Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

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Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski

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den Zuhörern und vor allem sich selbst auf der Stelle zu beweisen, daß er keinen Unsinn gesprochen habe. Und obgleich er wußte, daß er mit jedem weiteren Wort nur noch törichteres Zeug zu dem schon vorgebrachten Unsinn hinzufügte, konnte er sich nicht mehr halten und stürzte wie von einem Berg in die Tiefe.

      »Was für eine Gemeinheit!« rief Pjotr Alexandrowitsch.

      »Verzeihen Sie«, sagte auf einmal der Abt. »Es steht geschrieben: ›Und sie redeten gegen mich vielerlei, auch einige häßliche Dinge. Aber ich hörte alles an und sagte mir: diese Arznei hat mir Jesus gesandt, um meine eitle Seele zu heilen.‹ Und darum sprechen auch wir Ihnen unsern ergebensten Dank aus, werter Gast.« Und er verbeugte sich tief vor Fjodor Pawlowitsch.

      »Papperlappapp! Scheinheiligkeit und alte Phrasen! Alte Phrasen und alte Gebärden! Die alte Lüge, die gewohnten komödienhaften Verbeugungen! Diese Verbeugungen kennen wir! ›Küsse auf die Lippen, den Dolch ins Herz!‹, wie es in Schillers ›Räubern‹ heißt. Ich liebe keine Falschheit, Väter; ich will Wahrheit! Aber die Wahrheit liegt nicht in den Gründlingen, das habe ich verkündet. Warum fastet ihr denn, ihr Mönche? Warum erwartet ihr dafür Belohnungen im Himmel? Für eine solche Belohnung würde auch ich anfangen zu fasten! Nein, du heiliger Mönch, sei im Leben tugendhaft, nutze der Gesellschaft, ohne daß du dich bei freier Kost im Kloster einschließt und eine Belohnung dort oben erwartest – das wird etwas schwerer sein! Ich kann ebenfalls klar und logisch reden, Vater Abt. Na, was haben wir denn vorbereitet?« sagte er und trat an den Tisch.

      »Portwein old factory, Medoc, Abzug der Gebrüder Jelissejew. Ei, ei, meine Väter! Das hat ja wenig Ähnlichkeit mit

      Gründlingen! Sieh mal an, solche Fläschchen haben die Väter auf den Tisch gestellt, hehehe! Und wer hat das alles geliefert? Der russische Bauer, der Arbeitssklave, der bringt die paar Groschen, die er mit seinen schwieligen Händen erarbeitet, hierher und entzieht sie seiner Familie und den Bedürfnissen des Staates! Ja, sie saugen das Volk aus, heilige Väter!«

      »Das ist ein ganz unwürdiges Gerede von Ihnen«, sagte Vater Jossif.

      Vater Paissi schwieg hartnäckig. Miussow rannte aus dem Zimmer, Kalganow folgte.

      »Nun, Väter, auch ich werde Pjotr Alexandrowitsch folgen. Ich werde nie wieder zu Ihnen kommen, und wenn Sie mich auf den Knien darum bitten, ich werde nicht kommen. Tausend Rubel habe ich Ihnen geschickt, nun spitzen Sie sich wohl auf mehr, hehehe! Nein, mehr werde ich Ihnen nicht geben! Ich werde mich für meine dahingegangene Jugend und meine ganze Demütigung rächen.« Er schlug in einem fingierten Gefühlsausbruch mit der Faust auf den Tisch. »Viel hat dieses Kloster in meinem Leben bedeutet! Viele bittere Tränen habe ich um seinetwillen vergossen! Meine Frau, die Schreikranke, haben Sie gegen mich aufgehetzt. Auf sieben Synoden haben Sie mich verflucht und mich in der ganzen Umgegend schlechtgemacht! Aber das hat nun ein Ende, Väter! Wir leben jetzt im Zeitalter des Fortschritts, im Zeitalter der Dampfschiffe und Eisenbahnen. Nicht tausend Rubel und nicht hundert Rubel und nicht hundert Kopeken – nichts werden Sie von mir kriegen!«

      Noch eine Anmerkung. Unser Kloster hatte niemals in seinem Leben etwas Besonderes bedeutet, und er hatte keine bitteren Tränen um seinetwillen vergossen. Er ließ sich aber von seinen ausgedachten Tränen so sehr hinreißen, daß er einen Augenblick wohl selbst glaubte, was er sagte. Er fing sogar vor Rührung fast an zu weinen, doch gleichzeitig wurde er sich bewußt, daß es Zeit sei, den Rückzug anzutreten. Der Abt senkte den Kopf und erwiderte auf seine boshafte Lüge nachdrücklich: »Wiederum steht geschrieben: ›Ertrage mit Freuden den dir angetanen Schimpf und laß dich nicht beirren, noch auch hasse den, der dich beschimpft hat.‹ Danach handeln auch wir.«

      »Papperlappapp, Böses mit Gutem vergelten! Und all der übrige Unsinn! Na, dann vergelten Sie Böses mit Gutem, Väter,

      aber ich gehe. Und meinen Sohn Alexej nehme ich kraft meiner väterlichen Gewalt für immer von hier weg. Iwan Fjodorowitsch, mein respektvoller Sohn, erlaube, daß ich dir befehle, mit mir mitzukommen! Herr von Sohn, wozu willst du noch hier bleiben? Komm gleich zu mir in die Stadt! Bei mir soll es lustig zugehen. Es ist nur eine kleine Werst weit. Statt des Fastenöles werde ich ein Spanferkel mit Grütze auftragen lassen, da wollen wir zu Mittag essen, auch Kognak werde ich aufsetzen und danach Likör, ich habe einen Himbeerlikör. Herr von Sohn, laß dein Glück nicht aus den Händen gleiten!«

      Er ging schreiend und gestikulierend hinaus.

      Und eben in diesem Augenblick bemerkte ihn Rakitin und zeigte ihn seinem Begleiter Aljoscha.

      »Alexej!« rief der Vater von weitem, sobald er ihn erblickt hatte. »Du ziehst noch heute zu mir! Dein Kopfkissen und deine Matratze bring auch mit, und laß dich hier nie wieder blicken!«

      Aljoscha blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete schweigend und aufmerksam die Szene. Fjodor Pawlowitsch war unterdessen in den Wagen gestiegen, und nach ihm schickte sich Iwan Fjodorowitsch an, einzusteigen, ohne sich zum Abschied nach Aljoscha umzuwenden. Da ereignete sich noch eine possenhafte, fast unglaubliche Szene, ein passendes Finale zu diesem ganzen Skandal. Am Wagentritt erschien plötzlich atemlos, um nicht zu spät zu kommen, der Gutsbesitzer Maximow. Rakitin und Aljoscha sahen ihn laufen. Er hatte es so eilig, daß er in seiner Ungeduld den einen Fuß schon auf den Wagentritt setzte, als Iwan Fjodorowitsch noch seinen linken Fuß darauf stehen hatte. Er hielt sich am Kutschbock fest, hüpfte und versuchte, in den Wagen hineinzugelangen.

      »Ich komme auch mit!« rief er hüpfend und ließ dabei ein kurzes, fröhliches Lachen vernehmen. Sein Gesicht strahlte vor Glückseligkeit, und er war offenbar zu allem bereit. »Nehmen Sie mich auch mit!«

      »Na, habe ich es nicht gesagt?« rief Fjodor Pawlowitsch entzückt. »Das ist Herr von Sohn! Der richtige, von den Toten auferstandene Herr von Sohn! Wie hast du dich denn losgemacht? Was für einen Grund, der eines Herrn von Sohn würdig wäre, hast du angegeben? Und wie konntest du von einem Diner weglaufen? Dazu muß man ja eine eiserne Stirn haben! Ich habe eine solche Stirn, aber ich staune über deine, Bruder! Spring auf, schnell, spring auf! Laß ihn herein, Wanja, es wird sehr fidel werden. Er wird sich hier im Wagen zu unseren Füßen hinlegen. Wirst du das tun, Herr von Sohn? Oder wollen wir ihn neben dem Kutscher plazieren? Spring auf de Kutschbock, Herr von Sohn!«

      Doch Iwan Fjodorowitsch, der sich inzwischen schon gesetzt hatte, stieß den Gutsbesitzer Maximow auf einmal wortlos aus voller Kraft vor die Brust, daß dieser ein paar Schritte zurücktaumelte. Daß er nicht stützte, war Zufall.

      »Fahr zu!« schrie Iwan Fjodorowitsch ärgerlich dem Kutscher zu.

      »Was machst du denn? Was machst du denn? Warum behandelst du ihn so?« empörte sich Fjodor Pawlowitsch, aber der Wagen rollte schon dahin. Iwan Fjodorowitsch antwortete nicht.

      »Sieh mal an, was du für einer bist!« sagte Fjodor Pawlowitsch wieder, nachdem er zwei Minuten lang geschwiegen hatte, und schielte zu seinem Sohn hinüber. »Du hast doch diesen ganzen Klosterbesuch selbst ausgedacht. Du hast uns dazu angestiftet, hast ihn uns plausibel gemacht! Warum bist du denn jetzt so ärgerlich?«

      »Sie haben genug Unsinn geschwatzt, erholen Sie sich wenigstens jetzt ein bißchen!« antwortete Iwan Fjodorowitsch schroff und mürrisch.

      Fjodor Pawlowitsch schwieg wieder zwei Minuten lang.

      »Ein kleiner Kognak wäre jetzt nicht übel«, bemerkte er sentenziös.

      Iwan Fjodorowitsch antwortete nicht.

      »Wenn wir nach Hause kommen, wirst du auch gern einen trinken.«

      Iwan Fjodorowitsch schwieg.

      Fjodor

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