Gebrüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen – Band 183e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Jacob Grimnm
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Diesmal kann ich Ihnen, liebe Bettine, das Buch, das sonst aus der Ferne kam, selbst in die Hand geben. Sie haben uns ein Haus außerhalb der Mauern ausgesucht, wo am Rand des Walds eine neue Stadt heranwächst, von den Bäumen geschützt, von grünendem Rasen, Rosenhügeln und Blumengewinden umgeben, von dem rasselnden Lärm noch nicht erreicht. Als ich in dem heißen Sommer des vorigen Jahrs während der Morgenfrühe in dem Schatten der Eichen auf und ab wandelte, und die kühlende Luft allmählich den Druck löste, der von einer schweren Krankheit auf mir lastete, so empfand ich dankbar wie gut Sie auch darin für uns gesorgt hatten. Ich bringe Ihnen nicht eins von den prächtigen Gewächsen, die hier im Tiergarten gepflegt werden, auch keine Goldfische aus dem dunkeln Wasser, über dem das griechische Götterbild lächelnd steht: warum aber sollte ich Ihnen diese unschuldigen Blüten, die immer wieder frisch aus der Erde dringen, nicht nochmals darreichen? Habe ich doch selbst gesehen, dass Sie vor einer einfachen Blume still standen und mit der Lust der ersten Jugend in ihren Kelch schauten.
Berlin, im Frühjahr 1843
Wilhelm Grimm
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Vorwort
Vorwort
Im Gegensatz zu dem kosmopolitischen Gedankenkreis unserer Klassiker trachtete zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die deutsche sogenannte romantische Schule nach einer volkstümlichen Nationalpoesie und einer poetisch verklärten Wiedererweckung der deutschen Vorzeit. Für die Weiterentwicklung der deutschen Dichtkunst im Allgemeinen ohne belangreiche Wirkung geblieben, haben diese Bestrebungen, übrigens einer geschichtlich leicht erklärlichen Reaktion entsprungn, einer neuen Wissenschaft, der deutschen Philologie, die Wege geebnet. Ihr eigentlicher Begründer ist Jacob Grimm. Mit dem Erscheinen seiner „ Deutschen Grammatik“ (4 Bände, 1819-1837) hatte die altklassische Philologie in der Germanistik eine ebenbürtige Schwester erhalten. Seine „Deutschen Rechtsaltertümer“ (1828, 1834), die „Weistümer“ (I-IV, 1840-1863), die „Geschichte der deutschen Sprache“ (1848), die „ Deutsche Mythologie“ (1835 u. ö.) und die Inangriffnahme des „Deutschen Wörterbuches“ (1852) boten die reichsten Anregungen, um tiefer „in die sternenglänzende Nacht des Mittelalters“ einzudringen, barbarische, bis dahin gehegte Vorurteile zu zerstreuen und eine objektive Betrachtung vergangener nationaler Zustände und Eigentümlichkeiten, verbunden mit der Einsicht in das Gesetz der geschichtlichen Entwicklung, zu ermöglichen. Unterstützt in seiner Lebensarbeit wurde Jacob Grimm von seinem gleichgesinnten jüngeren Bruder Wilhelm. Wie die Brüder fast an allen ihren Hauptwerken gemeinsam arbeiteten, so hat sich die dankbare Nachwelt auch daran gewöhnt, überhaupt nur von den „Gebrüdern Grimm“ zu reden.
Wilhelm und Jakob Grimm 1847
Jacob Ludwig Karl Grimm wurde am 4. Januar 1785 zu Hanau geboren. Nachdem er in Marburg studiert (1802 bis 1805) und auf Veranlassung des berühmten deutschen Juristen Savigny acht Monate in Paris verweilt hatte, wurde ihm durch Vermittlung Johannes von Müllers, des bekannten Geschichtschreibers, die Leitung der Privatbibliothek des Königs Jerôme von Westfalen in Wilhelmshöhe übertragen. Sieben Jahr lang konnte er sich hier, während Deutschland unter dem Joch der französischen Fremdherrschaft seufzte, seinen germanistischen Studien widmen. Nach der endgiltigen Niederwerfung des Korsen und Wiederherstellung der deutschen Bundesstaatsregierungen wurde er (1816) zweiter Bibliothekar an der Bibliothek in Kassel, an der sein Bruder Wilhelm schon seit 1814 als Sekretär angestellt war. 1830 siedelten sie nach Göttingen über, nachdem sie mehr als dreizehn Jahr lang vergeblich auf Beförderung gehofft hatten: Jacob wurde ordentlicher Professor und Bibliothekar, Wilhelm Unterbibliothekar. Als aber im Jahr 1837 sieben Göttinger Universitätsprofessoren, die berühmten „Sieben“, zu denen auch unser Brüderpaar gehörte, gegen den Verfassungsbruch des Königs von Hannover öffentlich Einspruch erhoben, wurden Jacob und Wilhelm Grimm ihres Amtes entsetzt. Binnen drei Tagen musste ersterer das Land verlassen; der jüngere Bruder folgte ihm 1838 nach.
König Friedrich Wilhelm IV.
Bald nach seiner Thronbesteigung berief indessen König Friedrich Wilhelm IV., der begeisterte Freund des Mittelalters, der „Romantiker auf dem Thron“, wie ihn ein geistreicher Schriftsteller genannt hat, die beiden als besoldete Akademiker nach Berlin.
Hier starb Jakob Grimm am 20. September 1863. Auch an der Nationalerhebung im Sturm- und Drangjahr 1848 hatte er tätigen Anteil genommen, indem er als Vertreter der Stadt Mühlheim nach Frankfurt a. M. ging; doch ist diese Auszeichnung, wie bei Uhland und anderen Dichtern und Gelehrten jener Zeit, mehr als eine in ihrem Idealismus nicht hoch genug zu schätzende Ehrung deutschen Wissens und unbeirrter Wahrheitsliebe von seiten der Wähler aufzufassen. Außer den obengenannten Hauptwerken, meist in Gemeinschaft mit Wilhelm Grimm herausgegeben, seien noch genannt: Lieder der alten Edda (1815, mit Wilhelm Grimm), „Deutsche Sagen“ (I. 1816, II. 1818, mit Wilhelm Grimm); „Irische Elfenmärchen“ (1826 mit Wilhelm Grimm); „Reinhart Fuchs“ (1834); „Rede auf Wilhelm Grimm und über das Alter“ (1860), welche letztere eine neue Sonderausgabe verdiente, vielleicht verbunden mit Ciceros gleichnamigem Werk; „Kleinere Schriften“ (I-VII., 1864-1884), die auch eine kurze Selbstbiographie Jacob Grimms entalten u. s. w. Ein vortreffliches Buch über Jacob Grimm hat Wilhelm Scherer, der verstorbene große Germanist, veröffentlicht.
Wilhelm Karl Grimm, der jüngere Bruder, am 24. Februar 1786 zu Hanau geboren, besuchte 1804 ebenfalls die Marburger Hochschule und machte hier 1806 sein juristisches Examen. Während der Herrschaft des Königs Jerôme war er ohne öffentliche Stellung; 1814 kam er nach Kassel als Bibliothekssekretär. Seit 1816 erlebte das Brüderpaar, von gleicher Hingabe und Ausdauer zu dem gleichen Berufe beseelt, dieselben äußeren Lebensschicksale, wie schon oben erwähnt. Wilhelm G. starb am 16. Dezember 1859 in Berlin. Während sein Bruder Jacob unvermählt geblieben ist, war Wilhelm G. verheiratet: ein Sohn von ihm ist der noch lebende Berliner Kunsthistoriker Hermann Grimm, der Verfasser des Michelangelo, der Vorlesungen über Goethe und zahlreicher Essays, deren stilistische Vornehmheit auf das geistige Erbe des Vaters hindeutet. Von selbständig herausgegebenen Arbeiten W. Grimms sind u. a. zu nennen: „Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen“ (1811); „Die deutsche