MeerMänner. Tilman Janus
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Als ich gestern von der Schule nach Hause kam und eigentlich die Ferien genießen wollte, fiel mir ein, dass ich überhaupt noch keine Weihnachtsgeschenke für meine Eltern besorgt hatte. Und wir schrieben den dreiundzwanzigsten Dezember! Oberpeinlich! Ich wusste auch gar nicht, was ich den Alten schenken sollte. Jedes Jahr eine neue Pfeife für Papa und für Mama immer Parfüm … ätzend! Also beschloss ich, abends noch auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Alexanderplatz zu gehen. Da würde ich vielleicht etwas Besonderes für meine Erzeuger finden.
Wir – also meine Eltern und ich – wohnen nicht sehr weit vom Alex in einer sehr großen Altbauwohnung. Papa ist Physiker an der Humboldt-Universität, Mama ist Inhaberin einer Boutique. Beide haben immer viel zu tun und sind selten zu Hause. Mein älterer Bruder Nils wohnt nicht mehr zu Hause, er studiert in München.
Nach dem Abendbrot ging ich los; ich sagte natürlich nicht, warum. Mama rief mir noch nach, dass ich nicht zu spät nach Hause kommen sollte, weil zu Heiligabend die beide Omas zu Besuch kommen würden und noch einiges vorbereitet werden musste. Ich schmücke immer den großen Tannenbaum, den wir jedes Jahr im Wohnzimmer aufstellen, ist so Familientradition.
Ich schlenderte über den Alexanderplatz und schaute mir die bunt beleuchteten Buden vom Weihnachtsmarkt an. Es roch nach gebrannten Mandeln und Glühwein. Die Verkäufer hatten blau gefrorene Nasen. Unter meinen Sohlen knirschte der Schnee. Tatsächlich hatte es pünktlich zu Weihnachten geschneit. Das war in meinem achtzehnjährigen Leben bisher nur sehr selten vorgekommen.
Vor einem Stand mit kandierten Äpfeln blieb ich stehen. Ich wusste, dass die rot glänzende Zuckerschicht hart und süß und sonst nichts war, und dass die Äpfel darunter nicht schmeckten, aber die dicken, knallroten Kugeln faszinierten mich einfach. Ich stand noch und überlegte, ob ich mir so ein Ding in den Mund schieben sollte oder nicht, da fiel mir im Gewühl ein anderer Junge auf.
Er war genauso groß wie ich und genauso schlank, hatte aber keine blonden Haare wie ich, sondern schwarzes Haar, ein bisschen bläulich im Laternenlicht schimmernd, sehr dicht und schön, und ein hellbraunes, zartes und glattes Gesicht. Seine Augen leuchteten blau. Sie waren besonders groß, bestimmt die größten Augen, die ich je gesehen hatte. Ich guckte allen jungen Männern in die Augen, egal, wo ich sie sah, und hoffte immer, mal den »Richtigen« zu treffen. Ich stellte mir oft vor, wie das wäre, mit einem Freund Hand in Hand zu gehen und ihn zu küssen, ganz offen auf der Straße, im Restaurant, in der Schule, einfach überall. Niemand dürfte uns komisch angucken, niemand dürfte uns beschimpfen oder gar zusammenschlagen. Irgendwie war es einsam ohne Freund, auch wenn ich eine Menge Typen kannte. Aber die empfand ich eben nicht als wirkliche Freunde. Meine Eltern waren gar nicht das Problem, sie wussten schon länger, dass ich mich schwul fühle. Aber alles andere erschien mir unlösbar schwierig.
Dieser fremde Junge mitten auf dem Weihnachtsmarkt zog mich besonders an. Er hatte so etwas wie eine Aura, ich konnte es nicht beschreiben. Er stand einfach da, ohne etwas zu tun, und blickte in meine Richtung. Er schien mich direkt anzusehen – oder beguckte er die kandierten Äpfel? Vielleicht überlegte er genauso wie ich, ob er sein Geld für so ein Ding ausgeben sollte.
Mir fiel auf, dass er für die Kälte gar nicht richtig angezogen war. Er trug eine Jacke, aber die sah extrem leicht aus. Seine Jeans schienen nur für die warme Jahreszeit hergestellt zu sein. Auch seine Schuhe wirkten wie Sommer-Sneakers. Ich kam auf die Idee, weil er so besonders hübsch war, dass er vielleicht in einem Film mitspielte oder für ein Musical probte und sich zwischendurch mal Berlin anguckte. Ich hätte ihn zu gerne kennengelernt und überlegte, ob ich ihn einfach ansprechen sollte.
In dem Moment kam er auf mich zu.
»Hi!«, sagte er. »Kennst du dich hier aus?« Seine Stimme klang samtig. Er sprach sehr gut Deutsch, aber ich merkte, dass es nicht seine Muttersprache war.
»Ja, klar«, sagte ich. »Ich wohne ja hier in der Nähe. Wo willst du denn hin?«
»Das weiß ich nicht.«
Na, da war ich erst mal verblüfft. »Wie meinst du das?«, fragte ich und verkniff mir ein Grinsen. Er war ja so süß! Von Nahem konnte ich seine langen Seidenwimpern sehen. Seine Lippen waren schön und voll, beim Sprechen bewegten sie sich weich und verlockend. Ich hatte noch nie irgendjemanden auf den Mund geküsst. Diesen Jungen hätte ich gerne geküsst …
»Ich hab mein … also, mein Auto irgendwo abgestellt und weiß jetzt nicht mehr, wo«, sagte er nach ein paar Sekunden, so, als ob er erst mal überlegen musste.
Auto? Er war bestimmt auch erst achtzehn und hatte schon Führerschein und einen Wagen … cool!
»Wie sieht's denn aus, dein Auto?«, erkundigte ich mich.
Er hob die Schultern. »Silbern und rund«, meinte er.
Ich musste nun wirklich lachen. Obwohl – vielleicht meinte er einen von diesen kleinen City-Flitzern, die sind ja fast rund.
»Und wie sah die Straße aus, wo du's abgestellt hast? Breit? Oder schmal?«
Er zuckte wieder ratlos mit den Schultern. »Ich glaube, es war da hinten irgendwo …« Er deutete vage in Richtung Spree.
»Am besten, wir gehen da lang, vielleicht erkennst du die Gegend dann wieder«, schlug ich vor. Mir war's egal, wohin wir gingen, wenn ich nur neben ihm laufen durfte. Meine Knie wurden nämlich immer weicher, je länger wir redeten.
Ich finde mich nicht besonders, aber mein Bruder Nils hat mal zu mir gesagt, ich würde so hübsch aussehen wie ein »blonder Engel«. Ich weiß nicht, ob er das wirklich meinte oder ob er mich nur verarschen wollte. Auf jeden Fall hoffte ich natürlich, dass ich diesem schönen Typen gefallen würde.
»Wie heißt du?«, fragte ich, während wir uns in Bewegung setzten. »Ich bin Lukas.«
»Mein Name ist Bharat. Nett, dass du mitkommst, Lukas.«
»Bharat« klang ziemlich exotisch. Er sah ja auch so aus, irgendwie nordindisch oder iranisch oder afghanisch oder so was Ähnliches. Ich hatte mal gelesen, dass es dort auch Menschen mit blauen Augen gibt.
Wir liefen über den belebten Molkenmarkt bis zum Mühlendamm. Ein paar Leute schleppten noch die letzten Weihnachtsbäume nach Hause. Viele trugen Pakete und große Einkaufstaschen.
An der Spree-Brücke pfiff uns der kalte Wind um die Ohren. Es war hier abseits der Lichter vom Weihnachtsmarkt ziemlich dunkel. Sterne funkelten am Winterhimmel über Berlin.
Bharat sah sich um. »Hier irgendwo …«, murmelte er. Fragend blickte er mich an.
Ich sah ihn auch fragend an. Wenn er es nicht wusste, wer dann?
»Da!«, sagte er auf einmal und zeigte nach unten ans Spree-Ufer.
Ich wischte mir über die Augen, denn ich sah absolut nichts. Ein Auto hätte auch niemand über die Treppen bis hinunter an die Uferkante fahren können.
»Mein Auto«, sagte Bharat unerschütterlich. »Oder – ich glaube, es heißt eigentlich 'Raumschiff'.«
Ein Irrer!, schoss es mir durch den Kopf. Ob er gefährlich war? Ich starrte ihn an. Da sah ich, dass er ganz leicht lächelte. Seine blauen Augen sahen mich fast wie beschwörend an. Er war so wunderschön … Wollte er ein Spiel mit mir spielen? Oder wollte er mich erstechen und ins Spreewasser werfen? Ich verachtete plötzlich meine Angst. Hatte ich ihn nicht kennenlernen wollen?
»Ein