Charles Finch: Die Karte des Todes. Thomas Riedel

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Charles Finch: Die Karte des Todes - Thomas Riedel

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einer Fantasie, einer Vorstellung entspringt und es keinen wirklichen Grund gibt?«

      »Ich muss gestehen, dass es mir ein unbeschreibliches Vergnügen bereitet knifflige Fälle zu lösen«, lächelte Finch. Er entzündete den Tabak im Pfeifenkopf und nahm ein paar Züge. »Ich war immer der Überzeugung, dass die Motive, die Mördern zugeschrieben werden, nur selten die wahren Motive sind. Die wahren Beweggründe liegen viel tiefer und müssen mühsam ausgegraben werden. Und ich denke, in diesem Fall werden Sie sehr viel graben müssen, Mr. Bradley.«

      »Damit werden Sie recht haben, Doktor, eine dieser Personen …«

      »Lassen Sie mich ein anderes Bild zeichnen«, unterbrach ihn Finch freundlich. »Sie überqueren eine Straße. Der Bobby, der den Verkehr regelt, winkt ihnen zu. Eine Kutsche kommt auf Sie zu, die Sie aber nicht beachten, da Sie wissen, dass Sie ausreichend Zeit haben, die Straße zu überqueren. Auch verlassen Sie sich auf den Verkehrspolizisten, der die Kutsche anhalten wird. Vermutlich registrieren Sie nicht einmal, dass es sich um einen einspännigen Landauer handelt. Das Gespann stellt ja keine Gefahr für Sie dar. Richtig?«

      »Richtig.«

      »Nehmen wir jedoch an, dass Sie aus irgendeinem Grund der Funktion des aufrechten Gangs beraubt wurden und Sie die Straße auf Händen und Knien kriechend überqueren müssen. Sie sehen die Kutsche aus dieser Position auf Sie zukommen und sind sich nicht mehr sicher, dass der Bobby Sie jederzeit im Auge hat und Sie die Straße rechtzeitig überqueren können. Wenn Sie es also nicht schaffen, dann werden Sie unter das Pferd geraten und vermutlich zu Tode getrampelt. Plötzlich wird das Gespann zu einem Instrument der Zerstörung. Dennoch ist es immer noch ein einspänniger Landauer und kein todbringendes Monster, nur können Sie sich aus Ihrer Position auf Händen und Knien nicht davon überzeugen.«

      »Worin liegt der Sinn dieser Analogie, Doktor?«

      »Der menschliche Geist ist ein komplexer Mechanismus, Mr. Bradley … da können bestimmte Funktionen schon einmal eingeschränkt sein oder ganz ausfallen. Und eine Person, die eine solche Funktion nutzen will, sieht plötzlich alles von einem völlig verzerrten Punkt der Wahrnehmung aus. Um das Bild weiterzuführen: Sie und ich, die diese Einschränkung nicht haben, können eine Person beobachten, die etwas tut, was wir als durchaus gerechtfertigt sehen. Aber jemand dessen Funktion unvollkommen oder gar gänzlich gestört ist, betrachtet die gleiche Handlung als bedrohlich, niederträchtig oder verräterisch. «

      »Worauf Sie hinauswollen ist …« Der Inspector nahm einen Zug von seiner Zigarette.

      »Worauf ich hinaus will ist folgendes: Ich bezweifle, dass Sie bei der direkten Untersuchung eine einzige Handlung von Mr. Cantrell entdecken werden, die Sie, von einem normalen Punkt der Wahrnehmung aus, auch nur im Entferntesten als Auslöser der Mordtat erkennen werden. Wie ich bereits sagte: Sie werden das Motiv nicht an der Oberfläche finden, Mr. Bradley. Es liegt irgendwo tief vergraben in den dunklen und verwinkelten Gängen des Geistes des Mörders.«

      ***

       3

      Die Cantrells warteten immer noch im Salon. Es handelte sich um einen hohen Raum mit einem dunklen Marmorkamin an einem Ende. Düstere, dunkle Familienportraits starrten von den Wänden herab. Der Rest des Zimmers war ein Widerspruch in sich. Die Sitzgruppe war mit hellem Chintz bezogen und es wirkte, als sei jemand großzügig durch den Salon gegangen, um Duncan Cantrells strengen Vorfahren den Vorteil einer modernen Einrichtung aufzuzeigen. Vor dem Kamin stand ein niedriger Couchtisch mit Einlegearbeiten, in der Ecke fand sich eine Messing-Bar auf Rädern – hinzu kamen farbige Lampenschirme, silberne und kristallene Aschenbecher. Links neben dem Kamin stand ein Ausziehtischchen mit aktuellen Journalen.

      In einem alten Herrenhaus wie diesem hätte man eher Dinge aus Fisch- und Elfenbein und langsam vergilbender Spitze erwartet – etwas Staubiges, etwas Formales. Aber hier gab es nichts von alledem. Dafür gab es eine scharfe, adstringierende, trockene Sprödigkeit, die über den sechs wartenden Familienmitgliedern hing.

      Selbst Hazel Cantrell, die Witwe des Toten, hatte es nicht geschafft die Stimmung der Tragödie einzufangen, die man von ihr erwartet hätte. Sie trug ein dunkelrotes Kleid mit hohem Spitzenkragen – ein Kleid, welches Sie oft trug, wenn im Salon eine Party stattfand. Auf eine eigentümliche Weise passte es zu den Lampenschirmen.

      »Ich hätte wohl besser etwas Schwarzes tragen sollen«, stellte sie fest. Sie saß in einem Ohrensessel nahe dem Feuer. Ihre Hände flatterten in ihrem Schoß, wie sie immer flatterten. Es waren Hände, die nie einem anderen Zweck gedient hatten, als betrachtet und bewundert zu werden.

      »Das ist doch Unsinn, meine Liebe«, bemerkte Elizabeth Evans, Hazels Schwester. »Du weißt sehr gut, dass Duncan es immer gehasst hat, wenn du etwas Schwarzes angezogen hast.« Elizabeth selbst trug schwarz, aber es war ein schwarz von modischer und auffallend erlesener Eleganz. Ihr weißes Haar war wie immer perfekt frisiert. Kleine Perlenohrstecker und eine dazu passende Kette vervollständigten das Bild einer äußerst vornehmen Dame von fünfundfünfzig Jahren, deren einzige Lebensaufgabe seit dreißig Jahren darin bestand den Haushalt der Familie Cantrell zu führen.

      Hazel hatte keinen Kopf für die Listen der Lebensmittelhändler, Gehaltsverhandlungen mit Bediensteten oder das am Laufen halten eines Betriebes, das glatt und ohne einen ›Mechaniker‹ lief.

      Abgesehen davon, dass Elizabeth all diese Aufgaben mit Leichtigkeit bewältigte, vermittelte sie zudem den Eindruck, mit all dem gar nichts zu tun zu haben.

      Hazels drei Kinder schienen nicht sehr darauf bedacht zu sein, sie zu trösten. Ihr ältester Sohn Cedric stand mit dem Rücken zum Feuer. Er war dreißig Jahre alt, hatte schwarze Haare und einen kleinen schwarzen Schnurrbart, den er gekonnt an den Enden aufzwirbelte. Seine braunen Augen standen ein wenig auseinander und verbreiteten den Anschein fadenscheiniger Unschuld. Ein Ausdruck, der zu sagen schien: ›Trotz meiner Art und Weise, wie ich meine Kleidung trage und ein Kerl bin, der immer an den richtigen Orten mit den richtigen Leuten zu sehen ist, bin ich ein schüchterner, freundlicher und unerfahrener junger Mann.

      »Ich wette, der alte Dr. Finch erzählt dem Inspector erstmal alles über uns, was er weiß«, behauptete Cedric Cantrell. Er nahm ein Etui aus der Tasche seines Anzuges, nahm eine filterlose Zigarette heraus und klopfte deren Ende gegen die Rückseite der Silberhülle, nachdem er sie geschlossen hatte. »Was würde ich wohl antworten, wenn man mich um ein Dossier über meine Familie bitten würde?«

      »Was kann Dr. Finch schon über uns erzählen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass er das macht?«, fragte Hazel.

      »Der liebe Doktor«, spöttelte Cedric, »ist doch eine kleine, graue Maus … und nicht mehr! Völlig unbedeutend!«

      »Wenn er mit dem Inspector spricht, dann tut er, was er für seine Pflicht hält, nicht mehr und nicht weniger«, ermahnte ihn Hazel. »Natürlich muss er sich irren, wenn er glaubt, dass …« Sie sprach den Rest nicht aus. Auch so wusste jeder, was sie meinte, während sie von einem zum anderen sah. Wieder flatterten ihre Hände.

      »Wir sollten der Sache ins Gesicht sehen, Mutter«, mahnte Dorothy Cantrell. »Ich denke nicht, dass er falsch liegt.«

      »Aber Dorothy, wie kannst du das nur sagen, meine Liebe? Ich meine …« Hilfesuchend sah sich Hazel um.

      Dorothy saß wenig damenhaft auf der Couchlehne und ließ ein Bein baumeln, in ihrem grauen Kleid. Sie hatte hohe Wangenknochen, einen breiten Mund und dunkelbraunes, lockiges Haar, dass sie lehrerinnenhaft zu einem Dutt hochgesteckt hatte. Sie spielte mit einem Finger an ihrem Highball-Glas. »Jemand hat absichtlich

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