Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann
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»Gammastrahlen«, sagte der Doktor und strahlte selbst, wohl aus Stolz wegen seiner technischen Ausrüstung. »Dasselbe Vorgehen wie bei der Bestrahlung von Lebensmitteln, das erledigt selbst Bananenspinnen zuverlässig. Kobalt-sechzig. Bringt alles Lebendige auch im Operationssaal um, und die Strahlung verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist.«
Ist ja gruselig, dachte Adam, der mit Radioaktivität schon in seinem ersten Leben einmal zu tun gehabt hatte, schaudernd und spürte eine Gänsehaut an den Armen. Er versuchte, die tote Maus am Schwänzchen zu fassen zu kriegen, aber just in diesem Moment stupste eine kleine Welle das Riesenschiff seitlich an und ließ den Mäuseleichnam direkt in seine Hand gleiten. Seltsam fühlte sich der an, leicht und trocken - als wäre das Tier aus Pappmaché. Mumifiziert auf jeden Fall, elendiglich verhungert wohl. Wie lange mochte diese Maus schon tot in der Luxuskabine gelegen haben, vielleicht ganz hinten unter dem Bett?
Angeekelt und auf schwer deutbare Weise verstört, öffnete Adam Asbeck die Balkontür und verschaffte der Maus eine astreine Seebestattung.
Menschentod und Mäusetod, sinnierte er.
Kapitel 2
War das womöglich der Startschuss, auf den so manch einer auf diesem Schiff längst gewartet zu haben schien? Insbesondere der Sicherheitschef Edmund Sandtner und Adams neuer Freund und Kollege Jochen...
Sandtner war bei Adams Vorstellungsgespräch in Hamburg dabei gewesen. Er und ein Mann von Joster und Colani, denn Seven Seas Security war eine hundertprozentige Tochterfirma dieser Reederei. Außerdem ein leitender Angestellter des Hotelbereichs der »Symphony«.
»Man möchte nicht glauben, dass Sie schon zweiundfünfzig sind«, hatte Sandtner zu Adam gesagt, nachdem dieser diverse Fitnesstests und eine umfassende ärztliche Untersuchung über sich hatte ergehen lassen müssen. Wirklich eine umfassende: Für seinen Geschmack viel zu viele Spritzen, mindestens einen halben Liter Blut hatten die ihm in kleinen Dosen abgezapft. Und offenbar nichts Schädliches darin gefunden.
Adam hasste Spritzen abgrundtief. Seine Mutter war Krankenschwester gewesen und hatte ziemlich viel davon gehalten, Medikamente immer gleich auf dem direktesten Wege zu verabreichen, statt sich mit einem zäpfchenverweigernden Kleinkind herumzuschlagen. Freilich hatte sie die Tortur danach fast immer mit einer kleinen Nascherei belohnt. Oft war das eine Breze gewesen, der dicke Brezenbauch aufgeschnitten und saftig mit Butter vollgeschmiert, die knusprigen Seitenteile – von der Mutter liebevoll als Flügerl bezeichnet – mit kleinen Flöckchen belegt. Da war die Injektion dann schnell vergessen gewesen.
Tempi passati. Mutter tot, die Heimat für immer verloren. Jede Art von Heimweh im Sinne längerfristigen Überlebens ersatzlos gestrichen!
»Unser Doc sagt, Sie sind biologisch auf dem Stand eines Mittdreißigers.«
»Gute Gene«, hatte Adam erwidert, der tatsächlich auch erst neununddreißig Jahre alt war. Mittdreißiger war trotzdem schmeichelhaft. Aber wie gesagt: Wenn man falsche Papiere brauchte, musste man nehmen, was gerade im Angebot war. Unter diesen Umständen war es fast ein Wunder zu nennen, dass sich die Reederei überhaupt erst mit seiner Bewerbung befasst hatte. Ein Vorteil war wohl gewesen, dass er sie gleich persönlich vorbeigebracht hatte. Selbstbewusst und voller Elan war er dabei aufgetreten - hatte er doch gerade erst die geniale Eingebung erfahren gehabt, wie er dem Paten von Hallerbach doch noch beikommen könnte, ohne für den Rest seines vermutlich viel zu kurzen Lebens dessen Killer von der Russenmafia am Hals zu haben - und wie er seine Familie vor der rachsüchtigen Mischpoke schützen würde, die ja nur mehr aus seinem Onkel bestand (die Familie, nicht die Mischpoke). Der Oheim immerhin war unter seinem echten Namen Max Leitner an Bord, als ganz normaler Passagier.
Wahrscheinlich hatten Adams große graublaue Augen beim Vorstellungsgespräch ziemlich abenteuerlustig gefunkelt und sein gesamtes Selbst diese große Vorfreude ausgestrahlt, diese Aufbruchslust zu neuen Horizonten. Keine Ahnung, woher er das hatte: Seinen Vater hatte er nie kennengelernt, aber vermutlich kam diese Charaktereigenschaft von ihm. Obwohl seine Mutter in jüngeren Jahren schon auch ein rechter Zugvogel gewesen sein musste, wenn man seinem Onkel Max glauben wollte. Im Lichte solcher Hochstimmung war der IQ-Test auch bemerkenswert gut ausgefallen. Sicherheitsleute an Bord eines Schiffes mussten sich jedes noch so kleine Detail merken können. Da das bei Polizisten genauso war, hatte ihm diese Prüfung ebenso wenige Schwierigkeiten bereitet wie der Reaktionstest. Irgendwann später, als sie auch noch geschaut hatten, wie es mit seinen Selbstverteidigungskenntnissen stand, war er dann schon mal ein wenig stutzig geworden. »Darf ich eine Frage stellen?«, hatte er das gestrenge Dreigestirn (Sandtner, Reedereimann und Stellvertreter des Quartiermeisters) gefragt. Und dann: »Wie oft wird dieses Schiff eigentlich von Piraten überfallen?«
Woraufhin alle drei erst einmal leicht zusammengezuckt waren und dann hellauf gelacht hatten. Am wenigsten lang hatte Edmund Sandtner gelacht und sich dann zu der folgenden Aussage durchgerungen:
»Das vielleicht nicht gerade. Aber Sie werden schon noch die Gelegenheit erhalten, Ihre Fähigkeiten und Ihre erstklassige Fitness einzusetzen. Wenn die nächste Fahrt so verläuft wie alle... Tatsache ist, die Kreuzfahrtindustrie ist ein Wachstumszweig und nicht besonders versessen darauf, negative Schlagzeilen an die Presse zu liefern. Keine Reederei, die sich damit ihr Geld verdient, ist das. Also, wenn Sie nichts in den Nachrichten hören von schweren Zwischenfällen, Mord und Totschlag auf hoher See, dann heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Verstehen Sie mich?«
An diesem Punkt hatte Adam den Arbeitsvertrag schon unterschrieben gehabt und auch die Schweigeklausel. Der Arbeitsvertrag sah eine viermonatige Probezeit vor, die Klausel nicht. Und die Reederei gebot über ein Heer von Anwälten.
»Jetzt merken Sie gut auf, Asbeck: Sehen Sie das Gebäude da, das mit den postmodernen Arkaden? Also, nach jeder Fahrt steht dort drüben zuverlässig ein Mann von der Bild-Zeitung und wartet auf redselige Crewmitglieder. Leute vom Sicherheitsdienst sind besonders gefragt. Wenn wir Sie mit diesem Mann reden sehen, sind Sie gefeuert, klar?«
»Klar, Chef!«, sagte Adam und hätte beinahe salutiert. Außerdem verkniff er es sich gerade noch, zu betonen, dass man als Polizist auch keine Insiderinformationen an die Presse geben durfte.
»Und seien Sie pünktlich: Am dreiundzwanzigsten um neun Uhr früh stechen wir in See, von dem Pier da hinten aus. Sie müssen spätestens am Mittag zuvor da sein. Und packen Sie ein paar Energieriegel ein: Der Dienst ist anstrengend. Doppelschichten sind nicht jedermanns Sache.«
Sechs Wochen nach diesem Gespräch hatte er angefangen, sich zu fragen, ob er wohl auf das übliche Landratten-Veräppeln hereingefallen war. Dieses Schiff war nicht krimineller als ein Altenheim, und von den ganzen juristisch verfolgbaren Verstößen gegen die Zehn Gebote kam allenfalls Diebstahl hin und wieder vor. Schmuck wurde geklaut, ab und an auch Bargeld - das eher seltener, weil ja auf Kreuzfahrtschiffen alles über die Bordkarte verrechnet wurde außer der Arztbesuch und das Casino -, das eine oder andere Handtäschchen, sogar einmal ein Hörgerät der neuesten Generation.
Das Laster der Lüsternheit in all seinen Varianten fristete bei dem Altersdurchschnitt an Bord eher ein Schattendasein, obwohl tatsächlich hin und wieder ein Spanner von sich reden machte. Aber nichts Gravierendes halt. Um Vergewaltigungen möglich zu machen, hätte der Schiffsarzt Viagra im Sortiment haben müssen. Da nichts dergleichen vorkam, hatte er das wohl nicht. Die Reederei zahlte ihm ein festes Gehalt, weswegen er nicht gewinnmaximierend denken musste, sonst hätte er diese Lücke in seinem Medikamentensortiment gewiss schon bitter bereut. Anders als an Land war auf Schiffen das Edikt von Salerno außer Kraft gesetzt, das den Beruf des Arztes streng von dem des Apothekers trennte. Der Doc gab also auch die Medikamente aus, die er vorher verordnet hatte. Genau genommen war hierfür