Unvergängliches Blut - Sammelband. S.C. Keidner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Unvergängliches Blut - Sammelband - S.C. Keidner страница 25
Sie seufzte. Wenigstens war es angenehm, auf dem Pfad zu laufen. Es gab keine Felsen, die es zu überwinden galt, und keine Steigungen, die wertvolle Kraft kosteten. Trotzdem spürte sie die Schwere des Kindes in sich, mehr als sie dies noch am Tag zuvor getan hatte.
Bald wichen die Bäume zurück und hohe Gräser rückten dicht an den Pfad, bildeten einen grünen Tunnel über ihrem Kopf, wenn sie sich im Wind bewegten. Rodica wurde unruhig, denn sie konnte nicht sehen, ob ihr jemand entgegenkam oder folgte. Doch sie blieb weiterhin allein.
Als der Tag sich dem Ende zuneigte, war sie immer noch von Gräsern umgeben. Von dem Weiler war nichts zu sehen, doch da sie wegen ihres geschwollenen Leibs recht langsam ging, nahm sie an, dass sie ihn am Folgetag erreichen würde. Sie bahnte sich einen Weg in die Gräser und breitete den Umhang auf der Erde aus. Zum ersten Mal würde sie schutzlos übernachten, ohne Felsen oder ein dorniges Dickicht um sich oder geborgen in der Krone eines Baumes. Sie konnte nicht die Kraft aufbringen, sich noch weiter vom Pfad zu entfernen. Sie war zu müde.
Erschöpft sank sie nieder, schloss die Augen und lauschte aus alter Gewohnheit den Lauten des Abends, Vögeln, dem Rascheln der Gräser, einem Plätschern im Fluss, wo ein Fisch die Wasseroberfläche durchbrach, um sich eine Fliege zu schnappen, Stimmen.
Sie zuckte zusammen. Der Wind trug Stimmen zu ihr. Sie war wohl doch schon an dem Weiler angelangt! Mühsam rappelte sie sich auf, nahm den Umhang und ging zum Pfad zurück. Das waren ganz bestimmt Stimmen.
Langsam ging sie weiter. Die Stimmen wurden lauter.
An der nächsten Biegung des Weges stieß sie beinahe mit den beiden Fremden zusammen, blieb genau wie sie stehen. Die Frau hatte Falten im sonnengebräunten Gesicht und schwarze von grauen Strähnen durchzogene Haare, die zu einem unordentlichen Knoten gebunden waren. Der Mann, vielleicht sieben oder acht Winter älter als Rodica, trug seine dunklen Haare lang. Beide waren bekleidet mit Hosen und Hemden aus Wolle und trugen Reisebündel auf dem Rücken. Ihre Hände lagen an den Knäufen der kurzen Schwerter, die in ihren Ledergürteln steckten, bereit, die Waffen zu ziehen.
»Sei gegrüßt«, sagte die Frau schließlich.
»Sei gegrüßt«, erwiderte Rodica leise.
Der junge Mann senkte leicht den Kopf.
»Bist du allein unterwegs?«, fragte die Frau.
Rodica nickte.
Die Frau starrte sie kurz an. Dann sagte sie: »Ich heiße Khatuna. Das ist mein Junge, Olwenus.«
»Ich bin Rodica.«
»Wohin willst du, Rodica?«
»Ich … ich will zu dem Weiler, der hier in der Nähe liegt. Kommt ihr von dort?«
»Der Weiler unten an den Stromschnellen?« Der junge Mann, Olwenus, runzelte die Stirn. »Der ist doch nur noch eine Wüstung. Die Bewohner sind schon vor einigen Wintern weggegangen.«
Das durfte nicht wahr sein! »Sie … sind fort?«
»Ja.« Khatuna musterte sie scharf. »Wusstest du das nicht? Woher kommst du?«
»Aus … aus den Bergen.« Rodica nahm einen tiefen Atemzug, um vor den beiden Fremden nicht in Tränen auszubrechen.
»Aus den Bergen? Bist du vor den Vampiren geflohen?«
Rodica nickte schwach.
»Hm«, machte Khatuna. »Und wo ist der Vater deines Kindes?«
»Er … er war ein Soldat«, antwortete Rodica ausweichend. Genauso wenig wie sie Venor die Wahrheit hatte sagen können, konnte sie diese beiden wissen lassen, dass der Vater ihres Kindes ein Vampir war. Maksim war ein Krieger, insofern log sie nicht, wenn sie von einem Soldaten sprach, selbst wenn sie mit dem Wort ›war‹ den Eindruck erweckte, dass es ihn nicht mehr gab.
»Wo war er Soldat? In einer der Städte?«
Rodica wurde es unheimlich zumute. Ihr Lügengerüst wurde mit jeder Antwort komplizierter. »In Insan«, sagte sie, sich an den Namen erinnernd, den der Mann und die Frau im Gebirge genannt hatten.
»Dann hast du die Berge durchquert?«, mischte Olwenus sich ein.
»Ja.«
»Und du bist tatsächlich den Vampiren entgangen?«, fragte Khatuna misstrauisch.
Rodica ließ den Kopf hängen. Khatuna würde ihr nicht glauben, falls sie dies bejahte. Also griff sie zu der Version der Geschichte, die sie Venor erzählt hatte. »Das habe ich versucht. Ich … ich bin ganz allein. Aber ich habe einen Onkel und eine Tante, von denen es hieß, sie lebten in diesem Weiler. Zu denen wollte ich. Dann haben mich Vampire aufgegriffen. Als ich kurz darauf feststellte, dass ich guter Hoffnung war, bin ich geflohen. Ich … ich wollte nicht, dass mein Kind versklavt wird.«
»Hm«, machte Khatuna wieder. »Wie hast du das geschafft?«
»Ich war zur Feldarbeit eingeteilt.« Was diesen Teil anging, konnte sie die Wahrheit sagen. »Wir wurden gut bewacht, aber ich habe einen Wolkenbruch ausgenutzt. Es war dunkel und durch den Regen sah man die Hand vor Augen nicht. Ich bin in einem Bach gewatet, damit die Hunde meine Spur verlieren, und bin dann auf einen Baum geklettert, habe dort den Rest der Nacht verbracht. Sie sind mir nahe gekommen, aber haben mich nicht gefunden. In der folgenden Nacht habe ich sie noch einmal von Weitem gehört, dann nicht mehr.«
Khatuna nickte langsam. »Einen Fehler, den viele Sklaven auf der Flucht begehen, ist, schnell so weit wie möglich kommen zu wollen. Wir haben auf unseren Streifzügen einmal jemanden getroffen, der es ähnlich wie du gemacht hat. Auch er hat sich in der Höhle des Löwen versteckt, einem Heuschober auf dem Land der Vampirfamilie, die ihn versklavt hatte, bevor er weiter floh. Damit rechnen die Vampire in der Regel nicht.« Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Also hast du jetzt, wo die Menschen den Weiler unten am Fluss verlassen haben, niemanden mehr?«
»Überall sind nur Ruinen!«, brach es aus Rodica heraus. »Ganz gleich, wohin ich mich wende, es gibt keine Menschen mehr. Nur Ruinen!« Entsetzt bemerkte sie, wie ihr die Tränen hinunterliefen.
»Ja, viele Dörfer sind verlassen, seit die Vampire ihre Überfälle verstärkt haben«, sagte Khatuna. »Hier in der Gegend wirst du keine mehr finden.«
»Aber woher kommt ihr dann?«
Khatunas Blick wurde wachsam. »Wir sind Fährtensucher. Aus einer wandernden Siedlung.«
Dumpf erinnerte sich Rodica an Venors Erklärung. Diese Menschen zogen umher, um den Vampiren zu entgehen. »Und was sucht ihr hier, wenn es doch keine Weiler mehr gibt?«
»Spuren von Vampiren. Wir müssen unsere Leute warnen, falls sie uns zu nahe kommen.«
»Die letzten Vampire habe ich vor ungefähr anderthalb Monden gesehen, im Gebirge«, sagte Rodica und wischte sich die Tränen weg. »Sie waren auf dem Weg ins Niemandsland.«
Khatuna und Olwenus tauschten einen raschen Blick. »Weißt du vielleicht, wo sie im Niemandsland hinwollten?«, fragte Olwenus.
Rodica krauste die Stirn. »Nein. Aber sie nannten eine Höhle, die Jasa … Yara …«
»Yarasa-Höhle?«