der Kirche dürften die Pastorenposten besetzt sein“, gab Friedrich Joachim seinem Bruder, dem Breslauer Superintendenten, zu bedenken. „Da magst du recht haben; aber versuchen will ich es“, erwiderte Eckhard Hieronymus.

      Eckart holte den braunen Hengst aus dem Stall, bürstete ihm das Fell über dem Rücken und an den Flanken, legte ihm den Mantel über, dessen Riemen er unterm Brustkorb verschnallte, und spannte ihn vor den gummibereiften Pritschenwagen mit den beiden Bänken darauf. Dann kam er in die Küche und fragte Eckhard Hieronymus, ob er zum Gut der Wittkopfs mitfahren wolle. Als er das bejahte, sagte Eckart, dass er sich die Decke von seinem Schlafplatz mitnehmen solle, da es kalt sei und die Fahrt eine halbe Stunde dauern würde. Eckhard Hieronymus wünschte den Frauen am Tisch in der behaglichen Küche noch einen guten Morgen, holte die Decke, stieg auf den Pritschenwagen, setzte sich auf die vordere Bank, weil auf der hinteren Klaus und Heinz schon saßen, und legte die halb ausgebreitete Decke über seine Beine. Als Kopfbedeckung brachte Eckhard die Wintermütze seines verstorbenen Vaters, die sich Eckhard Hieronymus tief in die Stirn und über die Ohren zog. Eckart schwang sich auf den Kutscherbock, gab dem Hengst das ‘Hü’-Kommando und nahm den Weg zum verschneiten Wald, hinter dem das Gutshaus lag.

      Anders als das stille, gleichmäßige Gleiten des Schlittens im Schnee wurde die Fahrt zur Holperfahrt über gefrorene Schneisen, vereiste Rillen und Querfurchen, ausgefahrene und zergleiste Fahrrinnen mit den harten Höckern frostverstörter Äste und den tiefen Löchern auf beiden Wegseiten. Die Landschaft lag erstarrt unter der vereisten Bodendecke, auf der eingedrückte Fuß- und Laufspuren zu lesen waren. Sonst bewegte sich auf dieser Decke so gut wie nichts. Aus einem Fuchsbau schaute der Rotkopf mit der spitzen Schnauze unentschieden heraus. Bussard und Adler standen auf Telegrafenmasten wie festgeeist und sahen nichts, wofür sich ein Flug lohnte. Aus dem Wald, in dem die Bäume langgezogene Eiszapfen an herabgebogenen Zweigen trugen, schrie der Hirsch vor Hunger. Bei der Fahrt durch die enge Schneise klirrte und knackte es in den Ästen, deren vereiste Hänge das grautrübe Tageslicht verspiegelten. Es war gut, sich die Baumwolldecke übergezogen zu haben. Sie fuhren in den Gutshof ein, auf dem Arbeiter in grauen, filzzerrissenen Lodenmänteln, tief runtergezogenen Filzmützen mit dunkelgrünen Fausthandschuhen in verdreckten Stiefeln und klobigen Holzschuhen, aus denen die Enden der Fußlappen heraushingen, die vereisten Reste zusammengeschmolzener Schneeberge und festgefrorene Erdklumpen mit Hacken lösten, auf Schubkarren schaufelten und von der Zufahrt zum Gutsherrenhaus räumten.

      Eckart hielt mit dem Wagen vor den Stufen zum Haupteingang des Herrenhauses, vor dem zu beiden Seiten alte Linden- und Nussbäume standen. Er sprang vom Kutscherbock, nahm die sieben Stufen zur alten, mit Schnitzwerk verzierten Eichentür und klopfte an. Eckhard Hieronymus saß eingedeckt auf der Vorderbank und sah den Arbeitern bei der schweren Arbeit zu. Sie sahen fremdartig aus und sprachen kein Wort. Klaus und Heinz auf der Hinterbank meinten, dass sie russische Gefangene seien, die hier zur Fronarbeit verdonnert waren. Das stimmte mit dem Eindruck überein, den Eckhard Hieronymus von den ernsten und abgemagerten Gesichtern mit den slawisch prominenten Jochbögen gewonnen hatte. Eckart stand noch draußen vor der Tür und wartete mit gelassener Geduld. Die Tür ging auf, und ein älterer Herr in grüner Jägeruniform mit blanken, hohen Stiefeln trat ihm entgegen. Es war bis zum Pritschenwagen hin zu sehen, dass dieser Jäger über seiner rechten Brusttasche das Parteiabzeichen mit den gekreuzten Haken trug. Sie mussten sich kennen, denn der gestiefelte Herr gab Eckart die Hand, nahm ihn mit hinein und schloss die Tür. Klaus zeigte seinen Hang zum Sarkasmus, als er sagte, ob dieser Stiefelmann noch alle Tassen im Schrank hätte, wenn er doch sehe, dass Menschen auf dem Wagen sitzen, denen der Schweiß doch nicht von den Stirnen tropfe. Eckhard Hieronymus fand das gutsherrische Benehmen überheblich und meinte, wobei er den Kopf zu den beiden nach hinten drehte, dass dieser Mensch seine Überraschung umso mehr noch erleben werde, weil er sich um andere Menschen nicht so zu kümmern schien, wie das von einem Gutsherrn zu erwarten wäre.

      Der Jägersmann mit dem Parteiabzeichen kam nach zehn Minuten wieder heraus, diesmal mit zwei schwarzweiß gescheckten Doggen, die die Stufen gemächlich herab stolzierten, zu den hackenden und schaufelnden Männern weiter stolzierten und ihre Hosenbeine von unten nach oben abschnüffelten. Eckart folgte dem Gutsherrn mit einem bedenklich dünnen Stoß gefalteter grauer Wehmacht Decken, die er unterm Arm trug, mit dem Gesicht des zu Wenigen auf den Pritschenwagen zuging und sie in einer Kiste hinter der zweiten Bank verstaute. Der Gutsherr bemühte sich die Treppen nicht erst herab, sondern betrachtete mit den hüftgestützten, gewinkelten Armen und dem grauen Blick des verzogenen Adels von der obersten Treppenstufe herunter die Räumungsarbeiten der ihm zugeteilten Gefangenen, pfiff die Doggen zurück, gab einen Dreisekundenblick dem Pritschenwagen mit dem sich aufsetzenden Eckart Dorfbrunner und den übrigen, in Decken gehüllt sitzenden Männern, ging hinein wie der gestiefelte Kater, gefolgt von den Doggen, und schloss resolut die alte, eichene Herrenhaustür mit dem eingeschnitzten Familienwappen der Von Wittkopfs, die dann auch schwer ins Schloss fiel.

      Klaus fragte: „Ist das alles?“ Eckart nickte: „Mehr Decken hat er nicht gegeben, obwohl im Lagerraum die Baumwolldecken sich bis zur Lagerdecke stapeln.“ Da sagte Heinz: „Dann waren wir bei einem Gutsherrn mit dem Parteiabzeichen, der vom Bonzengeiz bereits zerfressen ist. Diese Typen kennen nur sich und kümmern sich um die andern einen feuchten oder trockenen Kehricht.“ Heinz kommentierte: „Der soll sich mal keine falschen Hoffnungen machen. Wenn er die ihm zugeteilten Zwangsarbeiter in derselben Weise von oben herab behandelt, dann wird ihn bald der rote Teufel holen.“ Eckhard Hieronymus schwieg. Er versuchte sich zu erinnern, was sein Großvater ihm von diesem Gut erzählt hatte, auf dem einst ein großzügiger Gutsherr von Bildung war, der seine Leute menschlich behandelte. Er zog den Strich darunter und stellte den Bildungszerfall fest, der in die Wittkopfs gefahren sei, dass sie selbst das gute Benehmen verlernt hatten. Erstaunlich war die Bemerkung von Eckart, der, nachdem der Wagen die enge Waldschneise durchfahren hatte, meinte, dass

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