Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann
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Kapitel 5
»Das ist Hurvinek. Burnout-Kandidat. Hat nach einem heftigen Schuss vor den Bug ein Sabbatical-Jahr genommen, oder wie das heißt. Aber alt war der nicht.«
»Woher kennst du den denn, Onkel Max?« Wieder ein Leichenfund. Diesmal hatte Adam mit seiner Handykamera ein Foto von dem Toten gemacht, um es seinem Onkel zu zeigen. Der zweite Todesfall schon binnen kurzer Zeit, nachdem vorher rein gar nichts passiert war.
»Bar-Bekanntschaft. Viel hat der eigentlich nicht von sich preisgegeben, aber das schon. Weißt, der hat seinen Burnout förmlich vor sich hergetragen wie die französische Marianne ihre Tricolore und ihren Busen auf diesem Bild von Descartes.«
»Es ist von Delacroix, Max«, korrigierte Adam ihn automatisch.
»Ach so, ja, kannst recht haben. Aber die barbusige Madame mit der Flagge da drauf ist doch die Marianne, oder?«
»Kann schon sein. Es heißt ›Die Freiheit führt das Volk‹. Aber zurück zu diesem Hurvinek, bitte.«
Für Max Leitner war ein Burnout eine neumodische Erfindung mit nicht mehr Sinn, als sich vor der Arbeit zu drücken und unliebsamen Kollegen aus dem Weg zu gehen. Allerdings hatte Max es seinerseits stets geschafft, dem Kollegen Computer aus dem Weg zu gehen und diese Art Stress gar nicht erst aufkommen zu lassen. Als Personenschützer hatte er lieber mitten an der Front gestanden und die lästige Büroarbeit delegiert.
»Für welche Firma hat er denn gearbeitet?«
»Irgendein Software-Zulieferer, den Namen hab' ich nicht behalten«, grübelte Max.
»Tschechisch?«
»Nein, schon in Deutschland. Ach so, wegen dem Nachnamen, meinst? Wer weiß, der Name kommt auch in Österreich öfter vor.«
Verstohlen atmete Adam auf. Schon wieder jemand aus dem ehemaligen Ostblock, das hätte ihm echt zu denken geben müssen! Wahrscheinlich war er nach seinen Erfahrungen mit der Russenmafia daheim in Hallerbach immer noch ein wenig paranoid...
»An was ist er denn gestorben?«, fragte Max.
»Dem Doc zufolge an einem hypoglykämischen Schock.«
»Hah?« Hier schienen die Arztromane versagt zu haben.
»Zuviel Insulin gespritzt - wahrscheinlich, weil er gemeint hat, sich am Büffett noch mehr überfressen zu haben, als es tatsächlich der Fall war.«
Max runzelte die buschigen grauen Brauen. Ab und zu mit der Schere darüberzugehen, hätte gewiss nicht geschadet. »Komisch, dass er davon nichts erwähnt hat, dass er zuckerkrank ist. Das war nämlich ein Hypochonder, wie er im Buche steht. Und von wegen überfressen: Der hat doch von Grünzeug, gekochtem Gemüse und gedünstetem Fisch gelebt. Und das bei dem Angebot hier an Bord.«
Daraufhin war es an seinem Neffen, die Brauen zu runzeln. Er kriegte es immer hin, dass die rechte etwas höher hing als die linke, was sehr pfiffig, um nicht zu sagen apart, aussah. Überhaupt war er eine recht fesche Erscheinung mit seinen widerspenstigen blonden Locken, den großen graublauen Augen, der scharf geschnittenen Nase, der kantigen Kinnpartie und den Wangengrübchen. Die älteren Damen an Bord waren allesamt hingerissen, wenn er auf dem Pool-Deck auftauchte, und fingen an, mit der Sonne um die Wette zu strahlen, die leider letztens die meiste Zeit über dem geschlossenen Plexiglas-Verdeck scheinen musste.
Aber ältere Damen passten sowieso nicht in Adam Asbecks Beuteschema. Junge leider erst recht nicht - nicht mehr. Tatsächlich lebte er seit Jahren im kleinsten Kloster der Welt, sozusagen in einem Ein-Mann-Konvent. Einfach, um sich weitere Seelenpein zu ersparen.
»Meinst du also, so einer hätt sich nicht mit den Insulineinheiten vertan?«
»Was?« Diabetes war eindeutig nicht Max' Stärke. Seit er zurückdenken konnte, ging er den Weißkitteln konsequent aus dem Weg, was er sich dank seiner eisernen Konstitution auch in seinem Alter noch leisten konnte.
»Sieh mal, ein Diabetiker, der Insulin spritzt, muss die Dosis exakt nach den Mahlzeiten berechnen, die er zu sich nimmt. Die meisten haben auch ein Blutzuckermessgerät bei sich, zumindest, wenn keine Arztpraxis in der Nähe ist. Da bringst mich auf eine Idee...«
»Ich hab doch gar nichts gesagt, Karl.«
»Adam, Onkel Max! Bitte gewöhn dich doch endlich einmal daran! Du hast schon ein Vierteljahr Zeit gehabt, das zu üben.«
»Ach geh, Adam - ist das ein blöder Name! Welcher Bayer heißt schon Adam -!«
»Offiziell bin ich ja auch aus Osnabrück, Mensch!« Das war geflüstert, aber ziemlich energisch geflüstert. »Kannst bitte mein Inkognito endlich einmal respektieren? Oder willst, dass mich die Russenmafia doch noch kalt macht?«
In gespielter Ratlosigkeit fuchtelte Max in der Luft herum. »Und was ist denn nun mit deiner Idee? Auch wenn ich gar nichts gesagt hab?«
»Ja, dass ich halt das Zuckermessgerät suchen muss in seiner Kabine. Vielleicht hat es falsch angezeigt, von wegen leerer Batterie oder was.«
»Langt dir der Insulinschock alleine nicht als Todesursache?«
»Weißt, ich muss es seinen Leuten zu Hause irgendwie erklären.« Adam seufzte. »Hoffentlich nicht schon wieder eine Nummer, wo keiner drangeht, wie bei dem Litauer!«
»Was habt ihr denn dann gemacht?«
»Der Käpten hat mit der Litauischen Botschaft in Deutschland telefoniert. Die wollen sich angeblich darum kümmern.«
»Ist doch eh am einfachsten so, oder?«
Adam zuckte die Schultern. Irgendwas gefiel ihm an der Sache nicht. »Ich geh mir dann mal die Kabine von dem Hurvinek anschauen.«
»Nimmst mich mit?« Max' Augen leuchteten hoffnungsvoll. Der Neffe zögerte.
»Ich weiß nicht recht, ob meine Vorgesetzten das so gerne sehen...«
»Die müssen's ja nicht erfahren. Und wenn doch, sagst einfach, ich hätt ihn gekannt. - Außerdem sehen vier Augen mehr als zwei.«
»Meinetwegen! Aber erzähl's hinterher nicht auf dem ganzen Schiff herum, nicht, dass die mich am Ende noch auf der Osterinsel aussetzen!«
Es wäre unmenschlich gewesen, dem vor Langeweile halb toten Max diesen Wunsch abzuschlagen. Und tatsächlich sollte er sich als recht nützlich erweisen.
»Schaut das hier steril aus«, war seine erste Erkenntnis beim Betreten der Kabine. Sie hatte Tageslicht - jetzt nicht, da es ja Nacht war -, gehörte aber ansonsten nicht derselben Preisklasse an wie die des Litauers. Doch darauf bezog sich Max' Feststellung nicht. Es war irgendwie zu... aufgeräumt. Kein Buch auf dem Nachttisch, keine Familienfotos, keine Souvenirs von all den wunderbaren Orten, die die »Symphony« bisher angesteuert hatte... und auch nirgendwo ein Blutzuckermessgerät. Im Kühlschrank neben der Minibar eine angebrochene Packung Basalinsulin und eine mit schnell wirksamem, ein Insulin-Pen und ein paar Alkoholpads. In der Schreibtischschublade ein Blutzuckerpass, die ältesten Eintragungen gerade mal zehn Tage alt. Ab da aber gewissenhaft. Wahrscheinlich war der alte Pass vollgeschrieben