Zwischen Anfang und Ende. Helmut Lauschke

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Zwischen Anfang und Ende - Helmut Lauschke

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Halbtagstätigkeit als Putzfrau im Hause eines hochgestellten Parteimenschen, der aber angekündigt hatte, dass er Breslau verlassen werde, um sich und seine Familie vor den Russen in Sicherheit zu bringen.

      Eckhard Hieronymus erinnerte sich an den Abschiedsbesuch beim tapferen, jungen Pfarrer Rudolf Kannengießer in der engen Dachgeschosswohnung in der Deutschstraße 25, mit dem von Büchern überladenen Schreibtisch im kleinen Arbeitszimmer, das auch sein Wohnzimmer war. An ihm bewunderte Eckhard Hieronymus die kompromisslose Geradheit im Glauben und die Furchtlosigkeit vor den Konsequenzen, die ihn einige Male in die Verhörkeller der Gestapo gebracht hatte, wo ihm das Erlebnis der Folter nicht erspart blieb. Eckhard Hieronymus hatte die drei russischen Tiefflieger vor Augen, die sie vom Dachfenster aus beobachteten, wie sie mit ratternden Maschinengewehren über die Stadt flogen, als die Menschen hektisch mit ihren Fluchtvorbereitungen zugange waren. Im Ohr hatte er die Kannengießer’schen Sätze, die er wie ein Vermächtnis mit sich trug: „Das ist nun das Ende. Dann werden auch bald die Nazimäuler schweigen. Sie werden irgendwo untertauchen und die Schuld für das klägliche Ende mit der großen Katastrophe auf die Menschen abwälzen, die dafür nicht ganz schuldlos sind, weil sie dem Teufel zur Macht verhalfen und zum Teufelswerk schwiegen und noch mitmachten, anstatt dagegen zu protestieren. Die Kirche habe kläglich versagt, wenn es um die Erfüllung des Auftrags geht, sich für die armen, wehrlosen und gequälten Menschen einzusetzen.

      Wir als Kirchenmänner haben uns selbst zu ängstlichen Zuschauern degradiert, anstatt wie ein Paulus aufzustehen und die Verbrechen gegen die Menschheit laut und deutlich anzuprangern.“ Viele gute Menschen gingen Eckhard Hieronymus durch den Kopf, von denen er sich nicht mehr verabschieden konnte. Er fragte sich, wie es diesen Menschen wohl ergehen mochte, wenn der Sprecher im Radio vom heldenhaften Kampf um Breslau sprach, wenn er sagte, dass Breslau eine Festung sei, in der Wehrmacht und Zivilbevölkerung wie ein Mann stünden und dem Feind erbitterten Widerstand leisteten. Da stach die Bemerkung von Pfarrer Kannengießer auf die Frage, ob er Breslau verlassen werde, wie ein Leuchtturm heraus: „Ich werde den Kampf um Breslau von meinem Dachfenster aus verfolgen.“

      Klaus Mehring, der sich noch Bratkartoffeln nachgeben ließ, sagte, dass die Kampfmoral bei der Truppe bei Null angekommen sei. Dieser Verlust hinge, soweit er es verstanden habe, nicht nur mit dem fehlenden Nachschub an Nahrung, Decken, Winterkleidung und Kriegsmaterial, sondern mit den Hinrichtungen und den Gräueltaten an der Zivilbevölkerung zusammen. Es war nicht nur ein Landser, der sein Entsetzen über die Vorgänge in den Konzentrationslagern ausgesprochen hatte. Sie alle drückten es aus, dass ein Volk, das solche Verbrechen begeht, der Strafe nicht entgehen könne. Sie sagten auch, dass die Kriegsgegner nicht frei von Verbrechen seien, dass aber die Schuldabrechnung mit dem Sühnemaß auf die zukommen und hart treffen werde, die den Krieg verlieren. „Das sind doch wir, die Deutschen!“, fuhr Eckart dazwischen, „die die Kriegsschuld aufgebrummt bekommen. Die Alliierten werden sich die Hände reiben und von den Deutschen hohe Reparationen erpressen.“ Darauf meinte Klaus Mehring, dass er nach allem, was er persönlich in den paar Monaten als Soldat erlebt habe, einen Sinn für die ausgleichende Gerechtigkeit in der Art entwickelt hätte, dass die Deutschen für die Verbrechen an der Zivilbevölkerung und den Menschen in den Konzentrationslagern schon ihre Strafe verdient hätten. „Wer sich an alten, wehrlosen Menschen und an Müttern mit ihren Kindern vergeht, der kann doch nicht ungestraft davonkommen.“ Das Prinzip der Bestrafung wurde ohne Gegenstimme geschluckt. Wilhelm Theisen sagte, dass dann auch die Alliierten für ihre Verbrechen bestraft werden sollten, worauf Eckhard Hieronymus fragte, wer denn die Sieger bestrafen soll. Das wäre die Aufgabe des Völkerbundes, erwiderte Wilhelm Theisen.

      Es war kurz vor Mitternacht, als sich die Tischrunde in der Küche aufzulösen begann. Die Menschen verabschiedeten sich in Dankbarkeit von Mutter Dorfbrunner, der Frau von Haus und Hof, die einige Scheite und Braunkohlestücke im Herd nachlegte, um am Morgen die Glut zum Kochen zu haben und die Küche über Nacht warm zu halten. „Es ist spät geworden. Ihr müsst doch müde sein. Morgen früh könnt ihr länger schlafen. Deckt euch warm zu! Ich wünsche euch eine gute Nacht.“ Sie beauftragte ihren Sohn, den Gästen beim Auffinden der Schlafstellen zu helfen. Eckart ging mit der Petroleumlampe voraus, zog das Scheunentor auf, stellte die Lampe auf den Hackeklotz, hielt die Leiter für die aufsteigenden Breslauer Dorfbrunners fest und setzte sie dann gegen den Schober auf der anderen Scheunenseite. Er stieg als erster hoch, gefolgt von Klaus und Heinz, breitete das Heu auf dem Bretterboden dick genug aus und legte die ausgebreiteten Decken darauf. Klaus und Heinz waren von ihren Schlafstellen angetan. Sie meinten, dass sie da wie im Paradies schlafen würden. Vor welchem Schober die Leiter angelegt bleiben solle; diese Frage stellte Eckart den beiden Parteien auf den zwei gegenüberliegenden Schobern. Es wurde sich dahingehend geeinigt, dass sie dem linken Schober für die drei Breslauer angelegt bleiben solle, damit die Damen ohne Verzögerung das Plumpsklo vor dem Gemüsegarten aufsuchen können. Eckart wünschte den Parteien eine gute Nacht, löschte die Petroleumlampe, stellte sie neben den Sockel des Hackeklotzes und schob das Scheunentor von außen wieder zu. Aus dem Schweinestall kamen Schnarchgeräusche, der Hengst war still, auf dem Scheunengiebel saß die Eule, die Sterne flunkerten schwach, der Mond stieg in die neue Phase, und der Bodenfrost zog an. Eckart überquerte den Hof, überprüfte die Torverriegelung an der Hofeinfahrt und verschwand im Wohnhaus, wo er die Tür von innen verriegelte.

      „Hört mal, ihr da drüben“, rief Klaus Mehring vom rechten Schober zum linken herüber, während Heinz seine ersten Schnarchtöne von sich gab, „heute habt ihr unsere Geschichte gehört, morgen wollen wir eure Geschichte hören.“ Darauf sagte Eckhard Hieronymus, dass er sie gerne erzählen werde; sie sei aber weniger aufregend, weil sich seine Geschichte auf die Familie, den Beruf und die Stadt Breslau beschränke. Er könne nicht mit Fronterlebnissen und den anderen fürchterlichen Erlebnissen aufwarten, mit denen die beiden als Soldaten in ihren jungen Jahren konfrontiert wurden. Klaus wollte das nicht so unter dem Scheunendach stehen lassen und meinte, dass jeder Mensch in dieser Zeit aufregende Dinge erlebe, die ihm nachts den Schlaf und tagsüber die Konzentration rauben. Eckhard Hieronymus gab ihm recht und erinnerte sich an den 1918-Novemberbrief seines verstorbenen Vaters, des Oberstudienrates Georg Wilhelm Dorfbrunner, der am Stiftsgymnasium für Knaben in Breslau Geschichte und Geographie unterrichtete, wie er davon schrieb, dass durch die Sorgen über die Ungewissheit des Verbleibs seiner Söhne Friedrich Joachim und Hans Matthias seine Konzentration derart gelitten habe, dass er im Unterricht die Jahreszahlen vom 1. Punischen Krieg mit dem Kampf um Troja durcheinandergeworfen hatte und sich vor Verwechselungen in der Geographie auch nicht mehr sicher sei.

      „Morgen werde ich ihnen unsere Geschichte erzählen“, sagte er zu Klaus, der mit dem „Lift“ bereits auf Talfahrt ins Unterbewusstsein abgestiegen war, und aus dem ‘fahrenden Zug’ noch murmelte: „Dann ist es ja gut.“ Heinz schnarchte, als sägte er die Scheune in Stücke. „Luise Agnes, schläfst du?“, fragte Eckhard Hieronymus im Flüsterton. „Nein, die Erlebnisse des Tages lassen mich nicht zur Ruhe kommen“, sagte sie. Dann rief er flüsternd nach Anna Friederike, die der Schlaf bereits überwältigt hatte. „Es war der vollste Tag meines Lebens“, sagte Luise Agnes. Etwas später fügte sie hinzu: „Wo wird Mutter sein? Hast du eine Idee, wohin Ludwig und Martha Lorch gegangen sind?“ „Nein, ich weiß es nicht“, antwortete Eckhard Hieronymus, „sie haben mir nichts gesagt.“ „Stand denn auf dem Zettel nichts? So, wie ich die Lorches kenne, machen sie immer klare Angaben.“ „Morgen schaue ich noch einmal auf den Zettel. Ich kann mich nicht erinnern, dass da etwas vermerkt war.“ „Vielleicht haben Lorches die Angabe des Ziels im Schreiben versteckt, aus Sorge, dass das Papier in falsche Hände kommt.“ „Das kann gut sein, denn sie haben Mutter durch all die Jahre vor den Nazis bewahrt und gut für sie gesorgt. Da sollte nun am Schluss nicht ein Fehler passieren.“ „Ob Mutter Dorfbrunner mit deinem Bruder Friedrich Joachim in Dresden angekommen ist?“ „Das hoffe ich. Dresden ist nicht so weit von hier, das können wir bald in Erfahrung bringen.“ „Hat Onkel Alfred ein Telefon?“ „Ich weiß es nicht.

      Komm lass uns für die letzten Stunden bis zum Morgen zur Ruhe kommen. Möge der Herr seine Hand auf das bedrängte deutsche Volk und die vielen anderen gequälten Völker legen, dass die Menschen aus der Sackgasse der Verzweiflung herausfinden und die Wunden

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