Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann

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Mausetot auf hoher See - Inge Hirschmann Die Abenteuer des Karl Holzinger

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War aber nun nicht mehr sein Problem, denn er lag tot in der Koje. Offenbar im Schlaf gestorben, seine Gesichtszüge wirkten friedlich. Getrocknete Blutspuren um Nase und Mund waren alles, was auf einen nicht natürlichen Tod hindeutete.

      Adam erinnerte sich, den Mann hin und wieder unten im Casino gesehen zu haben. Und ja, auch im Steak-House. Das war keiner, der sich mit den gefräßigen Massen ums Buffett drängen mochte, nur weil es im Ticket inbegriffen war. Aber bei den horrenden Preisen, die die Reederei Joster & Colani für Kabinen mit großer Veranda verlangte, war das Edelrestaurant wahrscheinlich auch nicht mehr messbar ins Gewicht gefallen.

      Der Schiffsarzt machte sich an eine grobe Untersuchung. »Wollen Sie mitschreiben?«

      »Muss ich.« Adam zückte Notizblock und Kugelschreiber. »Was meinen Sie, was mir der Chef erzählt, wenn ich das hier nicht ordnungsgemäß protokolliere?« Edmund Sandtner, seines Zeichens Leiter der Security. Eine wahrhaft Respekt gebietende Persönlichkeit! »Und die Hinterbliebenen müssen benachrichtigt werden. - Was passiert denn jetzt eigentlich mit ihm? Seebestattung?«

      »Ach was, wir frieren ihn ein, so wird das immer gemacht. Ist das etwa Ihr erster Toter auf See?«

      »Es ist ja auch meine erste Seefahrt.«

      »Na, dafür, mein Lieber, haben Sie aber einen guten Magen. Ich hab Sie gar nie unten in der Praxis gesehen, wo sich die Neuen immer reihenweise Scopolamin-Pflaster besorgen.«

      Hast du eine Ahnung, dachte Adam, wie oft ich ab Southampton gereihert habe. Dass es dagegen Pflaster gab, die in der Bordapotheke kein Vermögen kosteten und die man sich einfach hinters Ohr klebte, hatte er erst erfahren, als er schon seefest geworden war. Sein Aufbruch in dieses neue Leben war etwas plötzlich gekommen und hatte ihm nicht mehr Zeit für die Lektüre von Reiseführern gelassen.

      Der Arzt beugte sich unterdessen über den toten Mann, schob unter einigen Mühen - wegen der Leichenstarre - das Schlafanzugoberteil hoch und die Hose hinunter, um den Rumpf nach Wunden abzusuchen, drehte ihn auf den Bauch und wieder zurück. »Keine sichtbaren Verletzungen. Bis auf das Nasenbluten natürlich. Leber leicht vergrößert, aber nicht im pathologischen Bereich. Hm, das könnte auch an dem hier liegen.«

      Er hatte die oberste Nachttischschublade geöffnet, um sich ein Bild von den Medikamenten zu machen, die der Mann einnehmen musste. Was er in der Hand hielt, war ein Blister mit ziemlich kleinen Tabletten. Erfahrungsgemäß wusste Adam: Je kleiner, desto wirksamer und meistens giftiger.

      »Phenprocoumon - besser bekannt als Marcumar. Und das erklärt uns auch das Nasenbluten. Sie können Ihre Alpträume wieder einpacken, Asbeck: kein hämolytisches Fieber, stattdessen wahrscheinlich Überdosierung von Gerinnungshemmern. Er hätt besser ab und zu mal bei mir vorbeischauen und seinen Quick-Wert bestimmen lassen sollen!«

      Auch hier kannte sich der ehemalige Ordnungsamtler, der in Wahrheit ehemaliger Polizeioberkommissar war, aus. »Meine Oma hat auch Marcumar nehmen müssen, die ist alle zwei Wochen zum Doktor gegangen wegen des Quick-Wertes, ob die Blutgerinnung noch stimmt. Ist er tatsächlich nie bei Ihnen gewesen deswegen?«

      Der Arzt zuckte die Schultern. »Misstrauen gegenüber fremden Ärzten, sowas haben wir öfter. Kostet manchmal Menschenleben, aber ich kann's nicht ändern.«

      »Ihr wievielter Toter ist das denn?«

      »Hab längst aufgehört zu zählen. Aber ich bin ja auch schon auf dem Kahn hier, seit er vom Stapel gelaufen ist.«

      Das war vor ungefähr fünf Jahren gewesen. Das Schiff war neu und vom Feinsten, zumindest auf den Passagierdecks. »Hätt ich nicht gedacht«, wunderte Adam sich, »dass auf Schiffen so viel gestorben wird. - Und wie geht's jetzt weiter?«

      »Wir warten, bis die ganze Meute beim Futtern ist, dann bringen wir ihn hinunter auf Deck eins zum Leichenkühlraum. Und Sie machen sich besser schon mal Gedanken über ein paar salbungsvolle Worte für seine Lieben daheim, das bleibt nämlich garantiert an Ihnen hängen, weil der Kapitän sowas immer delegiert.«

      »Einen Moment, ich will mich noch ein wenig umschauen.«

      »Wozu das denn?« Auf einmal schien der Doktor es eilig zu haben.

      »Wenn ich doch die Angehörigen benachrichtigen muss - da möcht ich wenigstens ansatzweise wissen, was mich erwartet. Zumindest die Muttersprache von dem armen Kerl da sollte ich noch rauskriegen.«

      Schulterzuckend ließ sich der Bordarzt zu Füßen des Toten auf die Koje fallen. Der Ebola-Verdacht war ja vom Tisch.

      Adam Asbeck schaute in ein paar Schränke und Schubladen und machte sich Notizen. Im Schreibtisch fand er den Reisepass des Verblichenen, der ihn - wie auch seine Bordkarte - als Martynas Rhesa aus Litauen kenntlich machte. »Ich nehme das hier in Verwahrung, Doktor. Vorschriftsgemäß.«

      »Tun Sie das«, erwiderte der Arzt gelassen, vielleicht gelangweilt.

      Ja, schon recht, dachte Adam, zeig du mir nur, dass ich hier das Greenhorn bin!

      Aber besser ein Neuling im Sicherheitsdienst auf einem Kreuzfahrtschiff - als ein toter Polizist in Hallerbach. Dort, wo die Russenmafia ihm Blutrache geschworen hätte, wäre er nicht angeblich in der Donau ertrunken, nachdem er den Mann ans Messer geliefert hatte, den die Presse seither als den »Paten vom Bayerwald« titulierte. Karl Holzinger hatte seinen eigenen Selbstmord inszenieren müssen, um als Adam Asbeck noch einmal ganz von vorn anzufangen. Konnte es für ein solches Vorhaben einen passenderen Vornamen geben als eben - Adam? Und dieser Name war ihm tatsächlich zugeflogen wie eine Eingebung von ganz oben.

      Sobald sein Entschluss feststand, sich abzusetzen und damit sein Leben zu retten, hatte er im Internet gezielt nach Stellenangeboten bei Sicherheitsdiensten gesucht, vorzugsweise ganz weit entfernt von seiner Heimat. Und war dabei ziemlich schnell auf die Möglichkeit Kreuzfahrtschiff gestoßen. Schiffe nämlich boten den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sie praktisch zu allen Seiten hin feste und schwer überwindbare Grenzen ihr Eigen nannten und sich darüber hinaus nie sonderlich lange am selben Ort aufhielten.

      Immer wieder war da in schöner Regelmäßigkeit die »Magic Symphony« in den Jobbörsen aufgetaucht, ein Kreuzfahrtschiff mittlerer Größe, dessen Reederei Joster und Colani ständig knapp an Sicherheitsleuten zu sein schien. Die perfekte Fluchtburg für einen gescheiterten Polizeikommissar, der schnellstmöglich aus einem Pakt mit dem Teufel austreten wollte und musste. Das war im Herbst geschehen, und nun stand das neue Jahr 2014 vor der Tür. Hoffentlich ein besseres als das beinahe schon vergangene!

      Unbeirrt schaute er sich weiter in der Kabine um. Sie war geräumig, daher gab es viel zum Umschauen, doch seine Aufmerksamkeit war in jahrzehntelanger Praxis geschult worden. Und es sind oft die kleinen Dinge, die auffallen. So entdeckte er das graue Knäuel fast unter der Gardinenkante vor der großen Fenstertür zum Balkon. Er bückte sich, um es aufzuheben, schrak aber jäh zurück.

      »Was ist denn? Haben Sie einen Geist gesehen?« Der Arzt wurde offenkundig allmählich ungeduldig.

      »Nein«, äußerte Adam mit hörbarem Abscheu in der Stimme. »Eine Maus. Eine tote Maus. Hätt nicht gedacht, dass es sowas auf einem so feinen Schiff überhaupt gibt!«

      »Oh, da sind Sie aber auf dem falschen Dampfer!« Der Doc lachte über sein eigenes Bonmot. Es klang ein wenig gekünstelt, als müsste er damit etwas überspielen. Vielleicht war die Hygiene an Bord ja seine Sache. »Was meinen Sie, wie's auf Deck eins, bei uns unten eben, von diesen Biestern wimmelt? Überall, wo Lebensmittel sind, sind auch Mäuse und Ratten. Und die Lagerräume fangen gleich

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