Gebrüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen – Band 183e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Jacob Grimnm
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Tischchen deck‘ dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack
Vor alten Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, musste ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne taten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der älteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heim zu gehen, fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!“
„So komm nach Hause,“ sprach der Junge, fasste sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. „Nun,“ sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges Futter?“ „O,“ antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt.“ Der Vater aber wollte sich selber überzeugen, ging hinab in den Stall, streichelte das liebe Tier und fragte: „Ziege, bist du auch satt?“ Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!“
„Was muss ich hören!“ rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen: „Ei, du Lügner, sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie hungern lassen?“ und in seinem Zorn nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am anderen Tage war die Reihe am zweiten Sohn, der suchte an der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen und die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!“
„So komm nach Haus,“ sprach der Junge, zog sie heim und band sie im Stall fest. „Nun,“ sagte, der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges Futter?“ „O,“ antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt.“ Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?“ Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!“
„Der gottlose Bösewicht!“ schrie der Schneider, „so ein frommes Tier hungern zu lassen!“ lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen zur Haustür hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn, der wollte seine Sache gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist du auch satt?“ Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!“
„So komm nach Haus,“ sagte der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. „Nun,“ sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges Futter?“ „O,“ antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt.“ Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege, bist du auch satt?“ Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!“
„O die Lügenbrut!“ rief der Schneider, „einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!“ und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, dass er zum Hause hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am anderen Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach: „Komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.“ Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe und was sonst die Ziegen gern fressen. „Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen,“ sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er: „Ziege, bist du satt?“ Sie antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!“
„So komm nach Hause,“ sagte der Schneider, führte sie in den Stall und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und sagte: „Nun bist du doch einmal satt!“ Aber die Ziege machte es ihm nicht besser und rief:
„Wie sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!“
Als der Schneider das hörte, stutzte er und sah wohl, dass er seine drei Söhne ohne Ursache verstoßen hatte. „Wart,“ rief er, „du undankbares Geschöpf, dich fortzujagen ist noch zu wenig, ich will dich zeichnen, dass du dich unter ehrbaren Schneidern nicht mehr darfst sehen lassen.“ In einer Hast sprang er hinauf, holte sein Bartmesser, seifte der Ziege den Kopf ein und schor sie so glatt wie seine flache Hand. Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und versetzte ihr solche Hiebe, dass sie in gewaltigen Sprüngen davonlief.
Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gern wieder gehabt, aber niemand wusste wo sie hingeraten waren. Der älteste war zu einem Schreiner in die Lehre gegangen, da lernte er fleißig und unverdrossen, und als seine Zeit herum war, dass er wandern sollte, schenkte ihm der Meister ein Tischchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von gewöhnlichem Holz war; aber es hatte eine gute Eigenschaft. Wenn man es hinstellte und sprach: „Tischchen, deck dich,“ so war das gute Tischchen auf einmal mit einem sauberen Tüchlein bedeckt, und stand da ein Teller und Messer und Gabel daneben, und Schüsseln mit Gesottenem und Gebratenem, so viel Platz hatten, und ein großes Glas mit rotem Wein leuchtete, dass einem das Herz lachte. Der junge Gesell dachte: „Damit hast du genug für dein Lebtag,“ zog guter Dinge in der Welt umher und bekümmerte sich gar nicht darum, ob ein Wirtshaus gut oder schlecht und ob etwas darin zu finden war oder nicht. Wenn es ihm gefiel, so kehrte er garnicht ein, sondern im Felde, im Wald, aus einer Wiese, wo er Lust hatte, nahm er sein Tischchen vom Rücken, stellte es vor sich und sprach: „Deck dich,“ so war alles da, was sein Herz begehrte. Endlich kam es ihm in den, Sinn, er wollte zu seinem Vater zurückkehren, sein Zorn würde, sich gelegt haben, und mit dem Tischen deck dich würde er ihn gern wieder aufnehmen. Es trug sich zu, dass er auf dem Heimweg abends in ein Wirtshaus kam, das mit Gästen angefüllt war; sie hießen ihn willkommen und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu essen, sonst würde er schwerlich noch etwas bekommen. „Nein,“ antwortete der Schreiner, „die paar Bissen will ich euch nicht vor dem Mund nehmen, lieber sollt ihr meine Gäste sein.“ Sie lachten und meinten, er triebe seinen Spaß mit ihnen. Er aber stellte sein hölzernes Tischchen mitten in die Stube und sprach: „Tischchen, deck dich.“ Augenblicklich war es mit Speisen besetzt, so gut wie sie der Wirt nicht hätte herbeischaffen können, und wovon der Geruch den Gästen lieblich in die Nase stieg. „Zugegriffen, lieben Freunde,“ sprach der Schreiner, und die Gäste, als sie sahen, wie es gemeint war, ließen sie sich