Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski
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Читать онлайн книгу Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski страница 46
wohl, Iwan, daß mich das in meinen Gefühlen schmerzlich berührt? Du glaubst, was die Leute sagen: Ich sei nur ein Possenreißer. Aber du, Aljoscha, du glaubst, daß ich nicht nur ein Possenreißer bin.«
»Ja, ich glaube, daß Sie nicht nur ein Possenreißer sind.«
»Und ich glaube, daß du das glaubst und aufrichtig redest. Du hast einen ehrlichen Blick und redest aufrichtig. Iwan dagegen nicht. Iwan ist hochmütig. Und trotzdem würde ich deinem Klösterchen ein Ende bereiten. Man sollte diese ganze Mystik im russischen Reich mit einem Schlag beseitigen, um alle Dummköpfe endgültig zur Vernunft zu bringen. Und wieviel Gold und Silber käme dann in den Münzhof?«
»Aber warum sollte man sie denn beseitigen?« fragte Iwan.
»Damit die Wahrheit schneller erstrahlt, darum!«
»Und wenn die Wahrheit erstrahlt, sind Sie der erste, der ausgeraubt und ... beseitigt wird!«
»Pah! Doch vielleicht hast du recht. Ach, ich Esel!« rief Fjodor Pawlowitsch und schlug sich leicht vor die Stirn. »Na gut, wenn es so ist, dann mag dein Klösterchen bestehenbleiben, Aljoscha. Wir Klugen aber wollen im Warmen sitzen und uns am Kognak erfreuen. Weißt du, Iwan, daß Gott selber es so gewollt hat? Sag, Iwan, gibt es einen Gott oder nicht? Warte noch, sprich aufrichtig, sprich ernsthaft! Warum lachst du wieder?«
»Weil Sie selbst vorhin über Smerdjakows Glauben gewitzelt haben, es existierten zwei Einsiedler, die Berge versetzen könnten!«
»Habe ich denn mit ihm Ähnlichkeit?«
»Große Ähnlichkeit!«
»Na, dann bin ich also auch ein Russe mit einem russischen Charakterzug. Aber auch an dir Philosophen kann man einen derartigen Charakterzug entdecken. Wenn du willst, tue ich es. Wetten wir, daß es mir gleich morgen gelingt? Aber sage mir trotzdem, gibt es einen Gott oder gibt es keinen? Aber ernsthaft! Ich möchte ein ernsthaftes Gespräch führen.«
»Nein, es gibt keinen Gott.«
»Aljoscha, gibt es einen Gott?«
»Ja, es gibt einen Gott.«
»Und gibt es Unsterblichkeit, Iwan? Irgendeine, und sei sie noch so klein?«
»Nein, es gibt keine Unsterblichkeit.«
»Gar keine?«
»Nein, gar keine.«
»Das heißt, da ist ein völliges Nichts. Ist nicht vielleicht doch irgend etwas vorhanden? So daß da nicht ein reines Nichts ist?«
»Nein, da ist ein reines Nichts.«
»Gibt es Unsterblichkeit, Aljoschka?«
»Ja.«
»Einen Gott und Unsterblichkeit?«
»Ja, einen Gott und Unsterblichkeit. In Gott ist auch Unsterblichkeit.«
»Hm! Wahrscheinlicher ist, daß Iwan recht hat. Herr Gott, wenn man bedenkt, wieviel Glauben, wie viele Kräfte aller Art die Menschen umsonst auf dieses Traumbild verwendet haben, und das schon seit vielen Jahrtausenden! Wer macht sich dann über den Menschen so lustig, Iwan? Zum letztenmal und definitiv: Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? Ich frage zum letztenmal!«
»Und zum letztenmal sage ich nein.«
»Wer macht sich dann über die Menschen lustig, Iwan?«
»Wahrscheinlich der Teufel!«, erwiderte Iwan Fjodorowitsch lächelnd.
»Also einen Teufel gibt es auch?«
»Nein, es gibt auch keinen Teufel.«
»Schade. Zum Teufel, was würde ich unter diesen Umständen demjenigen antun, der Gott zuerst erdacht hat! Ihn aufzuhängen wäre zuwenig.«
»Es gäbe keine Zivilisation, hätte man Gott nicht erdacht.«
»Keine Zivilisation ohne Gott?«
»Nein. Auch Kognak nicht. Aber den muß man Ihnen nun doch wegnehmen.«
»Halt, halt, mein Lieber, ein Gläschen noch! Ich habe Aljoscha gekränkt. Du bist mir doch nicht böse, Alexej? Du mein Alexejtschik, mein lieber Alexejtschik!«
»Nein, ich bin Ihnen nicht böse. Ich kenne ihre Gedanken. Ihr Herz ist besser als Ihr Kopf.«
»Mein Herz ist besser als mein Kopf? Herrgott, und wer sagt mir das? Iwan, hast du Aljoschka lieb?«
»Ja, ich habe ihn lieb.«
»Hab ihn lieb!« Fjodor Pawlowitsch war jetzt stark betrunken. »Hör mal, Aljoscha, ich habe mich heute unpassend gegenüber deinem Starez benommen. Ich war aufgeregt. Dabei hat dieser Starez doch Esprit. Was meinst du, Iwan?«
»Schon möglich, das er welchen hat!«
»Er hat welchen, er hat welchen, il y a du Piron la-dedans. Er ist Jesuit, das heißt ein russischer. Da er eine anständige, vornehme Gesinnung besitzt, kocht in ihm eine geheime Entrüstung, daß er sich verstellen und die Rolle eines Heiligen spielen muß.«
il y a du Piron la-dedans
»Aber er glaubt doch wirklich an Gott.«
»Nicht die Bohne! Das weißt du nicht? Er sagt es ja allen Leuten selbst, das heißt nicht allen, aber den Gescheiten, die zu ihm kommen. Zum Gouverneur Schulz hat er offenbar gesagt: ›Credo. Aber ich weiß nicht, an was.‹«
»Wirklich?«
»Genauso. Aber ich schätze ihn sehr. Er hat etwas Mephistophelisches oder, richtiger, etwas von dem ›Helden unserer Zeit‹, von Arbenin oder wie er heißt ... Du mußt nämlich wissen, er ist ein Lüstling. Er ist ein so schlimmer Wüstling, daß ich auch jetzt noch für meine Tochter oder meine Frau fürchten würde, wenn sie zu ihm zur Beichte ginge. Weißt du, wenn der anfängt zu erzählen ... Vor zwei, drei Jahren hat er uns zum Tee eingeladen, Likör gab es auch, die Damen schicken ihm immer welchen, und als er da anfing, von den alten Zeiten zu erzählen, haben wir uns geradezu krank gelacht. Besonders über die Geschichte, wie er eine Gelähmte geheilt hat. ›Würden mir die Füße nicht weh tun, würde ich Ihnen was vortanzen‹, sagte er. Na, was meint ihr dazu? ›Ich habe in meinem Leben tolle Sachen gemacht‹, sagte er. Dem Kaufmann Demidow hat er sechzigtausend Rubel abgeknöpft.«
Arbenin
»Wie, gestohlen?«
»Der brachte ihm das Geld, weil er ihn für einen guten Menschen hielt. Er hat es mir selbst erzählt: ›Ich sage zu ihm, nimm es in Verwahrung, Bruder, bei mir findet morgen eine Haussuchung statt. Er nimmt es auch in Verwahrung. Und als ich es, wiederhaben will, sagt er, du hast es doch der Kirche geschenkt. Ich erwidere, du bist ein Schuft. Nein, sagt er, ich bin kein Schuft, ich habe nur großzügige Anschauungen ...‹ Übrigens war er das gar nicht ... Es war jemand anders. Ich habe ihn mit jemand anders verwechselt, ohne es zu merken. Na, noch