Die Earanna Chroniken. Wolfgang Seibert
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Ihm wurde bewusst, das sein Gegenüber nun schon eine Weile lang auf eine Antwort wartete und ihn immer besorgter musterte.
„Nein, nein, es geht mir gut!“ beruhigte er ihn darum. „Ich denke wir haben uns einiges zu erzählen und zwar mehr als man im Stehen erledigen will. Darum kommt mit uns, zuerst zur Ostwarte und dann zu Elis Haus, wenn ihr denn unsere Gäste sein wollt. Ein wärmendes Feuer, Speis und Trank und ein Lager für die Nacht wird sich dort auch finden lassen!“
„Dagegen ist nichts einzuwenden!“ antwortete Ardun und schwang sich wieder auf sein Pferd.
„Wenn es uns nur nicht noch weiter von unserem Weg abbringt!“ murmelte Kraan.
Als Targon ihn fragend ansah, winkte er nur ab und gab dem Zauberer ein Zeichen, das er voraus reiten möge. Bron hatte sein Pferd ebenfalls zurück gehalten und so bildeten sie gemeinsam die Nachhut. Schweigend ritten sie nebeneinander her, jeder in seinen eigenen Gedanken.
Bron war erstaunt, dass Gontar nicht auf dieselbe Art und Weise reagiert hatte, wie er sie von Orks gewohnt war, während Kraans Misstrauen geweckt war, weil ihm das Ganze viel zu einfach erschien. Selbst wenn er davon ausging, das sie nur durch das Erscheinen der Malm auf diesen Weg geraten waren, so fand er es dennoch unglaublich, das das geheime Tal des Nordreiches all die Jahre und Jahrhunderte unentdeckt geblieben sein sollte. Noch dazu mit offener Hintertür!
Doch dieser nachlässige Eindruck täuschte, wie er bald darauf herausfand. Die Säulenhalle endete an einem Tunnel, welcher zum Reiten zu niedrig war und nur noch Platz für zwei Pferde nebeneinander bot. Nachdem sie abgestiegen waren und die Pferde an den Zügeln führten, dauerte es noch einmal eine halbe Stunde bis der Tunnel vor einer schweren Tür endete.
„Nun verlassen wir die Vorhallen.“ erklärte Farril während er die Tür mit einem großen Schlüssel aus schwarzem Eisen aufschloss.
„Seid vorsichtig, wenn ihr hinaus geht und achtet auf eure Pferde, denn der Sims ist nicht sehr breit und die Schlucht dahinter sehr tief!“
Seine Warnung kam keinen Moment zu früh, denn kaum war die Tür auch nur einen kleinen Spalt breit geöffnet, da stöhnte und wimmerte ein kalter Wind herein. Er wirbelte in den Mähnen und Schweifen der Pferde, welche sofort mit den Augen rollten und am Liebsten auf der Stelle kehrt gemacht hätten. Selbst Narael brauchte diesmal ein wenig mehr Zeit bevor die Pferde sich beruhigten.
Farril hatte nicht übertrieben: der Sims war gerade breit genug für ein Pferd und zwischen dem Weg und dem Abgrund war nichts, nicht einmal ein weißer Randstein.
„Wir haben Glück!“ rief Farril und reichte Gontar den Schlüssel. Er hatte Mühe den Wind zu übertönen: „Um diese Zeit bläst es von unten herauf. Wenn der Wind von den Schneefeldern herabfällt, wagt kein Pferd diesen Weg!“
„Wohin?“ brüllte Targon, denn er hatte bemerkt das sich der Sims sowohl nach links als auch nach rechts an der Steilwand entlang zog.
Statt noch einmal gegen den Wind anzubrüllen deutete Farril nach rechts und ging voraus.
Targon folgte ihm als erster , danach kamen Birka, Ardun, Narael, Bron und Kraan. Gontar wartete bis alle an ihm vorbei waren und verschloss dann hinter ihnen die Tür. Die Pferde waren ängstlich und gingen nur langsam, ganz dicht an der Wand zu ihrer Rechten.
Weit über ihnen war ein heller Streifen Himmel zu sehen, doch Targon vermochte nicht zu sagen wie alt der Tag schon geworden war. Die Schlucht verlief nicht gradlinig , sondern kurvte leicht nach rechts und nach einer Weile konnten sie die Tür durch die sie gekommen waren nicht mehr sehen. Dafür tauchten vor ihnen die Überreste einer Brücke auf, die sich vor Jahrhunderten in einem kühnen Bogen über die Schlucht gewölbt haben mochte.
Jetzt ragte nur noch ein wenig Vertrauen erweckender Rest ins Leere, doch Farril rief: „Dort hinüber und wir haben es geschafft!“
Dann steckte er zwei Finger in den Mund und pfiff eine kleine, schrille Melodie.
***
Die Freunde schauten einander an und alle fragten sie sich, ob sie vielleicht einem verrückten Einsiedler mit einem ebenso verrückten Orknovizen aufgesessen waren, als sich auf der anderen Seite der Schlucht ein langer, schmaler Teil der Felswand mit einem knirschenden Geräusch von der Wand löste und herabsenkte, bis er auf ihrer Seite der Schlucht auflag. Auf der anderen Seite der Schlucht erwartete sie ein hoher, schmaler Torbogen, welcher in einen unbeleuchteten Gang führte. Die Brücke war nicht sonderlich breit und ohne Geländer. Entsprechende Mühe hatte darum Narael mit den Pferden bevor sie bereit waren diese zu betreten.
Kaum waren sie alle in dem Gang als hinter ihnen die Brücke wieder empor stieg, ohne das erkennbar war, auf welche Weise dies geschah.
Kurz danach wurde es vor und über ihnen hell und sie sahen, das sie zwischen zwei Wänden wie in einem Graben gingen. Über ihnen standen auf jeder Seite je ein Dutzend Menschen und Orks, welche große Bögen in den Händen hielten.
„Diese dort oben sind die Torwächter.“ erklärte Farril. „Mir wird jedes Mal ganz mulmig, wenn ich unter ihnen her gehe!“
„Das glaube ich gern!“ murmelte Kraan. „Dieser Eingang ins Eidesland ist doch besser gesichert als es zuerst den Anschein hatte!“ dachte er anerkennend. „Hier kann mit wenigen Männern eine Armee aufgerieben werden.“
Vor ihnen wurde der Graben breiter und ein halbes Dutzend Stufen führte hinab zu einem halbrunden Platz vor einer hohen Stirnwand. Ein eisernes Gitter mit einer Tür, die gerade hoch genug für ein reiterloses Pferd war, trennte den Platz von einem vielleicht 50 Fuss langen Säulengang. Vor dieser Tür erwarteten sie zwei Wächter in voller Rüstung und mit geschlossenem Visier. Ihre stahlbewehrten Hände ruhten auf den Knäufen großer Schwerter, welche vor ihnen standen.
„Oh . . . ach ja . . .jetzt wird es ernst!“ stammelte Farril. Für einen kurzen Moment sah er aus als ob ihm tatsächlich mulmig wäre.
„Aber Ihr braucht euch keine Sorgen machen!“ flüsterte er. „Ihr werdet schon sehen!“
Er schnaufte einmal, gab ihnen ein Zeichen stehen zu bleiben und trat selbst zwei Schritte vor:
„Seid gegrüßt ihr Herren der Ostwarte!“ begann er und deutete eine Verbeugung an.
Da sprach der Wächter zur Linken: „Bevor ich euren Gruß erwidern kann, muss ich wissen was euch den Eid vergessen lässt, Herr Farril!“
Es war diese Strenge, aber mehr noch die Tatsache, das es sich eindeutig um eine orkische Stimme handelte, die Naraels Zorn wieder aufflammen ließ. Plötzlich stand sie neben Farril, warf die Kapuze zurück und fragte ebenso streng:
„Wer will das wissen? Zeige dein Gesicht, Ork!“
Mit einem erschreckten Aufschrei wich der so Angesprochene einen Schritt zurück und sein Schwert fiel klirrend zu Boden.
Der Mensch neben ihm zuckte auch zurück, doch dann hielt er für ein paar bange Schläge seines Herzens inne.
Plötzlich straffte er sich, schüttelte ruckartig die Handschuhe ab, um mit fliegenden Fingern die Schnallen seines Helms zu lösen und ihn herunter zu reißen. Er beugte sich vor, mit zusammengekniffenen Augen, als habe er Mühe zu erkennen was vor ihm war.